Schlag-Worte
Ob neoliberaler Kapitalist oder woker Gutmensch: ein Überblick über politische Kampfbegriffe, wie sie gemeint oder verstanden werden können.

Ob rechts, links, neoliberal oder faschistisch – einst analytische Kategorien dienen nur noch als Kampfbegriffe. Wer mit einem dieser Labels versehen wird, soll sich am besten gar nicht mehr äußern dürfen und ist, zumindest für das eigene Milieu, tabu. Worte dienen nicht mehr der Auseinandersetzung im gesellschaftlichen Diskurs, sondern dem Ausschluss aus selbigem.
Mehr aus dem Dossier „Schubladisierung“
Der politische Gegner wird zum Feind, mit dem ein Gespräch nicht erlaubt und somit gar nicht mehr möglich ist. Das reicht bis in die Wissenschaft. „Follow the science“ meint selbstredend nur Wissenschaftler, deren Forschungsergebnisse ins eigene Weltbild passen. Wehe dem, der als umstritten gilt.
links / rechts
Wahlweise stolze Selbstverortung oder Schmähbegriff. Tatsächlich handelt es sich um gleichermaßen legitime Teile des demokratischen Spektrums. Allerdings wird links vor allem in Deutschland großzügig staatlich gefördert, während rechts ebenso großzügig staatlich bekämpft wird. Die Verkürzung von rechtsextrem auf rechts im „Kampf gegen rechts“ ist das wohl erfolgreichste politische Framing der jüngeren Geschichte: links ist gut, rechts ist böse. Ein „Kampf gegen links“ dürfte in den Medien nicht auf Unterstützung zählen. Übrigens wäre der Dichter Ernst Jandl heuer 100 Jahre alt. 1966 schrieb er das Gedicht „Lichtung“:
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein llltum
links- / rechtsextrem
Der Narrensaum der jeweiligen Richtung, mit der Bereitschaft, seine Ideologie auch gewaltsam durchzusetzen. Die Begründungen beider Seiten für autoritäre Maßnahmen und Gewaltausübung unterscheiden sich deutlicher als die Resultate.
Konservative
Liberale, die schon einmal überfallen wurden. Oder immer schon dem Zeitgeist misstraut haben.
Kapitalisten
Gründen eine Brauerei, wenn die Leute durstig sind. Wenn die Leute das Bier mögen, erzeugen sie mehr davon, damit sie sich selbst einen größeren Schluck genehmigen können. Marktwirtschaft basiert auf Privateigentum, Vertragsfreiheit und freiem Handel und existiert heute nirgendwo in purer Form, sondern nur in einem staatlich mehr oder weniger eng gesetzten Rahmen.
Sozialisten
Haben ihren Wählern Freibier für alle versprochen und setzen daher den Preis fürs Bier fest. Bis die letzte Brauerei geschlossen ist. Die Untote unter den Ideologien ist jedes Mal krachend gescheitert und dennoch quicklebendig. Denn nächstes Mal klappt’s. Ganz bestimmt.
Kommunisten
Schaffen die Wahlen ab und verstaatlichen die Brauerei. Da der Fusel niemandem wirklich schmeckt, gibt es importiertes Freibier für die Nomenklatura. Außerhalb von Nordkorea und Graz nicht mehr sonderlich populär.
Solidarität
Verpflichtung, für andere zu zahlen, die man nicht kennt und auch nie kennenlernen will.
Umverteilung
Politisches Konzept, bei dem man Peter etwas nimmt, um es Paul zu geben, damit Paul einen wählt. Geht so lange gut, bis Peter auswandert.
Demokratie
Die Herrschaft des Volkes ist in rechtsstaatlichen Demokratien keine absolute, sonst wäre sie auch dann verwirklicht, wenn acht Füchse und zwei Hühner darüber abstimmen, was es zum Abendessen gibt. Weswegen der Rechtsstaat der Macht der Regierenden institutionelle Grenzen setzt. Karl Popper sah ihren größten Vorteil darin, schlechte Herrscher oder Regierungen friedlich und ohne Blutvergießen absetzen zu können. Was allerdings auch in hoch entwickelten Demokratien oft gar nicht so einfach ist.
