Sprache kann wie Gift wirken

Wer die Deutungshoheit über Begriffe hat, bestimmt unser Bild von der Welt. Der Kulturkampf der Worte und Sprache wird so hart geführt, dass alle dabei nur verlieren können.

Die Illustration zeigt eine Sprechblase in Form einer Faust. Das Bild illustriert einen Artikel über die Macht der Sprache.
Im Kulturkampf der Worte verlieren am Ende alle. Manches Gift wirkt auch, wenn es in kleinen Dosen verabreicht wird. © Francesco Ciccolella

Sprache ist mächtig, das wissen und spüren wir alle. Von Debatten über moralische bzw. rechtliche Grenzen des Sagbaren und „politische Korrektheit“ bis zu „gendergerechter“ Schreibweise: Würden Menschen nicht glauben, dass Sprache die Fähigkeit hat, tatsächlich etwas zu bewirken, wären die Erregungszustände in diesen Debatten schwer erklärbar. 

Und vielleicht baut sich solch eine Erregung gerade bei Ihnen auf, wenn Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, diese Zeilen überfliegen: Wogegen wird die Autorin ausreiten, auf welche Seite wird sie sich schlagen?

Da darf ich Sie beruhigen oder auch enttäuschen, denn dieser Essay wartet nicht mit Polemik auf. Solche sind in demokratischen Gesellschaften freilich auch manchmal nötig. Aber sie taugen nicht mehr als Methode der Diskursanregung, wo Diskurse längst florieren oder sogar überhitzen. Dann ist es vorzuziehen, frische Luft in stickige Debattenräume strömen zu lassen.

Haben Sie es bemerkt? Dieses Bild, das ich soeben mit sprachlichen Zeichen in Ihrem Kopf erzeugt habe? Stickige Räume. Frische Luft. Fenster. Öffnen. Eine Metapher ist mehr als ein Sprach-Bild. Sie wird, wenn es ihr gelingt, „anzudocken“, zu einem Gebilde an Assoziationen und Emotionen. 

Sprache und Denken 

Metaphern sind daher potenziell besonders mächtig, wie Forschungsarbeiten im Bereich der angewandten Linguistik zeigen. Unser Verstand, so betont der US-amerikanische Linguist George Lakoff, arbeitet mit Metaphern und sogenannten „Frames“ (assoziativen/narrativen Rahmungen). Durch sprachliche Wiederholungen verstärken sich mentale Strukturen, die das, was wir wahrnehmen, vorbereiten und auch vorselektieren. Da es sich dabei überwiegend um unbewusste Prozesse handelt, bleibt uns die Sprach-Macht von Metaphern als Denk-Macht häufig verborgen.

Als ein Beispiel führt Lakoff die Gleichsetzung eines feindlichen Staatsführers mit seinem Land an. Eine solche „Nation als Person“-Metapher könne leicht vergessen machen, dass jene Bomben und Raketen, die etwa Saddam Hussein (oder auch Wladimir Putin) „stoppen“ sollen, nicht diesen treffen, sondern konkrete Menschen, die in diesem speziellen metaphorischen Denken aber gar nicht existieren (können). 

Auch ein „Krieg gegen den Terror“ und eine „Achse des Bösen“ sind in diesem Sinne Scheuklappen. Von der eingeforderten Härte gegen den abstrakten Feind sollen schließlich keine moralischen Skrupel ablenken, die sich erst mit der Empathie konkreten Anderen gegenüber entwickeln können.

Die Welt bilden

Für Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen, Welt und Sprachgebrauch interessiert sich seit jeher auch die Philosophie, schon seit Aristoteles und besonders seit der „linguistischen Wende“ der Philosophie Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch wenn sich sprachphilosophische Theorien in vielem uneinig sind, so haben sie in Summe erheblich dazu beigetragen, unser Verständnis von Sprache zu erweitern: Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern seit jeher Welt-bildend. 

