Deutschlands Wohlstand in Gefahr

Deutscher Wohlstand bröckelt: Unter den großen Volkswirtschaften war das Land im Vorjahr unter den Schlusslichtern. Man müsste über Effizienz und Wachstum reden statt über Verteilung und Bewahrung.

Illustration eines Mannes mit Gehstock auf einem Felsen in Anmutung eines prominenten Gemäldes von Caspar David Friedrich. Er blickt jedoch auf moderne Windräder. Das Bild illustriert einen Beitrag darüber, dass Deutscher Wohlstand nicht selbstverständlich ist.
Deutschlands Wirtschaft fehlt die Perspektive. © Jens Bonnke
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Auf den Punkt gebracht

  • Flaute. Nur drei Jahre nach dem Corona-Crash erlebt Deutschland 2023 neuerlich eine Rezession.
  • Themenverfehlung. Zu häufig steht Deutschland wegen selbst auferlegter Sparsamkeit in der Kritik.
  • Investitionen. Tatsächlich investieren deutsche Unternehmen mehr im Ausland als umgekehrt.
  • Reformstau. Gewinne werden hoch besteuert, Trotzdem steht eine Steuerreform genauso wenig auf der  Agenda wie der Abbau der Bürokratie.

Deutschlands Wirtschaft schlitterte im Vorjahr in eine Rezession. Die Stimmung der Unternehmer ist mies, Protestwellen von Bauern bis hin zu Bahnmitarbeitern machen der Politik zu schaffen. Wie ist es so weit gekommen?

Das Jahrzehnt zwischen Finanzkrise und Pandemie wird heute in Deutschland von vielen als goldenes Zeitalter wahrgenommen. Aber wo kam das deutsche Wachstum in diesen vermeintlich goldenen Jahren vor allem her? Eine zentrale Rolle spielte vor allem die Zunahme der Erwerbstätigen; zwischen 2010 und 2020 stieg deren Zahl um rund 3,8 Millionen Menschen. 

Das lag teils an Zuwanderung, teils an einer besseren Mobilisierung von zuvor Arbeitslosen. Demografisch bedingt wird diese Quelle des Wachstums für Deutschland absehbar versiegen. Es wird schwieriger, überhaupt genügend arbeitswillige und -fähige Zuwanderung zu organisieren, um durch Alterung wegfallende Erwerbspersonen zu kompensieren. 

Letztlich ist das durch zusätzliche Arbeitskräfte generierte Wachstum aber auch gar nicht die Art von Wachstum, die wir wollen. Geht es darum, wirklich wohlhabender zu werden, dann ist die Produktivität der Schlüssel. Mit jeder eingesetzten Arbeitsstunde soll mehr Wertschöpfung ermöglicht werden. Aber das Produktivitätswachstum war im Jahrzehnt vor der Pandemie bereits deutlich geringer, als es zuvor gewesen war. Es gibt nicht die eine, große Ursache für die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. 

Das Land ähnelt dem Gulliver, der in Swifts Märchen von vielen kleinen Stricken gefesselt wird. Verschärfend kommt allerdings hinzu, dass wir uns im Gegensatz zu Gulliver sogar selbst gefesselt haben. Was sind also die wesentlichen Probleme? 

Alarm aus der Industrie

Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den in der Folge gestiegenen Energiepreisen treibt die Deutschen die Angst vor der Deindustrialisierung um. Der im Vergleich zu anderen großen europäischen Ländern immer noch hohe Industrieanteil wird hierzulande als Garant für beständigen Wohlstand verstanden. Wenn nun zum Beispiel Teile der chemischen Industrie ins Ausland verlagert werden oder wenn deutsche Autoproduzenten Marktanteile verlieren, dann gilt das als starkes Alarmsignal.

Deutschland wird auf absehbare Zeit keinen Wettbewerbsvorteil bei energieintensiven Industrien haben.

Deutschland wird mit hoher Sicherheit auf absehbare Zeit keinen Wettbewerbsvorteil bei besonders energieintensiven Industrien mehr haben. Auch ein schneller Ausbau erneuerbarer Energien würde daran nichts ändern. Sonne und Wind schicken zwar in der Tat keine Rechnung, doch die Kosten, etwa für Speicher und den Leitungsausbau, werden hoch bleiben.

