Wann wird Deutschland „Kriegspartei“?

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hat die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit dem Argument abgelehnt, dass Deutschland keine indirekte Kriegspartei werden wolle. Besteht die Gefahr tatsächlich?

05. März 2024 in Calw: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.r.) und Brigadegeneral Ansgar Meyer (r.), Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK), begutachten Waffen. Das Bild illustriert einen Kommentar über die Frage, wann Deutschland Kriegspartei wird.
05. März 2024 inCalw: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.r.) und Brigadegeneral Ansgar Meyer (r.), Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK), begutachten Waffen. © Getty Images

Der Begriff „Kriegspartei“ gehört, wie auch jener des Krieges, in das Völkerrecht vergangener Zeiten. Also vor 1928 und 1945 und damit jenen Jahren, in denen der Krieg und später jegliche militärische „Gewalt“ (Artikel 2 Absatz 4 Satzung der Vereinten Nationen) verboten wurden.

Bis dahin war der Krieg zwar nicht pauschal verboten (eine lange Geschichte), aber nicht eindeutig erlaubt. Bis zum 19. Jahrhundert dominierte der naturrechtliche Gedanke des „gerechten Krieges“, der eben dann gerechtfertigt war, wenn er von einer dazu befugten Instanz (auctoritas), also einem anerkannten Machthaber bzw. der zuständigen Regierung angeordnet und mit gerechter Absicht (recta intentio) geführt wurde, auf einem gerechten Grund – allen voran Selbstverteidigung, Schadens-Wiedergutmachung oder vorangegangenes Unrecht – fußte (iusta causa), hinreichende Erfolgsaussichten hatte und es keine gelindere Alternative (ultima ratio) gab.

Wie man sich schon denken kann, war die Auslegung dieser Grundsätze schwierig. Unzählige Theologen, Philosophen und eben Juristen (das ging damals Hand in Hand) haben sich daran die Zähne ausgebissen, ob und wann ein „gerechter Krieg“ vorliegt. Die große Schwäche dieser Theorie bestand in der Frage, wer darüber entscheidet und, damit einhergehend, ob zwei oder mehrere Staaten gleichzeitig einen gerechten Krieg führen können. Falls ja, taugt die Definition jedenfalls weniger zur Vermeidung als vielmehr zur Rechtfertigung von Kriegen.

Positivismus und Krieg

Während des 19. Jahrhunderts bewegte sich das (Völker-)Recht weg vom Naturrecht und hin zum Positivismus: Also der Vorstellung (auf das Kürzeste heruntergebrochen), dass Recht und Moral zu trennen sind. Recht ist Recht und alles kann Recht sein, auch Unrecht.

Während des 19. Jahrhunderts bewegte sich das (Völker-)Recht weg vom Naturrecht und hin zum Positivismus: Also, dass Recht und Moral zu trennen sind.

In den zwischenstaatlichen Beziehungen ging der Aufstieg des Rechtspositivismus mit einem robusten Souveränitätsverständnis einher: Niemand darf sich in innere Angelegenheiten einmischen. Nach außen gilt wiederum, dass Staaten ihre Interessen gegebenenfalls mit kriegerischen Mitteln durchsetzen durften: Die „souveräne Staatsgewalt tritt besonders … in dem Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schließen (jus belli ac pacis)“ hervor, wie wir in einem damaligen Standard-Lehrbuch (von Franz von Liszt) lesen: „Das äußerste Mittel zur Durchsetzung eines wirklichen oder vermeintlichen Anspruches, die ultima ratio zur Erledigung völkerrechtlicher Streitigkeiten, bleibt auch im heutigen Völkerrecht der Krieg.“

Die Frage, ob ein Staat „Kriegspartei“, also „kriegführend“ ist, war damals von enormer Bedeutung. Wer an einem Krieg teilnimmt, darf auf seinem Staatsgebiet und auf Hoher See angegriffen werden (bzw. selbst angreifen) und kann von seinem Gegner nicht die Einhaltung von Verträgen verlangen.

