Das Schnitzel als Fremdzuschreibung

Die Wiener waren die letzten, die vom Wiener Schnitzel erfuhren: Erst um 1900 kamen sie drauf, dass man in Paris und Prag ihre Liebe zur Panier längst enttarnt hatte. Eine Analyse mit Peter Peter.

Eine Gruppe von Menschen steht vor einem Café das Café Wien heißt. In der Mitte steht eine Frau und hat die Hände in die Hüften gestützt. Das Bild illustriert einen Beitrag über Schnitzel.
Cafe, Thee, Chocolade ja. Schnitzel vielleicht: Wien circa 1904. © Getty Images

Irgendwann Anfang des 19. Jahrhunderts muss es irgendwo in Wien begonnen haben: Die Angewohnheit, Gemüse, Pilze, Fleisch, was es so gab, zu panieren und in Schmalz oder Butter oder beidem auszubacken. In Prag und Paris, sogar in den feineren Restaurants, sprach man bald von der Wiener Art, Kalbfleisch zuzubereiten, L'escalope à la viennoise, sagte man allerorten. Wiener Schnitzel. Nur in Wien nicht.

Der Podcast

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Noch um 1900, als das Wiener Schnitzel einen ersten Zenit der Beliebtheit erlebte, erzählte man sich in Wien lieber, das Schnitzel stamme aus Mailand, aus der Zeit, als das Königreich Lombardei noch zur Monarchie gehörte. Peter Peter verweist jedoch auf den gebackenen Karfiol, den gebackenen Zeller, die gebackenen Champignons, ja den gebackenen Käse, und meint:

Die österreichische Küche paniert gerne. Man könnte auch sagen, sie hat einen Panierzwang.

Schon im Biedermeier habe man begonnen, zu panieren. Das Wiener Schnitzel sei dennoch ein elegantes Gericht, meint Peter Peter. Es ist aber ein militärischer Einschlag zu bedenken: Das Schnitzel hat nämlich neben der Panier, was sowohl Umhüllung oder Korb, als auch Kriegsgeschrei bedeuten kann, noch eine Garnitur. Das Bedeutungsfeld dieses Begriffs ist mindestens ebenso weit und franst ebenso ins Militärische aus wie jenes der Panier.

Ein Markt um 1900. Frauen in langen Röcken mit Hüten oder Kopftüchern stehen und reden an den Marktständen. Die blattlosen Bäume deuten darauf hin, dass es Herbst oder Winter ist. Das Bild illustriert einen Beitrag, der sich mit einem Podcast über die Geschichte des Schnitzels befasst.
Am Naschmarkt in Wien um 1903. Hier konnte ein Teil der Wiener Garnitur erworben werden – allerdings nicht zu jeder Saison. © Getty Images

Zur „Garnitur“ des Wiener Schnitzels gehörten in Paris eine Zitronenspalte, Kapern und Eidotter. In Wien aber lediglich die Zitronenspalte. Die Belle Epoque, von der Gründerzeit bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs (sie war nicht für jeden Erdteil Belle) reichend, war aber frankophil und möglicherweise wurde das Wiener Schnitzel tatsächlich eine zeitlang so serviert, auch in Wien – schließlich sah man sich nicht als Ursprung des Schnitzels und insofern wohl auch nicht zuständig für die reine Lehre.

Schnitzel in Garnitur

Peter Peter denkt, dass die einfache „Wiener Garnitur“ mit der Zitrone häufiger zu finden war. „Das Wiener Schnitzel ist ein Spargericht. In Wien wurde oft nur das Fleisch mit der Zitrone gereicht, ohne weitere Beilagen“, meint er. Zugleich ist aber zu vermuten, dass Zitronen vor allem zur Blüte der Panier und auch des Schnitzels eher teuer waren und das Schnitzel somit ein Gericht der Restaurants und der Oberschichten blieb.

