Die Supermacht der Meere

Nur die US-Navy ist in der Lage, die Sicherheit der Handelswege zu gewährleisten. Wie verwundbar der internationale Frachtverkehr ist und wie die USA Handelswege weltweit schützen.

Illustration, wie die USA Handelswege sichern. Ein großes Kriegsschiff aus der Luftperspektive fährt vor einer Flotte von Containerschiffen, das schäumenden Kielwasser des Kriegsschiffes formt zwei schützendne Hände um die Frächter dahinter.
Dies USA geben Milliarden für den Schutz der Seewege aus, alle anderen profitieren gratis vom freien, sicheren Handel. © Jens Bonnke
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Auf den Punkt gebracht

  • Hegemon. Weltweit schützen nur die USA Handelswege effektiv mit ihrer Marine.
  • Seemächte. Historisch haben diese Rolle im 16. Jahrhundert Portugal, im 17. die Niederlande und im 18. und 19. die Briten übernommen.
  • Teuer. Der Unterhalt eines einzigen Flugzeugträgers pro Tag kostet im Hafen 250.000 Dollar, auf See 2,5 Millionen.
  • Unangefochten. China als US-Rivale ist derzeit meilenweit davon entfernt, als globale Seemacht aufzutreten.

Nicht einmal 200 Kilometer entscheiden darüber, ob der internationale Handel reibungslos funktioniert oder nicht: Der Suez-Kanal ist exakt 193,3 Kilometer lang und die mit Abstand kürzeste Route für den Verkehr der Containerschiffe zwischen Asien und Europa. Die Frachter kommen von japanischen, koreanischen und chinesischen Häfen durch das Südchinesische Meer, die Straße von Malakka, den Golf von Bengalen, das Arabische Meer, das Rote Meer und das Mittelmeer.

Jährlich passieren den Kanal etwa 20.000 Schiffe, was 12 bis 15 Prozent des weltweiten Seeverkehrs und sogar 25 bis 30 Prozent des Containerverkehrs entspricht. Damit ist diese Route das wichtigste Glied der globalen Lieferketten. Nicht zufällig ist sie auch der maritime Ast von Chinas Neuer Seidenstraße.

Angriff der Huthis

Seit die Huthi-Rebellen im Jemen aus Solidarität mit der Hamas und vermutlich angestiftet vom Iran im November 2023 begannen, Containerschiffe am Eingang zum Roten Meer anzugreifen, ist die Passage hochgradig gefährdet. Die Reedereien sind gezwungen, den Weg um Afrika herum nach Europa zu wählen, der je nach Abfahrts- und Zielhafen 10 bis 20 Tage länger dauert – mit entsprechend höheren Kosten und einer möglichen Stockung oder zeitweisen Unterbrechung der Lieferketten. Der drohende Ausfall von bis zu zehn Milliarden US-Dollar jährlicher Gebühren an die staatliche Kanalgesellschaft reißt ein großes Loch in den ägyptischen Staatshaushalt.

Die Attacken im Roten Meer zeigen, wie verwundbar der internationale Frachtverkehr auf den Ozeanen ist. Selbst kurze Verzögerungen können enorme Folgen haben – nicht nur für die Reedereien, sondern für die globale Wirtschaft und letztlich jeden einzelnen Konsumenten. 

Polizist der Meere

Allein die EU wickelt 60 Prozent ihres Außenhandels per Schiff ab. Doch wer kann überhaupt aktiv werden, wenn die Sicherheit der Seewege in Gefahr gerät? Einfache Antwort: nur die USA. Auf hoher See ist die alte Weltordnung noch intakt; die Vereinigten Staaten sind als einziges Land in der Lage, als Polizist der Meere aufzutreten und für Ordnung zu sorgen. Europa könnte diese Aufgabe nicht selbst übernehmen. 

Die USA sind als einziges Land in der Lage, als Polizist der Meere aufzutreten und für Ordnung zu sorgen. Europa könnte diese Aufgabe nicht übernehmen

Um zu erklären, wie es zu dieser Abhängigkeit kam, muss man etwas ausholen: Im Unterschied zu den exklusiv genutzten Küstengewässern ist die hohe See Teil der globalen Allmende, die niemandem gehört und als freie Gabe der Natur jedem zur Nutzung offensteht. 

