Atomkraft, ja bitte!

Die puritanische Energiewende ist zum Scheitern verurteilt. Ohne Atomkraft wird Deutschland kein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleiben können.

Die Illustration zeigt einen grünen und einen roten Schalter jeweils mit Atomkraft-Symbol und vier Finger, die darauf zeigen. Das Bild illustriert einen Artikel zum Thema Atomkraft in Deutschland.
Die Energiestrategen der Zukunft sollten weder Atomkraftgegner noch Erneuerbaren-Hasser sein. © Jens Bonnke
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Auf den Punkt gebracht

  • Energiewende. Die Energiewende ruhte auf drei Säulen: Atomausstieg, Ausbau von Wind- und Sonnenenergie und deren Stützung durch Kohle- und Gaskraftwerke.
  • Umsetzung. Seit 2021 wurde die gesicherte Leistung aus AKW (12 Gramm CO2  pro kWh) durch fossile Energie (600–1200 Gramm CO2 pro kWh) ersetzt.
  • Energieversorgung. Der Totalumbau wird nicht die geringstmöglichen Emissionen und Kosten bringen, obwohl CO2-Preis und Netzentgelte steigen werden.
  • Strategiewechsel. Ohne den Wiedereinstieg in die Kernkraft wird der Klimaschutz nicht mit einer prosperierenden Industriegesellschaft vereinbar sein.

Deutschland will, wie so oft, der Welt ein Vorbild sein. In kaum einem anderen Land hat die Energiewende – also der Ausstieg aus der Kernenergie, die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien und der schrittweise Ausstieg aus Verbrennungsmotoren und fossilen Heizungstechnologien – politisch einen so hohen Stellenwert wie in Deutschland. 

Robert Habeck, grüner Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, riskierte vor ein paar Monaten für sein Heizungsgesetz sogar den Weiterbestand der Ampelkoalition. Doch wird der Atomausstieg, Kern der grünen Programmatik, immer mehr zur Belastung für die Klimastrategie. Die Abschaltung sämtlicher Kernkraftwerke ist ein schwerer Fehler und wird nicht nur der Umwelt schaden, sondern auch der deutschen Wirtschaft. 

Geplatzte Träume

Vor der russischen Invasion in der Ukraine hatte Deutschland bei seiner Energiewende auf drei Säulen gesetzt: Atomausstieg, massiver Ausbau der Wind- und Sonnenenergie sowie Stützung dieser variablen Erneuerbaren durch einen fossilen Kraftwerkspark aus Kohle- und Gaskraftwerken. Letztere sollten in ferner Zukunft durch wasserstofffähige Gasturbinen ersetzt werden. Doch dann kam der 24. Februar 2022. Russland startete seine Totalinvasion der Ukraine. 

Das zerstörte auch die deutsche Energiestrategie. Gazprom fiel über Nacht als günstiger Gaslieferant aus. Die Antwort des zuständigen Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums ist bekannt: Statt die klimafreundlichen deutschen Kernkraftwerke zu reaktivieren, setzte Deutschland auf Flüssiggas-Terminals, Kohleverbrennung und eine schwachbrüstige Betriebsverlängerung der drei letzten AKW ohne neuen Kernbrennstoff. Man war sich in Berlin trotz gegenteiliger Beteuerungen eben durchaus nicht sicher, ob der Strom sonst reichen würde. 

Die Richter in Karlsruhe haben der Energiewende ein für alle sichtbares Preisschild aufgeklebt

De facto hat die deutsche Energiewende seit ihrem Beginn 2002 insgesamt 21 Gigawatt gesicherte Leistung aus Kernkraftwerken mit einer Bilanz von 12 Gramm CO2 pro Kilowattstunde (kWh) und Stromgestehungskosten von 3 Cent pro kWh aus dem Markt genommen und durch eine ungefähr gleich große Leistung Fossilkraft ersetzt. Für den Klimaschutz ist das verheerend: Kohle verursacht je kWh rund 1.200 Gramm CO2, Gas bringt es auf 600 Gramm. Grüner Wasserstoff ist als Alternative nicht in Sicht, da diese Form der Langzeit-Stromspeicherung noch viel zu knapp und teuer ist.

Der Haushaltsschock

Genauso wie der Krieg war auch das Haushalts-Urteil des Verfassungsgerichts im Herbst 2023 ein Schock für die Bundesregierung, weil es sie zwang, unter völlig anderen als den erwarteten Rahmenbedingungen zu arbeiten. Zugleich haben die Richter in Karlsruhe der Energiewende ein für alle sichtbares Preisschild aufgeklebt. 

