Innen Arbeiter, außen Maschine
Ein Exoskelett macht schwere Arbeit leichter und schneller. Was macht das mit den Menschen im Inneren der Roboter? Gedanken zur neuen Automatisierung.
Auf den Punkt gebracht
- Fiktion. Unsere Vorstellungen von Exoskeletten sind stark von literarischen oder filmischen Darstellungen wie Iron Man geprägt.
- Vielseitig. Tatsächlich sind Exoskelette Teil des Alltags. Sie kommen immer mehr zum Einsatz, vor allem für schwere oder gefährliche Arbeit.
- Entlastung. Im Idealfall helfen Exoskelette Arbeitnehmer und Arbeitgebern, weil sie die Arbeit erleichtern und damit effizienter machen.
- Schattenseite. Aufgrund ihrer übermenschlichen Fähigkeiten können Exoskelette zu mehr Leistungsdruck für den Menschen führen.
Ich schalte den Fernseher ein. Ein mir bekannter Spielfilm läuft: Iron Man. Gerade wirbelt Tony Stark mit seinem metallisch glänzenden Anzug über die Bildfläche. Mit Leichtigkeit schleudert er damit Fahrzeuge durch die Gegend.
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Feindlichen Attacken weicht er blitzschnell und anscheinend mühelos aus. Der Anzug schützt ihn vor Verletzungen, deshalb bleibt er auch im Kugelhagel und bei diversen Zusammenstößen unversehrt. Dank seines Roboteranzugs hat Tony Stark Superkräfte und ist zu Leistungen fähig, die kein anderer Mensch erreichen kann.
Dieser fiktive Supersuit taucht sehr oft in Gesprächen über Exoskelette auf. Science-Fiction hin oder her, es sind solche Verfilmungen, die unsere Vorstellungen von Technologie beeinflussen. Sie setzen uns ein Bild in den Kopf. Und auch wenn wir wissen, dass die Realität anders aussieht, prägt es doch unsere Gedanken und Erwartungen.
Machen Innovationen arbeitslos?
Um mit allenfalls falschen Vorstellungen gleich zu Beginn aufzuräumen: Ein Roboteranzug à la Iron Man existiert nicht, und so schnell wird es diesen auch nicht geben. Technisch ausgefeilte Exoskelette sind dagegen schon in der Wirklichkeit angekommen.
Viele befinden sich noch im Entwicklungsstadium, manche gibt es bereits zu kaufen. Exoskelette sind physische Assistenzsysteme, die am Körper getragen werden. Ob als eine Art Hose übergestreift, als Handschuh angezogen oder wie einen Rucksack umgeschnallt – sie bilden eine äußerliche Stützstruktur, die stabilisiert, Bewegungen erleichtert, beim Halten entlastet.
Schneller und besser arbeiten
Es gibt passive Systeme, die rein mechanisch funktionieren. Man denke hier etwa an eine Metallfeder oder ein Gummiband. Diese gehen auf Druck zusammen und auf Zug auseinander. Danach springen sie von selbst wieder in ihre Ausgangsposition zurück. Eben diese Eigenschaft machen sich passive Exoskelette zu Nutze.
Aktive Systeme beziehen ihre Energie meist aus Akkus. Indem der Körper zusätzliche Kraft erhält, erhöht sich seine Leistungskapazität. Trägerinnen und Träger können dann schwerer tragen oder schneller laufen.
Ob aktiv oder passiv, im Gegensatz zum Supersuit des Iron Man ist jedoch nicht alles gleichermaßen möglich. Während das eine Exoskelett die Arme beim Tragen entlastet, schont ein anderes den Rücken beim Heben und ein drittes verstärkt die Griffkraft.
Soll das Gehen trainiert werden, erhalten die Beine Unterstützung. Jedes Exoskelett unterstützt also eine bestimmte Körperregion und ist meist für eine spezifische Aufgabe konzipiert. Für jeweils andere Bewegungen kann es dann aber auch hinderlich sein. Somit kann das Laufen schwieriger werden, wenn ein Exoskelett zur Rückenentlastung getragen wird. Was ein Exoskelett konkret kann, hängt darüber hinaus mit seinem Einsatzzweck zusammen.
Exoskelette im Gaming und der Medizin
Da wären Menschen, die durch einen Schlaganfall oder Unfall bestimmte Bewegungsabläufe wieder erlernen müssen. Zur Herausforderung wird da schon einmal der einfache Schritt nach vorne. Reha-Exoskelette helfen hier beim Training. Flexibel ergänzen sie die Energie, die fehlt, um die Bewegungen selbst auszuführen.