Theoretisch gesprochen sind also sogenannte internationale öffentliche Güter bereitzustellen, um die Nutzung zu gewährleisten. Diese sind definiert durch Nichtausschließbarkeit, Nicht-rivalität und paradoxerweise Kosten-losigkeit. Das klassische Beispiel ist der Leuchtturm: Jedes Schiff kann seinen Dienst in Anspruch nehmen, die Nutzung durch ein Schiff beeinträchtigt kein anderes, und der Dienst ist wie die Nutzung der Seekarten kostenlos. Heute nimmt GPS diese Funktion wahr. In beiden Fällen, beim Leuchtturm wie beim Satellitensystem, muss es allerdings jemanden geben, der für die Errichtung und Erhaltung bezahlt.

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Zahlen & Fakten

Da es keinen Weltstaat gibt, der diese Dienste durch ein weltweites Steueraufkommen finanziert, muss derjenige einspringen, der die notwendigen Ressourcen, das technische Wissen und das größte Interesse besitzt, weil er der größte Nutznießer ist. Das waren stets die führenden See- und Handelsmächte – im 16. Jahrhundert Portugal, im 17. Jahrhundert die Niederlande und im 18. und 19. Jahrhundert Großbritannien. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts fällt diese Rolle den USA zu. 

Die Europäer erobern die Welt

All diese Länder standen (und stehen) vor dem Freiwilligendilemma: Entweder ich mache es, oder es macht keiner. Wenn ich es mache, muss ich auch für die Kosten aufkommen und die übrigen seefahrenden Nationen als „Freerider“ tolerieren. Das gleiche Argument galt für die Garantie der Sicherheit auf den Seerouten vor Piraten und Freibeutern. Allerdings musste die Idee von der Freiheit der Meere erst völkerrechtlich legitimiert und militärisch garantiert werden. Am Anfang der europäischen Welteroberung standen Verträge, die den Atlantik und den Indischen Ozean (Tordesillas 1494) sowie den Pazifik (Saragossa 1529) zu einem mare clausum machten und damit die See in Interessensphären einzelner Staaten aufteilten. Drittstaaten waren von der Nutzung ausgeschlossen oder mussten dafür Steuern entrichten. 

Im Vertrag von Tordesillas etwa wurde der Atlantik auf Vermittlung des Papstes in eine portugiesische und eine spanische Hälfte zur jeweils exklusiven Nutzung geteilt. Da sich die aufstrebenden protestantischen Seemächte Niederlande und England nicht an einen durch den Papst vermittelten Vertrag gebunden fühlten, ignorierten deren Freibeuter die Ansprüche daraus. Die Kaperung spanischer Flotten in der Karibik oder portugiesischer in asiatischen Gewässern sollte die finanzielle Basis des Mare-clausum-Anspruchs schwächen.

Der Musterprozess

Im Jahre 1603 kaperte der niederländische Seefahrer Jacob van Heemskerk in der Straße von Malakka die Karacke „Santa Catarina“. Die Versteigerung der Prise brachte seinen Auftraggebern, der Niederländischen Ostindien-Kompanie, so viel Geld ein, dass sie moralische Skrupel bekamen. Sie beauftragten den jungen Juristen Hugo Grotius, über die Legitimität des Vorgangs zu befinden. Grotius’ Gutachten „De jure praedae“ („Über das Prisenrecht“) legte im Kapitel „De mare liberum“ („Über die Freiheit der Meere“) die Axt an das Mare--clausum-Prinzip. Grotius argumentierte naturrechtlich, dass Besitz das Ergebnis von Arbeit sei. Da man das Meer nicht bearbeiten könne, lasse sich auch kein Besitzanspruch darauf ableiten. Es sei ein freies Gut im Sinne der Allmende, das jedem zur Nutzung offenstehe. 