Eine Frau mit einem großen Federhut sitzt einem Mann in einem schwarzen Anzug gegenüber. Das Bild ist Teil eines Beitrags über einen Podcast, der sich mit der Geschichte der Gastlichkeit beschäftigt.
Wien, Café Korb 1908: Es sieht so aus, als sei die Dame im Begriff zu zahlen. Möglicherweise ist der eingeladene Herr Karl Kraus. © Getty Images

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Diese Episode über das Wiener Schnitzel ist die vierte Folge unseres Podcast macht Hunger mit dem Gastrosophen Peter Peter. In unserer Podcastreihe macht Hunger geht es um die Kulturgeschichte des Essens und alle wirtschaftlichen Verstrickungen und politischen Machtspiele, die mit dem Essen und kulinarischen Traditionen verbunden sind. Die erste Folge über die Macht der Nationalgerichte können Sie hier nachhören, die zweite Folge über französischen Küchendrill hier, die dritte Folge über die klassenlose italienische Küche hier und das weitere Programm von macht Hunger nach dem Schnitzel finden Sie hier:

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Zahlen & Fakten

Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern in blauen Schuluniformen sitzt an einem Tisch. Im Vordergrund des Bildes sitzen drei Kinder, die gerade ihre Teller leer gegessen haben. Ein Mädchen blickt zur Seite, wo ihre Mitschülerin gerade ihren Teller leert. Das Bild gehört zur Ausstattung des Beitrags zum Podcast Machthunger des Pragmaticus.
Cheshire 1987. © Getty Images

macht Hunger – Ihr Programm bis Mitte Dezember

31. Oktober >> Essen global – Die Internationalisierung des Gaumens: „Der Grieche“ und „Der Italiener“ sind „um's Eck“, man geht auch „zum Chinesen“. Kein Tatort kommt ohne die Nachdenkpause in der Pommesbude aus, dabei gab es Pommes – die guten! – einst nur in Brüssel. Die Gaumenfreuden sind – Migration sei Dank – in Westeuropa internationaler geworden. Zugleich erlebt die Welt eine bedauerliche Standardisierung des Essens.

14. November >> Zucker, Zucker, Zucker: Oh Du süße Inflation: Zucker, tja, kann auch ganze Wirtschaften aufblähen und Spekulationsblasen erzeugen. Aktuell ist Zucker in Europa um 70 Prozent teurer als noch vor einem Jahr. Diese Folge von macht Hunger widmet sich der Wirtschaftsmacht der Lebensmittel.

28. November >> Jenseits der Piroggen: Dass die slawische Küche getreidelastig sei, ist ein Gerücht. Wahr ist vielmehr, dass sie jene Küche ist, die die kulinarische Qualität der Wurzeln – von Karotte bis Rübe – gewissermaßen erweckt und zur Vollendung gebracht hat.

12. Dezember >> Die Welt kocht vegetarisch? Ach, wäre es doch nur so. Es stimmt, der größte Teil der Weltbevölkerung ernährt sich ohne oder nur mit wenig Fleisch und auch in den reichen Ländern der Welt werden vegetarische Gerichte (wieder) beliebter. Dabei war es vor nicht allzu langer Zeit selbstverständlich, dass Wurst und Fleisch (und auch Schnitzel) nicht immer zu haben sind. Das Wort Sonntagsbraten deutet es bereits an. Diese Folge von macht Hunger widmet sich Aufstieg und Fall der Fleischgerichte nach dem Zweiten Weltkrieg.

Über Peter Peter

Portraitfoto von Peter Peter.
Beim Essen gibt es keine Zufälle: Gastrosoph Peter Peter zeigt im Podcast Machthunger wieviel politisches Kalkül im Essen steckt. © Gregor Kuntscher

Der Kulturwissenschaftler Peter Peter ist in der bayerischen Hauptstadt München aufgewachsen, hat in Klassischer Philologie promoviert und ist Autor zahlreicher Bücher über das Reisen und die Kochkulturen dieser Welt (unter anderem verfasste er auch eine Kulturgeschichte des Schnitzels bzw. der österreichischem Küche). Er lehrte an der von Slow Food gegründeten Università delle scienze gastronomiche in Pollenzo und Colorno. Seit 2009 lehrt er für den Masterstudiengang des Zentrums für Gastrosophie der Universität Salzburg das Modul „Weltküchen und Kochsysteme“ und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik.

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