Brandmauer
So wie eine feuerbeständige Wand in Gebäuden die Ausbreitung von Feuer auf andere Bereiche verhindern soll, soll die Brandmauer in Deutschland extreme Parteien von Regierungsverantwortung fernhalten. Gilt allerdings nur für die AfD, nicht für die mehrfach umbenannte SED, heute „Die Linke“. Das garantiert zwar die Regierungsbeteiligung linker und/oder grüner Parteien, macht dafür aber die Sache mit dem Regierung-Absetzen etwas schwieriger.
Cordon sanitaire
Andere Metapher, selber Zweck, nur eben auf Französisch. Dass man metaphorisch Brand (Deutschland) und Seuche (Frankreich) bemüht, zeigt, wie ernst das politische Establishment die Bedrohung nimmt.
Liberale
Anarchisten mit mehr Geld. Der natürliche Gegenpol zu linken und rechten Ideologen, die das Kollektiv über das Individuum stellen, und daher beiden von vornherein irgendwie verdächtig. Das Wohlwollen des Feuilletons hängt vom Präfix ab, mit dem der damit Bedachte markiert wird.

Linksliberale
In ihrer Selbstwahrnehmung fortschrittliche und tolerante Bürger, bevorzugt mit akademischer Ausbildung und ausgeprägtem sozialen Gewissen. Also gut und daher eine beliebte Eigenverortung. Dass der Begriff einen Widerspruch in sich darstellt, weil gesellschaftliche Freiheit ohne wirtschaftliche Freiheit nicht zu haben ist, tut seiner Popularität keinen Abbruch.
Neoliberale
Kaltherzige Söldner des Kapitalismus. Die heutige Verwendung ist ein gelungenes Framing zur Markierung politischer Gegner. Ursprünglich bezeichnete neoliberal eine wirtschaftliche Denkschule, die dem Staat eine aktive ordnungspolitische Rolle in der Marktwirtschaft als Schöpfer und Hüter der Wettbewerbsordnung überträgt. Und damit den Gegenpol zum ungezügelten Manchester-Kapitalismus bildet.
Establishment
Wo man eben ankommt, wenn man gesellschaftlich angekommen ist. Die erbittertsten Gegner des Establishments sind Eliten auf der Suche nach Anerkennung unter ihresgleichen.
Eliten
Äußerst unbeliebte Mitglieder des Establishments. Sogar Parteichefs und Milliardäre distanzieren sich von ihnen.
Mainstream
Vorherrschende Meinung oder Haltung in Politik, Kultur und Medien, die nicht zwangsläufig in der Gesellschaft vorherrscht.
Zeitgeist
Woher der Wind weht. Nicht mit Fortschritt zu verwechseln.
Antisemitismus
„Wenn man die Juden noch weniger leiden kann, als es an sich natürlich ist“, wie Henryk M. Broder bisweilen einen satirischen amerikanischen Kalauer zitiert. Wissenschaftliche Definitionen für den Hass auf Juden gibt es viele. Die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) haben bis auf Malta alle EU-Mitgliedstaaten offiziell angenommen oder unterstützt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Antizionismus
Hass auf Juden, die in Israel leben. Erkennt man verlässlich an der Einleitung: „Ich habe nichts gegen Juden, aber …“ Jean Améry hat die gesellschaftlich akzeptierte Version des Antisemitismus literarisch beschrieben: „Der Antisemitismus steckt im Antizionismus wie das Gewitter in der Wolke.“
Faschist
Alles, was rechts von links ist. Die Differenzierung zwischen Rechten, Rechtsradikalen, Faschisten und Nationalsozialisten interessiert nur noch Historiker. Wenn überhaupt.
Nazi
Siehe Faschist. Also im Prinzip so gut wie alle, die zum Beispiel in der Einwanderungspolitik Positionen vertreten, mit denen Sozialdemokraten noch in den Nuller-Jahren Wahlen gewonnen haben. Die inflationäre Verwendung dieser Zuschreibung kritisierte der deutsche Verleger Johannes Gross bereits 1980: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.“
Autokrat
Absoluter Herrscher, der sich wählen lässt. Funktioniert in Demokratien nur, wenn man Medien und Institutionen kontrolliert. Oder die Wahlen fälscht.