Endgültig durchsetzen sollte sich das Prinzip der Freiheit der Meere aller-dings erst Ende des 18. Jahrhunderts. Unter den berühmten 14 Punkten des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson am Ende des Ersten Weltkriegs rangierte es als Punkt zwei und wurde schließlich im Seerechtsübereinkommen der UNO von 1982 Teil des Völkerrechts. 

So schützen die USA Handelswege

Heute wird die Freiheit der Meere von den sechs Flotten der United States Navy mit elf atomar angetriebenen Flugzeugträgern und insgesamt rund 300 aktiven Schiffen garantiert. Drei weitere Träger befinden sich aktuell in Erprobung, im Bau oder in der Planung. Im Hinblick auf die Container-Route zwischen Europa und Asien sind die Sechste Flotte im Mittelmeer, die Fünfte Flotte im Nahen Osten (die im Persischen Golf und der Arabischen See kreuzt) sowie die Siebte Flotte in Ostasien (die als größter Verbund den westlichen Pazifik und den größten Teil des Indischen Ozeans abdeckt) am wichtigsten. Falls deren Flugzeuge nicht ausreichen, steht die Air Force mit ihren Luftwaffenbasen im Mittelmeerraum und in Fernost bereit. 

Die Kosten sind enorm. Allein der neueste Träger „USS Gerald R. Ford“ hat 13 Milliarden US-Dollar Baukosten und 36 Milliarden Forschungsgelder verschlungen. Der Unterhalt eines einzigen Trägers pro Tag kostet im Hafen 250.000 Dollar, auf See 2,5 Millionen. Mit mehr als 330.000 Soldaten im aktiven Dienst, 100.000 in Bereitschaft und 200.000 zivilen Beschäftigten ist die Navy der drittgrößte Zweig der US-Streitkräfte nach Army und Air Force.


Es ist unvorstellbar, dass vom Außenhandel abhängige Länder wie Deutschland die Freiheit der Meere selbst durchsetzen könnten

Angesichts dieser Zahlen ist es unvorstellbar, dass außenhandelsabhängige Länder wie Deutschland selbst für die Durchsetzung der Freiheit der Meere sorgen könnten. Stattdessen ist Deutschland wie bei GPS ein fast kompletter Freerider. Der Beitrag der Bundesmarine zur Abwehr der Huthi-Angriffe bestand in der Entsendung einer einzigen Fregatte, deren Einsatz nach wenigen Wochen aus Munitionsmangel wieder beendet wurde.

Die Kosten von GPS, für die nur der amerikanische Steuerzahler aufkommt, sind genauso schwindelerregend. Es wurde in den 1970er-Jahren vom US Department of Defense entwickelt und wird heute von der US Space Force betrieben. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist es weltweit voll funktionsfähig. Allein die Kosten der Erstinstallation beliefen sich auf 12 Milliarden US-Dollar. Für den laufenden Betrieb hat die US-Regierung 2023 rund 1,8 Milliarden Dollar budgetiert. Das europäische Galileo hat nur eine regionale Reichweite. 

Auf absehbare Zeit wird kein anderes Land in der Lage sein, die Freiheit der Meere und deren Navigation weltweit zu ermöglichen. China unterhält zwei veraltete Träger sowjetischer Bauart, ein dritter, moderner wird erst in einigen Jahren einsatzbereit sein. Insofern ist sogar China mit seiner Neuen Seidenstraße ein Freerider der USA.

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Conclusio

Wirtschaftsader. Die globale Wirtschaft ist auf sichere Handelswege an-gewiesen. Tausende Schiffe transportieren Rohstoffe, Komponenten und Fertigprodukte. Allein die EU wickelt 60 Prozent ihres Außenhandels über den Seeweg ab. 
Piraterie. Aktuell sorgen Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer für Schwierigkeiten. Viele Reede-reien müssen auf der wichtigsten Strecke zwischen Europa und Asien nun den viel längeren Weg rund um Afrika wählen.
USA Handelswege. Garantieren können die Freiheit der Weltmeere nur die USA, deren Flotte überall präsent ist. Auch das Navigationssystem GPS wird von den USA finanziert. Genutzt wird es freilich von An-gehörigen aller Staaten.

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