Im Idealfall wird die Unterstützung immer weniger, bis Patientinnen und Patienten wieder „auf eigenen Beinen stehen“. Bei Querschnittsgelähmten geht es dagegen um den dauerhaften Ausgleich der fehlenden Gehfähigkeit. Exoskelette zur aktiven Gehunterstützung ermöglichen diesen Menschen eine neue Form der Fortbewegung.
Spezielle Hand-Exoskelette sollen helfen, Dinge in virtuellen Welten spürbar und so neu erlebbar zu machen.
Dort wo Spiel und Spaß regieren, sind Exoskelette neuerdings auch nicht mehr weit. Gemeint sind Computerspiele, die ein Abtauchen in virtuelle Realitäten ermöglichen. Trotz bester Grafik und 3D-Rundumansicht – was im Computerspiel passiert, lässt sich noch nicht mit unserem Tastsinn erkunden. Spezielle Hand-Exoskelette sollen helfen, Dinge in virtuellen Welten spürbar und so neu erlebbar zu machen.
Zahlen & Fakten
Soldatinnen und Soldaten marschieren meist mit schwerem Gepäck. Um nach langen Märschen nicht erschöpft im Ziel anzukommen, wurden aktive Exoskelette zur Stärkung von Oberschenkel und Kniegelenken entwickelt. Zusätzlich kann damit auch mehr Gewicht getragen werden.
Schon einmal der Malerin bei ihrer Arbeit zugesehen oder eventuell selbst ausgemalt? Oder Pakete herumgetragen? Ich schon und zugegeben, meine Arme wurden dabei ordentlich beansprucht. An vielen Arbeitsplätzen leisten Menschen körperliche Schwerstarbeit – zum Beispiel, wenn sie ständig überkopf arbeiten, mit großen Lasten hantieren oder sich unnatürlich verdrehen müssen. Um anstrengende Arbeiten erträglicher zu machen, gibt es verschiedene Exoskelette. Vorwiegend werden die Arme oder der Rücken unterstützt. Im besten Fall beugen sie der Entstehung körperlicher Beschwerden und Verletzungen im Job vor.
Das Exoskelett ist immer da
Das Interesse an industriellen Exoskeletten – also solchen, die die Arbeitsausführung erleichtern sollen – ist in den vergangenen Jahren spürbar mehr geworden. Das Angebot wächst und ihr innovativer Charakter verlockt Unternehmen zum Ausprobieren. Große Automobilhersteller haben den Anfang gemacht.
Mittlerweile wagen sich auch andere Betriebe an die Technologie heran. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Assistenzsystemen: Exoskelette sind mit dem Körper von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbunden und wandern bei mobiler Arbeit mit. So können sie jederzeit und örtlich unabhängig genutzt werden. Die Herausforderung ist aber, das passende Modell für Arbeitsplatz und Nutzerinnen und Nutzer zu finden.
Zum einen sollen Arbeitstätigkeiten bestmöglich unterstützt werden. Bei Bewegungen, wo das System nicht hilft, darf es zumindest nicht stören, beim Stufensteigen etwa. Schmutz und Staub muss es Stand halten. Bei wenig Platz ist ein schlankes Design gefragt.
Länger arbeiten sollte kein Tabuthema sein
Zum anderen sind da die Trägerinnen und Träger mit ihren individuellen Bedürfnissen. Einfach anpassbar muss es sein, denn Größe, Gewicht und Körperumfang von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind häufig unterschiedlich. Den aktuellen Gesundheitszustand und die Krankengeschichte gilt es zu berücksichtigen. Und wer sich körperlich fit fühlt, fragt sich vielleicht, warum er „so etwas“ überhaupt tragen soll.
Das reine „Menschsein“ könnte zur Schwäche verkommen.
Gerade junge Menschen sehen für sich oftmals keinen Bedarf an einer Unterstützung. Im Moment geht es ihnen gut. Aber was ist nach jahrelanger schwerer Arbeit? Von industriellen Exoskeletten wird erwartet, dass sie physische Belastungen reduzieren. Eine geringere körperliche Beanspruchung heute soll arbeitsbedingten Erkrankungen von morgen vorbeugen.