Bis dahin hatte die Bundesregierung die Löcher, die die Dreifachkrise aus Klimawandel, Krieg und Energienot gerissen hatte, mit Geld aus Sonderhaushalten zugeschüttet. Die Schuldenbremse ließ sich so umgehen, ohne Einsparungen an den großen Projekten aus Schönwetterzeiten vornehmen zu müssen.

Weniger Kosten, mehr Nutzen

Nun muss die Regierung zugeben, dass ihre Erneuerbaren-Offensive nicht der Selbstläufer ist, als den ihn die Anhänger von Wind und Sonne so gerne verkaufen. Um den Totalumbau der Energieversorgung zu finanzieren, muss es jetzt zu einer weiteren Umverteilung von unten nach oben kommen; CO2-Preis und Netzentgelte werden steigen. Allerdings bringt diese Strategie auch auf lange Sicht nicht die geringstmöglichen Emissionen und Kosten. Erneuerbare Energien sind volatil und erfordern sowohl ein fossiles Backup als auch einen Netzausbau – und für beides muss nun mehr bezahlt werden. 

Die Strompreise in Deutschland würden auf Dauer hoch bleiben, konstatierte der Ökonom Leon Hirth, ein Befürworter der Energiewende. Nun melden sich neben der Industrie, die um ihre Konkurrenzfähigkeit bangt, auch die Branchen an der Basis der Gesellschaft.

Bereits drei laufzeitverlängerte Kernkraftwerke würden pro Jahr mehr einsparen als das Gebäudeenergiegesetz.

Längst geht es nicht mehr um einzelne Subventionen und Besitzstände. Landwirte, Spediteure, Gastronomen und Handwerker – jene Menschen, die das Land am Laufen halten – merken einfach, dass tiefgreifende strukturelle Reformen nötig sind, und das betrifft insbesondere die Energiepolitik. Daher ist nun ein Strategiewechsel geboten.

Studien besagen, dass ein System, in dem Kernkraftwerke und Erneuerbare gemeinsam genutzt werden, geringere CO2-Vermeidungskosten aufweisen als ein System, das zu 100 Prozent auf Erneuerbare setzt. Je mehr Atomstrom im System ist, desto günstiger wird es, da weit weniger Umbaukosten für Netze und Speicher anfallen. Dies gilt insbesondere, wenn man auf bestehende AKW zurückgreifen kann. 

Auch auf die CO2 -Emissionen würde sich eine Nutzung von Kernkraftwerken positiv auswirken. Je nach Berechnungsgrundlage (AKW im Verhältnis zur Emission unseres Strommixes oder AKW als direkter Ersatz eines Kohlekraftwerks) könnte die Atomkraft pro Block und Jahr fünf bis elf Millionen Tonnen CO2 einsparen. Selbst die niedrigste Schätzung ergibt, dass bereits drei laufzeitverlängerte Kernkraftwerke pro Jahr mehr einsparen würden als das Gebäudeenergiegesetz, das nach Schätzungen des Öko-Instituts kumulativ bis 2030 lediglich Reduktionen zwischen 10,8 und 39,2 Millionen Tonnen CO2 bringen wird.

Was zu tun wäre

Was müsste in Deutschland getan werden, um von der absehbar zum Scheitern verurteilten puritanischen Energiewende auf eine kluge Strategie mit einem erneuerbar-nuklearen Ansatz umzusteuern? Zunächst sollte man die niedrig hängenden Früchte ernten und die Laufzeit der nach Ansicht von Fachleuten noch betriebsfähigen fünf Druckwasserreaktoren verlängern. Dafür müsste man ein Rückbau-Moratorium und eine Änderung des Atomgesetzes auf den Weg bringen, damit die kommerzielle Nutzung der Kernspaltung zur Stromerzeugung wieder legal wird. 

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Zahlen & Fakten

Gleichzeitig müssten sich die Fachminister mit ihren für die Atomaufsicht zuständigen Länderkollegen, den Betreibern und den Fachleuten der Kernkraftwerke zusammensetzen, um Zustand, Wartungs- und Modernisierungsbedarf jeder einzelnen Anlage zu bewerten. 

Die Gesamt-Modernisierungskosten der fünf Anlagen schätzt der Physiker Ulrich Waas, langjähriges Mitglied der Reaktorsicherheitskommission, in Beantwortung meiner Anfrage auf rund eine Milliarde Euro – also etwa 140 Euro pro Kilowatt installierter Leistung. 