Nicht-Kriegsparteien

Umgekehrt hatten Nicht-Kriegsparteien (also neutrale Staaten) das Recht, weitgehend in Ruhe gelassen zu werden. Das ging mit gewissen Pflichten einher, allen voran durften sie keine Kriegspartei unterstützen, also keine Hilfstruppen entsenden, Geldmittel bereitstellen, das eigene Staatsgebiet zum Durchmarsch fremder Armeen oder für Angriffe zur Verfügung oder Waffen liefern. Die Verteidigung des eigenen Staatsgebiets (bewaffnete Neutralität) war hingegen nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Wer Zweckentfremdungen seines Gebiets nicht unterbinden kann, darf sich nicht wundern, wenn es zum Kriegsschauplatz wird. Das gilt übrigens damals wie heute.

Bei alledem gab und gibt es eine große Graustufe: Nicht jede Verletzung der Neutralität macht einen Staat zur Kriegspartei und damit zu einem legitimen Angriffsziel. Vielmehr gilt es, zu unterscheiden. Waffenlieferungen – um zum ursprünglichen Thema zurückzukehren – durften jedenfalls auf Hoher See und auf dem Gebiet einer Kriegspartei zerstört werden.

Post-1945: Aggression und Verteidigung

Bleibt die Frage, ob die Lieferungen auch auf dem Gebiet des Staates, der eine Kriegspartei mit Waffen versorgt, abgefangen bzw. angegriffen werden dürfen. Nach heutigem Völkerrecht ist sie mit „nein“ zu beantworten. Völkerrechtlich gilt schließlich das Gewaltverbot, das nur zwei Ausnahmen kennt: Autorisierungen des UNO-Sicherheitsrats (im Fall der Ukraine ist das aufgrund des russischen Vetos hinfällig) und das Recht auf Selbstverteidigung. Dieses steht allerdings nur gegen „bewaffnete Angriffe“ zu. Waffenlieferungen fallen nach allgemein akzeptierter Ansicht nicht darunter (allenfalls kann man diskutieren, ob sie in Verbindung mit der Ausbildung erfasst sind).

Im vorliegenden Fall ist das aber irrelevant. Russland ist schließlich der Aggressor, wie auch eine eindeutige Mehrheit in der UNO-Generalversammlung (bei nur fünf Gegenstimmen, eine davon Russland selbst) festgestellt hat. Aus diesem Grund hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag unmittelbar nach Beginn des Krieges angeordnet, dass die russischen Truppen abgezogen und die Kampfhandlungen eingestellt werden müssen.

Jedwede militärische Unterstützung der Ukraine ist erlaubt, von Waffenlieferungen über die Ausbildung bis hin zur (hypothetischen) Entsendung eigener Soldaten.

Damit darf kein Staat Russland militärisch unterstützen. Tut er es doch – wie der Iran, Nordkorea oder Belarus –, können andere Länder auch gegen sie Handelsembargos verhängen, Verträge aufkündigen oder Wirtschaftshilfen einstellen.

Militärische Maßnahmen sind hingegen erst dann möglich, wenn ihre militärische Unterstützung darüber hinausgeht, beispielsweise durch die direkte Beteiligung bei der Zielauswahl oder das Zur-Verfügung-Stellen des eigenen Staatsgebiets für Angriffe.

Im Umkehrschluss ist jedwede militärische Unterstützung der Ukraine erlaubt, von Waffenlieferungen über die Ausbildung bis hin zur (hypothetischen) Entsendung eigener Soldaten. Die Ukraine ist kein legitimes Angriffsziel und damit – rein logisch – auch keines der Länder, die sie militärisch unterstützen. Egal, in welcher Form oder wie lange. Der „Kriegspartei“-Status ist damit völlig irrelevant.

Pazifismus und Angst

Neben der rechtlichen gibt es freilich eine weitere Debatte – die Sorge, direkt in Russlands Krieg hineingezogen zu werden. Das kommt nicht von ungefähr, Länder wie Deutschland und Österreich haben zwei Weltkriege verloren und sich seitdem – glücklicherweise – unterschiedlichen Spielarten des Pazifismus verschrieben.

Nur: Frieden braucht zwei, Krieg nur einen. Und das Recht spielt hier eine untergeordnete Rolle, sonst hätten Putin und seine Getreuen weder diesen Krieg begonnen noch all die damit einhergehenden Verbrechen zugelassen, ja angeordnet.

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