Pro: Die Energiewende ist unsere Chance
Wer glaubt, die Energiewende beschränke sich auf den Umstieg auf erneuerbare Energie, denkt zu kurz. Es geht darum, bessere und dauerhaft nachhaltige Energiesysteme zu schaffen.
In der öffentlichen Diskussion wird die Energiewende oftmals mit einer Elektrizitätswende gleichgesetzt. Klar ist, der Elektrizitätsverbrauch wird in allen Sektoren steigen, eine zunehmende Elektrifizierung ist eine zentrale Säule der Dekarbonisierung. Die Energiewende betrifft aber nicht nur die Bereitstellung von erneuerbarer Elektrizität, sondern das gesamte Energiesystem.
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Damit eine Energiewende gelingen kann, ist eine systemische Vorgehensweise notwendig. Es geht darum, welche Energiedienstleistungen wir brauchen und wie wir sie effizient und erneuerbar bereitstellen können. Es werden Veränderungen im gesamten Energiesystem erforderlich sein. Die Politik ist hier auch abseits der klassischen Energiepolitik in allen Bereichen gefordert.
Verkehr
Für den Verkehrssektor gelten die Leitlinien „Vermeiden, verlagern, verbessern“. Die Raumplanung muss möglichst so gestaltet werden, dass unnötiges Verkehrsaufkommen von vornherein vermieden wird. Das bedeutet auch einen Stopp für die weitere Zersiedelung oder die Zunahme baulicher Verdichtung. Dazu gehört zum Beispiel die Attraktivitätssteigerung von Ortskernen – so sollten wichtige Bereiche des täglichen Lebens zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar im Ortszentrum angesiedelt werden.
Darüber hinaus muss der Umstieg vom privaten Pkw auf den öffentlichen Verkehr – auch im ländlichen Bereich – forciert werden. Das erfordert nicht nur einen Ausbau des Streckennetzes, sondern auch eine höhere Taktung und bessere Abstimmung der Fahrpläne. Erst in einem dritten Schritt geht es um eine „Verbesserung“ des motorisierten Verkehrs, das heißt um einen Umstieg auf Elektro-Pkw bzw. eine Umstellung von Lastkraftwagen auf alternative Antriebe.
Bauen und Wohnen
Im Gebäudebereich muss der Fokus auf der thermischen Sanierung des Bestandes liegen, der Neubau ist in Form von Passiv- oder Plusenergiehäusern zu gestalten. Das heißt: Auch hier muss zunächst die Nachfrage nach (fossiler) Energie reduziert werden. Erst nachdem die Energieeffizienz verbessert wurde, sollte im Sinne der Systemeffizienz eine Umstellung des Heizsystems auf erneuerbare Energieträger erfolgen. Gebäude müssen in Zukunft auch zu Energielieferanten werden, und erneuerbare Elektrizität – vor allem mit Photovoltaikanlagen – erzeugen. Damit könnte man einerseits Wärmepumpen betreiben, aber auch den Stromverbrauch von Elektro-Pkw decken.
Gebäude müssen in Zukunft auch zu Energielieferanten werden.
Ebenso muss in der Industrie der Energieverbrauch durch Effizienzmaßnahmen gesenkt werden und eine Umstellung auf erneuerbare Energieträger erfolgen. Neue Produktionsverfahren und eine Erhöhung des Recyclinganteils können die Energieeffizienz erhöhen, Elektrizität und Wasserstoff – mit erneuerbaren Energieträgern bereitgestellt – können fossile Energieträger ersetzen. Je nach Industriezweig werden die Optionen für eine Umstellung aber unterschiedlich ausfallen.
Netze und Speicher
Schließlich müssen erneuerbare Energieträger fossile Brennstoffe auch in der Stromproduktion ablösen. Bis zum Jahr 2040 strebt die österreichische Bundesregierung einen Anteil von 100 Prozent „national bilanziell“, das heißt ausgenommen Regel- und Ausgleichsenergie, an. Während die Erzeugung aus fossil betriebenen Kraftwerken, speziell Gaskraftwerken, der Nachfrage angepasst werden kann, ist die Erzeugung aus Windkraft und Photovoltaik variabel und durch die aktuelle Verfügbarkeit bestimmt.
In diesem Zusammenhang kommt dem (europaweiten) Ausbau der Übertragungsnetze und Speichermöglichkeiten eine wichtige Rolle zu, um das erneuerbare Elektrizitätsangebot in Einklang mit der Nachfrage zu bringen.
Fünf Aufgaben für die Politik
Die Energiewende erfordert Anpassungen an allen Stellschrauben des Energiesystems. Um diesen Herausforderungen der Energiewende Rechnung zu tragen, ist ein breites Bündel an Politikinstrumenten erforderlich:
- Wir müssen die Infrastruktur ausbauen und adaptieren. Das betrifft auch die Strom-, Nah- und Fernwärmenetze sowie den öffentlichen und den nichtmotorisierten Individualverkehr.
- Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, etwa bei der Errichtung von Ladestationen für Elektro-Pkw oder Photovoltaikanlagen in Mehrfamilienhäusern.
- Ein zentraler Hebel ist auch das Setzen adäquater Preissignale – fossile Energieträger müssen in Zukunft schrittweise teurer werden, damit ein Anreiz für einen Umstieg auf erneuerbare Energieträger besteht (Stichwort CO²-Bepreisung). Das ist nicht zu verwechseln mit dem unerwarteten kurzfristigen Anstieg der Energiepreise der letzten Monate. Ein Umstieg auf energieeffiziente Technologien und erneuerbare Energie muss sich jedenfalls und auch langfristig rechnen. Für einkommensschwache Haushalte, die sich einen solchen Umstieg nicht leisten können, sind entsprechende Unterstützungsmaßnahmen vorzusehen. Kurzfristige finanzielle Ausgleichszahlungen sollten hier nur sehr begrenzt eingesetzt werden, der Fokus sollte auf einer langfristigen Entlastung liegen, beispielsweise durch die finanzielle Förderung von thermischer Sanierung und Heizkesseltausch durch direkte Subventionen oder sehr niedrig verzinste Kredite.
- Wir müssen Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich aller für die Energiewende benötigten Technologien fördern. Das reicht beispielsweise vom Bereich neuer Produktionstechnologien über innovative Speichertechnologien bis hin zu innovativen Systemen für die einfache und kostengünstige Umstellung von Gasetagenheizungen auf Erneuerbare.
- Für die Implementierung der neuen Technologien sind entsprechende Qualifikationen erforderlich. Hier braucht es eine entsprechende Ausbildungs- und Weiterbildungsoffensive.
Es wird viel zu tun geben, für uns alle. Die nötigen Anstrengungen reichen von Lebensstiländerungen über Verbesserungen der Energieeffizienz bis hin zu einem Umstieg auf erneuerbare Energieträger. Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energieträger wird nicht ausreichend beziehungsweise aufgrund von Potenzialbeschränkungen nicht möglich sein.
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