Neue Atomkraftwerke braucht das Land

Das wäre ein sehr akzeptabler Kapitaleinsatz für die 55 Terawattstunden Strom, die diese fünf Anlagen im Jahr produzieren könnten. Was immerhin 44 Prozent der deutschen Windkraft im Jahr 2023 entspricht. Zum Vergleich: Ein neuer Offshore-Windpark kostet 2.400 bis 5.000 Euro pro Kilowatt, an Land sind es etwas über 1.000 Euro.

Doch mit fünf laufzeitverlängerten Kernkraftwerken lässt sich natürlich keine wirklich neue Energiestrategie aufziehen, in der die Kernenergie eine tragende Rolle spielt. Das müsste sie aber, denn um ein Nischendasein als Reserve in einem von erneuerbaren Energien dominierten System zu spielen, sind neue Reaktoren mit Errichtungskosten von rund 5.700 Euro pro Kilowatt installierter Leistung viel zu teuer. Ein Neubauprogramm lohnt sich nur für ein System, in dem ein hoher Atomstromanteil angestrebt wird. 

Dafür müssten zwei Voraussetzungen erfüllt werden: Erstens muss sich das Neubauprogramm auf Anlagen konzentrieren, die in der EU herstellbar und lizenziert sind. Das wären vor allem große Druckwasserreaktoren fortgeschrittener Bauart, wie sie Polen kürzlich in Südkorea und den USA bestellt hat. Auf derzeit weder erhältliche noch genehmigte Small Modular-Reactors zu setzen ist daher kein Weg für die deutsche Hochleistungselektrizitätswirtschaft, die für ein Net-Zero- CO2-Ziel 2050 voraussichtlich dreimal mehr Strom produzieren muss als heute. 

Die grüne Deutungshoheit beim Thema Atomkraft erodiert rapide.

Zweitens muss der Staat bereit sein, entweder selbst Kernkraftwerke zu bauen oder den Betreibern mit staatlichen Garantien bei der Senkung der Kapitalkosten zu helfen. Das wäre – allerdings mit größerer Erfolgsgarantie auf Versorgungssicherheit und Emissionsminderung – nichts anderes als das, was der Staat seit zwei Jahrzehnten mit der Förderung und Privilegierung von Erneuerbaren ohnehin schon praktiziert.

Voraussetzung für all diese Maßnahmen wäre natürlich ein kultureller Paradigmenwechsel. Umfragedaten zeigen, dass sich dieser in Deutschland bereits abzeichnet: Die Ampel wird von den Bürgern nicht mehr als Problemlöser wahrgenommen – und das Volk hat seine Atomangst verloren. Die grüne Deutungshoheit bei diesem Thema, die bis vor kurzem auch die Politik der nicht grünen Parteien mitbestimmte, erodiert rapide, und die Akzeptanz für Atomkraft ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Doch offenbar ist das Volk den Eliten bereits ein paar Schritte voraus. Noch sind die zuständigen Fachbehörden, die dem Umwelt- und Wirtschaftsministerium unterstellt sind, geprägt von der sozialdemokratischen und grünen Personalpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Atomgegner halten dort immer noch wichtige Leitungspositionen und treten regelmäßig mit antinuklearen Statements an die Öffentlichkeit. Eine Gesellschaft, die einen neuen Konsens ausbilden will, müsste also auch für mehr Sachlichkeit und Fachkenntnis in den Behörden sorgen.

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Conclusio

Russlands Überfall auf die Ukraine hat die Basis der deutschen Energiewende über Nacht zerstört. Die Energiestrategen der Zukunft werden umso erfolgreicher sein, je pragmatischer und technologieoffener sie denken. Sie dürfen weder Atomkraftgegner noch Erneuerbaren-Hasser sein. Sie nutzen Wind- und Sonnenenergie als Sprint-Anwendung für die Dekarbonisierung, weil diese für private Betreiber leicht und rasch zu bauen sind. Und sie setzen auf bewährte Leistungsreaktor-Konzepte als Marathon-Anwendung für die Stabilisierung der Stromversorgung und eine Netto-Null-Bilanz der Kohlen­dioxidemissionen, bei der sich die Mengen an emittiertem und absorbiertem Kohlen­dioxid aufheben. Dieser Weg verspricht eine nachhaltige Vereinbarkeit von Klimaschutz und prosperierender Industriegesellschaft am Standort Deutschland.

Der Pragmaticus bei Servus TV

Warum Deutschlands Abkehr von der Atomkraft für viele der gegenwärtigen Probleme verantwortlich ist und weshalb Klimaschutz nur mit Atomkraft funktioniert, erklärt Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland im Video.

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