Auch bei den Erneuerbaren haben andere Länder Vorteile: sonnenreiche Gegenden wie Australien oder Spanien oder Staaten mit langen windreichen Küsten wie Großbritannien oder Norwegen. Ein sinkender Industrieanteil wäre dann nicht schlimm, wenn an seine Stelle hochproduktive, auch forschungs- und entwicklungsorientierte Dienstleistungen träten. Solche strukturellen Anpassungen sind immer mit einigen Schmerzen verbunden. Aber letztendlich sind diese Reformen die Voraussetzung für weiteres Wachstum.

Der Glaube, mit Subventionen wie einem Industriestrompreis dauerhaft globale Kostennachteile auszugleichen, ist dagegen vollkommen verfehlt. Entsprechend problematisch ist der politische Instinkt, der gegebene Strukturen schützen will. Dieses Anstemmen gegen notwendige Anpassungen kostet enorm viel Geld, das woanders besser investiert wäre. Wer Milliarden für Subventionen ausgibt, kann dasselbe Geld nicht mehr in Bildung oder Infrastruktur investieren oder für Steuersenkungen verwenden.

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Zahlen & Fakten

Der Stempel entscheidet

Auch die überbordende Bürokratie und die mangelnde Digitalisierung des öffentlichen Sektors bremsen die Wirtschaft. Ob ein Investitionsvorhaben wie geplant durchführbar ist, lässt sich erst sagen, wenn der amtliche Stempel auf dem Bescheid ist. Zudem zwingt die Politik den Privatsektor durch Regulierung zu politisch gewünschten Handlungen. Dabei entstehende Zusatzkosten für Unternehmen tauchen in keinem öffentlichen Budget und in keiner Staatsquote auf, obwohl sie doch unmittelbar vom Staat verursacht wurden. 

Wir diskutieren in Deutschland derzeit ausführlich über eine öffentliche Investitionsschwäche als angebliche Nebenwirkung der Schuldenbremse, die im Jahr 2009 neu ins Grundgesetz kam. An diesem Argument sind Zweifel angebracht. Der Anteil der öffentlichen Investitionen an der Wirtschaftsleistung hat sich seit der Einführung der Schuldenbremse nämlich kaum verändert. Natürlich kann man sich beispielsweise eine bessere Schienen- und Straßeninfrastruktur oder schönere Klassenzimmer wünschen. Man muss dann aber auch bereit sein, auf andere Staatsausgaben zu verzichten. Auch der Staat kommt nicht darum herum, Prioritäten zu setzen – und eben dafür sorgt die Schuldenbremse. 

Erdrückende Steuerlast

Für das Wachstum viel entscheidender sind aber ohnehin die Investitionen von privaten Unternehmen. Deutschland gefällt sich in seiner Rolle als exportorientiertes Land, dadurch fließt mehr Geld für Güter und Dienstleistungen aus dem Rest der Welt nach Deutschland als umgekehrt. Dagegen spricht auch nichts. Man kann die deutsche Konstellation aber durchaus als Symptom einer Investitionsschwäche im Inland interpretieren. Denn die Gewinne aus dem Exportgeschäft fließen als Investitionen wieder ins Ausland: Die deutschen Unternehmen investierten 2022 um 131 Milliarden Euro mehr im Ausland als ausländische Unternehmen in Deutschland. 

Erschwerend hinzu kommt die hohe Abgabenlast: Mit einem Steuersatz auf Unternehmensgewinne von 29,9 Prozent liegt Deutschland in der Hochsteuergruppe der OECD-Länder. Dieser Wert liegt fast sechs Prozentpunkte über jenem in Österreich, und er liegt über zehn Prozentpunkte oberhalb der Steuerbelastung in der Schweiz. Aus der Sicht einer Unternehmerin, die einen Standort für eine neue Produktionsstätte sucht, macht Deutschland derzeit nicht den besten Eindruck: Geboten werden hohe Steuern und Abgaben, langsame und unberechenbare Verwaltungsprozesse, mäßige Infrastruktur, ein demografisch absehbarer Mangel an (vor allem hoch qualifizierten) Arbeitskräften und damit absehbar auch weiterhin hohe Arbeitskosten.

Sonderlich angesehen sind Wirtschaftstreibende hier auch nicht: In Deutschland wird unternehmerische Freiheit zunehmend skeptisch betrachtet. Und während politisch seit Jahrzehnten zunehmend neurotisch über Verteilungsfragen diskutiert wird, möchte niemand mehr über Effizienz und Leistung reden. 

