Geschichte der Stadtplanung

Die wechselvolle Geschichte der Stadtplanung zeigt keinen eindeutigen Sieger. Selbst in Weltstädten gab es gigantische Fehlleistungen, einst gefeierte Architektur wird heute oft als Last empfunden.

Das Bild zeigt ein Slum in Jakarta. Im Hintergrund sind Hochhäuser der Megacity zu sehen. Das Bild illustriert einen Artikel über die Geschichte der Stadtplanung.
Die indonesische Hauptstadt Jakarta gilt als abschreckendes Beispiel. 40 Millionen Menschen leben in diesem Ballungsraum, so etwas wie Planung gab es praktisch nicht. © Getty Images

James Cook, der Weltumsegler, war angeekelt. „In ganz Batavia ist uns nicht ein einziger Mensch vorgekommen, der recht frisch und gesund ausgesehen hätte.“ Das war 1770. Heute gilt Jakarta (das frühere Batavia), die Hauptstadt Indonesiens, mit rund 34 Millionen Einwohnern nach Tokio als zweitgrößte Metropolregion weltweit. Die Lebensumstände haben sich kaum verbessert.

Unter den schweren Hochhäusern wird immer mehr Grundwasser aus dem Boden gepumpt, wodurch manche Viertel bis zu 20 Zentimeter jährlich absinken. Das Verkehrschaos ist legendär, die einzige U-Bahn-Linie kaum länger als die Wiener U1. 1960 hatte Jakarta noch weniger als drei Millionen Einwohner, außerhalb der Kernzone wächst die Stadt seither unkontrolliert wie ein von Müll genährtes Geschwür.

Die Situation ist so hoffnungslos, dass sich die indonesische Regierung zur Flucht entschlossen hat: Am 17. August 2024 wird auf der Nachbarinsel Borneo die neue Hauptstadt Nusantara eröffnet, selbstverständlich als Öko-Planstadt konzipiert. Jakarta wird seinem Schicksal überlassen und versinkt wohl in naher Zukunft im Meer; der Klimawandel wird dabei die geringste Rolle spielen.

Jakarta gilt als Worst-Case-Beispiel für das, was passiert, wenn mangelnde oder nicht vorhandene Stadtplanung auf ungezügeltes Wachstum trifft. Aber letztlich sei alles nur eine Frage des Blickwinkels, meint die Expertin Adrienne Grêt-Regamey: „In Jakarta sind die zum Teil illegalen Quartiere sehr gut selbstorganisiert, mit eigenen Schulen und Abfallentsorgung. So können Leistungen erbracht werden, die anders nicht von den Einwohnern bezahlbar wären. Es sind Viertel mit hoher Kraft zur Eigenverantwortung. Chaos ist deshalb das falsche Wort. Es sind eher Möglichkeiten, die wir uns in der westlichen Welt nicht vorstellen können.“

Das Bild zeigt die Avenue des Champs-Élysées zwischen 1890 und 1900 in Paris.
Die Pariser Boulevards gelten als Ideal der luftigen Stadtgestaltung. Der eigentliche Zweck war aber, einen schnelleren Truppenaufmarsch bei Revolutionen zu ermöglichen. © Getty Images

Stadtplanung ist Luxus

In der Stadtentwicklung läuft das Rennen zwischen chaotischem Wachstum und Planung schon über Jahrtausende, und ein klarer Sieger ist noch immer nicht in Sicht. Ein Blick auf die am schnellsten wachsenden Metropolen von gestern und heute zeigt vor allem eines: Stadtplanung muss man sich leisten können – gesellschaftlich, finanziell und früher auch militärisch. Erste Indizien für Kanalisation, Wasserversorgung und rasterartige Straßensysteme lassen sich bis ins 3. Jahrtausend vor Christus zurückverfolgen. Das Römische Reich übernahm die klare Struktur der griechischen Städte, fügte jedoch in der Hochblüte der Eroberungsjahre eine Technologie- und Luxuskomponente hinzu.