Diktator
Absoluter Herrscher, der sich nicht wählen lassen muss. Stirbt dafür eher selten eines natürlichen Todes.
Islamist
Will auch Nicht-Muslime den streng religiösen Regeln des orthodoxen Islam unterwerfen, ob mit politischen oder gewaltsamen Mitteln.
Islamophobie
Wörtlich genommen eine irrationale, krankhafte Angst vor dem Islam. Tatsächlich ein politischer Kampfbegriff zur Immunisierung des Islam vor Religionskritik. Selbst wenn jemand Angst vor dem Islam hätte, wäre diese weder krankhaft noch irrational, sondern könnte gute Gründe haben. Siehe Islamist.
woke
Alles, was klassische Linke, Konservative und Liberale nicht mögen. Ursprünglich das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Diskriminierung (wörtlich übersetzt: „aufgewacht“), heute ein abwertendes Etikett für linke Identitätspolitik.
umstritten
Berufliches Todesurteil, meist gefällt über Wissenschaftler. Wer will schon einen umstrittenen Experten zu einem Vortrag einladen oder ihm eine Professur oder einen Buchvertrag anbieten, wenn er auch einen unumstrittenen haben kann? Selbstredend ist es einer kleinen Elite vorbehalten, das Urteil zu fällen, wer als umstritten zu gelten hat.
Verschwörungstheoretiker
Strenggläubige, die ein Phänomen oder Ereignis, dessen Erklärung offensichtlich ist, durch das konspirative Zusammenwirken einer sinistren Gruppe – oft Juden, Freimaurer, Bilderberger oder „Eliten“ – erklären.
Schwurbler
Verschwörungstheoretiker, die nicht in der Lage sind, aus ihrem Glauben wenigstens eine Theorie zu entwickeln. Zugleich ein beliebter Kampfbegriff, um Menschen mit anderer Meinung zu diskreditieren und aus dem Diskurs auszuschließen.
Klimaleugner
Abwertendes Etikett für alle, die nicht ausschließlich den Menschen für den Klimawandel verantwortlich machen. Niemand leugnet, dass es ein Klima gibt. Korrekt müsste es also „Leugner der anthropogenen Hauptursache für den Klimawandel“ heißen. Aber das reimt sich nicht so schön auf „Holocaustleugner“.
Klimakleber
Sprachlich ähnlich falsch wie Klimaleugner. Niemand klebt das Klima fest. Die Leute kleben sich selbst auf die Straße, aber „selbstklebend“ ist ein anderes Etikett. Für jemanden, der gegen den CO²-Ausstoß protestiert, indem er Staus verursacht, die den CO²-Ausstoß erhöhen, gäbe es eine Menge anderer Begriffe.
Populisten
Immer die anderen. Seit die Meinungen der jeweiligen Zielgruppen im Detail erforscht werden, um die eigene Politik darauf ausrichten zu können, sind Politiker, die nicht populistisch agieren, fast so selten wie karierte Zebras.
Queer
Populäre Selbstbezeichnung für „LGBTQIA+“: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersex und Asexual. Das + steht für sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten, für die man noch keinen eigenen Buchstaben reserviert hat. Nicht überall gleichermaßen beliebt, weshalb „Queers for Palestine“ ähnlich schlüssig ist wie „Chickens for KFC“.
TERF
Frauen. Genauer gesagt „Trans-Exclusionary Radical Feminists“, also Frauen, die ihre hart erstrittenen Rechte und Schutzräume nicht für Männer preisgeben wollen, die sich als Frauen fühlen. Schon gar nicht wollen sie von ihnen im Boxring verprügelt werden. Wird von der Queer-Community meist abwertend verwendet.
Quote
Maßnahme zur Bekämpfung von Diskriminierung durch Diskriminierung.
Gutmensch
Theoretisch ein Mensch, der tut, was er für gut hält, um sich gut zu fühlen, und daraus seine moralische Überlegenheit ableitet. Im Gegensatz zum „guten Menschen“, der einfach tut, was gut ist. Praktisch ein Schmähbegriff zur Diskreditierung von Menschenrechtsaktivisten.
Faktenchecker
Zensurbeauftragter mit Internetzugang. Ganz wichtig im Kampf gegen Fake News, die nicht von Mainstream-Medien verbreitet werden.