Langfristig sollen Krankenstände reduziert werden. Das ist für Anwenderinnen und Anwender aber oft wenig greifbar, da ein unmittelbarer Nutzen fehlt. Tut der Rücken am Ende des Arbeitstages weniger weh, weiß man dagegen, wofür man das Exoskelett verwendet hat. Die Akzeptanz ist bei Nutzerinnen und Nutzern dann tendenziell höher.
Aus Entlastung wird Leistungsoptimierung
Exoskelette können nicht nur eine Entlastung für den Menschen bringen. Die Optimierung der körperlichen Leistungsfähigkeit steht vor allem bei aktiven Systemen im Raum. Mittels modernster Sensorik lassen sich zudem jede Menge Daten sammeln. Häufig betonen Exoskelett-Hersteller schon jetzt die Möglichkeit zur Effizienz- und Leistungssteigerung als Verkaufsargument.
Ein Leben jenseits der To-do-Liste
Doch was passiert, wenn Exoskelette zum menschlichen Upgrade werden? Geht es dann noch darum, gesünder zu arbeiten oder wird den Trägerinnen und Trägern bei totaler Überwachung mehr abverlangt? Das Credo der Profitmaximierung wäre wohl: Dort wo mehr Leistung möglich ist, wird auch mehr gefordert werden. Das Resultat wären steigende Erwartungen an den (zwangs-)optimierten Menschen. Im Gegenzug könnte das reine „Menschsein“ zur Schwäche verkommen.
Dystopischer Zukunftsgedanke oder nicht, viele Menschen teilen die Befürchtung, dass Exoskelette den Leistungsdruck am Arbeitsplatz erhöhen. Da reicht es nicht, auf den bisherigen (noch limitierten) Entwicklungsstand der Technologie zu verweisen. Diese Ängste sind in jedem Fall nicht zu unterschätzen. Sie können wesentliche Treiber für Ablehnung und aktiven Widerstand sein. Exoskelette in Unternehmen einzuführen, braucht dahingehend also viel Fingerspitzengefühl und umfassende Aufklärung.
Der Arbeiter im Inneren
Inwieweit der menschliche Organismus durch ein Exoskelett physisch entlastet oder verbessert werden kann, ist in erster Linie eine technische und medizinische Frage. Es geht darum, was möglich ist und wie die Umsetzung anatomisch wirkt. Ebenso relevant ist aber, was es mit uns persönlich macht, wenn wir plötzlich mit roboterähnlicher Technik am Körper durch die Gegend laufen.
Was ich in meiner Forschung mit industriellen Exoskeletten beobachten durfte, ist: Manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich unwohl damit, ein Exoskelett sichtbar zu tragen. Grund dafür ist weniger das „maschinelle Aussehen“ selbst.
Vielmehr geht es darum, was andere über sie denken könnten. In ihren Augen erweckt das Exoskelett den Anschein, dass Bedarf an einer externen Unterstützung besteht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen aufgrund des Exoskeletts aber nicht für körperlich unzulänglich gehalten werden.
Hinzu kommt, dass Roboter keine menschlichen Gefühle haben, Trägerinnen und Träger von Exoskeletten aber schon. Je maschinenähnlicher das Design, desto eher würde man sie als kalt und einschüchternd wahrnehmen. Das Tragen des Exoskeletts könnte dann zu sozialer Ausgrenzung führen.
Die Forschung zu Exoskeletten steckt in den Kinderschuhen. Ihr Einsatz steht am Anfang und lässt derzeit noch viele Fragen offen. Es braucht folglich weitere Forschungsarbeit, die sich mit den Auswirkungen dieser neuen Technologie aus verschiedenen Blickwinkeln beschäftigt. Nur so können negative Entwicklungen rechtzeitig aufgedeckt und hinterfragt werden.
Conclusio
Exoskelette sind am Arbeitsplatz am Vormarsch, immer mehr Unternehmen greifen darauf zurück. Arbeitnehmer reagieren darauf gespalten: Einerseits können die Exoskelette schwere Arbeit erleichtern und Verletzungen vorbeugen, andererseits können sie zur Überwachung dienen und den Leistungsdruck erhöhen. Im schlimmsten Fall könnte das bloße Mensch sein in Zukunft als Schwäche ausgelegt werden.
Das Verschwinden des Menschen?
Wenn wir uns digitalisieren und den Maschinen ähnlicher werden, müssen wir neu deuten, was der Mensch ist und verstehen, was wir verlieren.