Kein attraktives Zielland 

Nun wollen wir wenigstens den demografischen Engpass durch Zuwanderung von Arbeitskräften kompensieren. Aber was sehen ausländische Fachkräfte, die auf Deutschland schauen? Eine hohe Steuerlast auf Arbeitseinkommen. Sie sehen, dass sie viel Geld für ein Rentensystem zahlen müssen, aus dem sie nur relativ wenig beziehen werden und das ihnen kaum Raum für private Vorsorge lässt. Und sie sehen insgesamt ein Land mit wenig Wachstumsdynamik und einem geringen politischen Interesse, daran ernsthaft etwas zu ändern. 

Wieso sollte ein gut ausgebildeter Arbeitnehmer, der auch Angebote aus der Schweiz oder Kanada
hat, nach Deutschland kommen?

Im Wettbewerb um Arbeit und Kapital hat Deutschland in seinem aktuellen Zustand denkbar schlechte Karten. Angesichts des Zustroms im Bereich der irregulären Zuwanderung hält sich immer noch die Illusion, Deutschland sei insgesamt ein beliebtes Zielland, und man könne sich die Fachkräfte mehr oder weniger aussuchen. Aber wieso sollte ein gut ausgebildeter Arbeitnehmer, der auch Angebote aus der Schweiz oder Kanada hat, nach Deutschland kommen? 

Investitionen möchte die Politik primär mit Subventionen anlocken, während eine ernsthafte Verbesserung der Standortbedingungen in Berlin praktisch niemanden mehr zu interessieren scheint. Angekündigte Initiativen zum Bürokratieabbau versickern in Ambitionslosigkeit, an Mehrheiten für große Steuerreformen ist nicht zu denken. Der Zeitgeist setzt auf den allwissenden, lenkenden Staat, der weiß, welche Branchen und Unternehmen mit Milliardensubventionen gestützt werden sollen. 

Die Sache hat nur einen Haken: Alle historischen Erfahrungen lassen erwarten, dass mit diesem Ansatz Steuergelder verbrannt werden und das Wachstum ausbleiben wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass Robert Habeck ein talentierterer Sozialplaner ist als alle seine Vorgänger, erscheint denkbar gering. Die Lage ist für Deutschland also nicht günstig. Sie ist aber andererseits auch nicht katastrophal.

Deutscher Wohlstand nicht selbstverständlich

Allein der demografische Trend wird dafür sorgen, dass Massenarbeitslosigkeit auf Jahrzehnte kein Problem sein wird. Es droht vielmehr ein langsamer, zunächst wenig spürbarer relativer Wohlstandsverlust, verglichen mit den erfolgreicheren Volkswirtschaften, die in den kommenden Jahrzehnten schneller wachsen werden. Das ist nun anders als etwa zu Beginn der 1980er-Jahre, als hohe Arbeitslosigkeit ein Umdenken in Politik und Öffentlichkeit bewirkte und eine recht breite Unterstützung für eine effizienzorientierte Reformpolitik ermöglichte. 

Deutschland droht Chancen liegen zu lassen und auf Wohlstandsgewinne zu verzichten, die mit klügerer Politik erzielt werden könnten. Wir müssten wieder mehr über Effizienz und Wachstum reden. Stattdessen reden wir immer noch vor allem über Verteilung und Bewahrung.

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Conclusio

Deutschland ist gefangen in einem Netz aus wirtschaftlichen und politischen Problemen. Das einstige Wachstum wurde hauptsächlich durch einen Zuwachs von 3,8 Millionen Erwerbstätigen zwischen 2010 und 2020 getragen. Jetzt stagniert die Wirtschaft, weil demografische Herausforderungen und schwache Produktivität bremsen. Dem Land fehlt eine zukunftsweisende Wachstumsstrategie, während der Zeitgeist auf einen überregulierenden Staat und Subventionen setzt. Dadurch sind Deutschlands Kostennachteile bei energieintensiven Industrien aber nicht wettzumachen. Der fehlende Leidensdruck verhindert dringend benötigte Reformen. Allen voran eine Senkung der Steuerlast und eine effizientere Bürokratie. Internationale Talente und Investoren gehen lieber in andere Länder.

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