Eine Frühform von Beton eröffnete ungeahnte gestalterische Möglichkeiten. Die Bürger durften sich an gepflegten Gärten, Badehäusern, Markthallen, Amphitheatern und sogar Fußbodenheizungen erfreuen. Aber Luxus macht träge. Mit dem Sieg der Germanen über die Römer war es vorbei mit fortschrittlicher Lebensqualität. Das zu Recht finster genannte Mittelalter brach an, was etwa tausend Jahre Rückschritt in der Stadtentwicklung bedeutete.

Machtgebaren und Größenwahn

Weit über das Mittelalter hinaus herrschte in Europa permanente Kriegs- und Überfallsgefahr. Dementsprechend lag der Schwerpunkt der Stadtplanung auf der Verteidigung. Das Recht zum Mauerbau war übrigens von einem Privileg des jeweiligen Machthabers abhängig. Erst die Stadtmauer machte eine Stadt zur Stadt. Massive Befestigungsanlagen zogen die Grenzen, innerhalb derer es kaum Raum für Erweiterung oder gar Innovation gab.

Es war der technische Fortschritt und die damit einhergehende Veränderung der Kriegstaktik, die Stadtmauern obsolet machte. Am Beispiel Wien: Die ab 1858 geschleiften Stadtmauern schufen Platz für die prächtige Ringstraße; die bisherigen Vorstädte wurden eingemeindet; und auf dem außerhalb liegenden Ring der Exerzier- und Schießplätze entstand der Wiener Gürtel mit neuen Straßen- und Eisenbahnverbindungen.

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Zahlen & Fakten

Paris erlebte ab 1853 das bis heute radikalste, nicht durch Kriegszerstörungen bedingte Beispiel für Stadtentwicklung. Wie später auch Adolf Hitler war Napoleon III. mit demokratischen Mitteln an die Macht gelangt, um sich wenige Jahre später zum Kaiser krönen zu lassen. Der Neffe von Napoleon Bonaparte wählte den Juristen Georges-Eugène Haussmann, um seine Ideen einer neuen, von Enge und Schmutz befreiten Hauptstadt umzusetzen. Ganze Stadtviertel mussten monumentalen Sichtachsen weichen. Paris bekam innerhalb von nur 20 Jahren sein heutiges luftig-elegantes Stadtbild.

Es waren allerdings Enteignungen, Zwangsumsiedlungen, Korruption und Spekulation, die diesen Fortschritt begleiteten. Zudem sollten die breiten Boulevards vor allem dazu dienen, im Falle einer weiteren Revolution den Aufmarsch des Militärs zu beschleunigen. Politischer Größenwahn und Machtgebaren sind seither eng mit dem Thema Stadtentwicklung verbunden.

Strenge Straßenraster und Sichtachsen mit Monumentalbauten prägen den Aufbau von Washington. Zar Peter der Große etablierte gegen den Willen des russischen Adels St. Petersburg als neues Machtzentrum. Da aber Baumaterial in der Gegend knapp war, musste jeder Einwohner jährlich 100 Steine abliefern. Nach dem Endsieg plante Hitler, Berlin zur Welthauptstadt Germania umzuformen, deren Machtzentrum ein bis heute unübertroffener 320 Meter hoher Kuppelbau werden sollte.

Zeit der Zwischenräume

Die Mitte des 19. Jahrhunderts war aber auch von den Veränderungen durch die Industrielle Revolution geprägt. Neu entstandene Fabriken zogen die Landbevölkerung an, Eisenbahnen ließen schnelleren Materialtransport und längere Arbeitswege zu. Der sprunghaft steigende Bedarf an Wohnraum führte alle Großstädte ans Limit.

Mit den Ideen des Architekten Le Corbusier und dessen „Plan Voisin“ nahmen die Trabantenstädte erste Formen an. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ebneten dann endgültig den Weg zu Großwohnsiedlungen und dem Baustil des Brutalismus mit Sichtbeton und extrem schlichten Formen.

Das Bild zeigt eine Hochstraße in der Innenstadt Hannovers, auf der Autos verkehren.
Das heute befremdlich wirkende Konzept der autogerechten Stadt fand einst breite Zustimmung. Es gab noch 1995 Proteste gegen den Abriss der Hochstraße in der Innenstadt von Hannover. © HAZ-Hauschild-Archiv im Historischen Museum Hannover

Stadtplaner Rüdiger Lainer fasst das seither vorherrschende Prinzip von Trial-and-Error zusammen: „In der Gründerzeit wurde dicht und komplex gebaut, mit hoher Nutzungsvielfalt, jedoch überlagert von sozialer Problematik. Als Antithese plante man die offenen Großsiedlungen in Zeilen oder Türmen. Die großzügigen Zwischenräume zwischen den Bauten in den Satellitenstädten waren räumlich und sozial wenig attraktiv. Als Antithese zur Antithese wurde die differenzierte Blockbauweise entwickelt. Sie ermöglicht soziale Nähe, neigt aber auch zu starren Strukturen. Dieser städtebaulichen Pendelbewegung fehlt seit hundert Jahren eine Synthese. Die heutige Herausforderung besteht darin, die Gegensätze der Vergangenheit – Intimität und Weite, soziale Intensität und räumliche Qualität – miteinander zu verbinden.“

Stadtplanung war also immer auch Moden und zeitgenössischen gesellschaftlichen Vorstellungen unterworfen. Viele der heute geächteten architektonischen Strömungen waren schlicht Kinder ihrer Zeit. Der Brutalismus etwa stand einst für gelebte Modernität und brachte auch die bis heute fantastisch wirkenden Bauten des Brasília-Schöpfers Oscar Niemeyer hervor. Die autogerechte Stadt wiederum sollte den damals neuen Freiheiten der Individualmobilität gerecht werden und entsprach damit weitgehend dem gesellschaftlichen Konsens der Zeit.

Das Bild zeigt den Nationalkongress in Brasília.
In Brasília schuf Oscar Niemeyer zwischen 1957 und 1964 eine Vielzahl von heute noch gültigen Architekturikonen wie den Nationalkongress. © Getty Images

In historisch gewachsenen Vierteln war das „Klo am Gang“ selbst in den 1970er-Jahren noch durchaus üblich, insofern brachte jeder Neubau Besserung. Architekt Ernst Gruber: „Man war stolz darauf, in relativ kurzer Zeit zehntausende neuer Wohnungen bauen zu können, die mit einer deutlichen Steigerung an Wohnqualität aufwarten konnten.“

Aber wie soll nun die Stadt von morgen aussehen? Sind die grünen Visionen von autofreien Wohlfühlvierteln mehrheitsfähig? Expertin Daniela S. Fiedler: „Es werden sicher Besitzstandsverteilungen neu ausgefochten. Die autogerechte Stadt hat trotz Elektroautos keine Zukunft. Es geht letztlich um Fortbewegungsgerechtigkeit für alle, besonders für Kinder und ältere Menschen. Das Auto kann noch seinen Platz haben, aber sicher nicht mehr an erster Stelle.“

Oder lassen sich die Herausforderungen des noch immer gewaltigen Zustroms in die Städte nur durch neugedachte Megacitys bewältigen? Die nigerianische Hauptstadt Lagos etwa soll bis 2100 fast 90 Millionen Einwohnern erreichen. Steht uns also gar eine neue Epoche des Monumentalismus bevor? Neue Projekte gehen jedenfalls in diese Richtung: In der saudischen Wüste soll das 170 Kilometer lange Neom-Bauwerk entstehen, in Tokio eine 2.000 Meter hohe Pyramidenstadt.

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Conclusio

Seit Jahrhunderten mühen sich Architekten an der perfekten Stadt ab – und so wird es wohl bleiben. Die Umsetzung eines Konzepts kann Jahrzehnte dauern und wird auf dem Weg oft schon von der nächsten Zeitströmung überholt. Tatsache ist, dass im gewachsenen Altbestand der Individualverkehr an Bedeutung verliert und dafür Erholungsflächen dazugewinnen werden. Energieeffizienz ist wichtig, hat aber auch die Kraft, Atmosphäre zu zerstören. Neubaugebiete werden benötigt, sind aber immer schwieriger zur Zufriedenheit aller umzusetzen. Dazu driftet der gesellschaftliche Wertekonsens zu sehr auseinander. Für städtische Lebensqualität ist auch persönliche Verantwortung und ein Heimatgefühl essenziell. Letzteres zu erzeugen ist wahrscheinlich der schwierigste Teil in der Planung der Stadt der Zukunft.

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