Sie ist nicht nur ein semiotisches System, sondern ein semantisches Universum. Es erhält seine Gestalt dadurch, wie Menschen mit Sprache leben und in ihr leben. „Unsere Sprache“, formulierte Ludwig Wittgenstein in seinen „Philosophischen Untersuchungen“, „kann man ansehen als eine alte Stadt.“ In ihr finde sich ein „Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten“. Jede Generation, jede soziale Schicht, jede Mode gestaltet um, reißt ein, baut auf – auch wenn sie nie bei null beginnt. 

Sprache und Menschsein

Dass Sprache den Menschen ausmacht und vom Tier abhebt, ist zwar eine wankende Hypothese, aber die Idee, dass Sprache unser Menschsein verbürgt, kann mit Hannah Arendt auch noch anders gedacht werden. In ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Lessing-Preises 1959 erklärte sie: „Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir das, was in der Welt, wie das, was in unserem eigenen Inneren vorgeht, und in diesem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein.“ Mensch sein hieße, mit Arendt gedacht, dass niemand allein bestimmen kann, wie etwas zu sein hat oder auch zu verstehen ist, denn Menschen gibt es nur im Plural. Es bleibt uns nichts übrig, als darüber grundsätzlich im Dialog miteinander zu sein. 

Wird die weltbildende Macht von Sprache gegen die Pluralität des Menschseins gewendet, wird es rasch unmenschlich. Für totalitäre Ideologien, die nicht nur auf die Regulierung äußeren Verhaltens, sondern auf das Denken und Wollen zugreifen, ist ausreichend beschrieben, wie Sprache ihnen zur totalen Kontrolle dient. 

„Der Nazismus“, schrieb Victor Klemperer in seiner Analyse der Lingua Tertii Imperii, „glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang, und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden.“ So wurde Sprache „zur Trägerin von Giftstoffen“, welche das „ganze seelische Wesen“ infizierten. 

Sprache ist im Politischen sowohl Gegenstand des Kampfes um symbolische Macht als auch Kampfmittel.

Die literarische Verarbeitung der totalitären Verkettung von Sprache und Denken durch George Orwell in „1984“ ist gleichfalls ein Klassiker. Zwecks Wirklichkeitskontrolle werden im fiktiven Reich Oceania Neusprech-Regelungen in ständig neu aufgelegten Wörterbüchern vorgegeben. Unerwünschte Ideen werden dadurch namenlos gemacht und letztlich unvorstellbar. Ganz im Sinne des Diktums Wittgensteins, wonach die Grenzen meiner Sprache mit den Grenzen meiner Welt zusammenfallen.

Geldentwertung oder Inflation?

Es gilt daher, sprachkritisch auf die Begrifflichkeiten zu blicken, mit denen wir Welt gleichermaßen erfassen wie erschaffen. Im Bereich des Politischen ist das besonders wichtig, denn hier ist Sprache sowohl Gegenstand des Kampfes um symbolische Macht als auch Kampfmittel. Zwar ist in demokratischen Gesellschaften das Denken nicht notwendigerweise weniger durch Sprache „verhext“ als in totalitären Systemen, um einen Aphorismus Wittgensteins zu paraphrasieren. Jedoch hat Sprachmacht in Demokratien nicht ein einziges, klar ersichtliches Zentrum. Vielmehr wird sie von verschiedenen Akteuren erstrebt, herausgefordert, verteidigt, erlangt und wieder verloren.

Sprache wandelt sich unter dem Druck sozialer Praktiken ständig. Wo sie nicht von einer einzigen übergeordneten Instanz in vertikaler Richtung vorgegeben wird, entsteht unter den Bedingungen relativer Freiheit ein horizontaler Kampf um Deutungsmacht: Was bedeutet „Frau/Mann“? Welche Einstellungen bezeichnet „Antisemitismus“ oder „Rassismus“ und welche gerade nicht? Ist „Klimawandel“ eine Verharmlosung, und ist „Migrationskrise“ eine Übertreibung? Was tut weniger weh, „Geldentwertung“ oder „Inflation“? Wer macht das „Kriegsverbrechen“ zum „Kollateralschaden“? 

Was der marxistische Philosoph Antonio Gramsci vor hundert Jahren als „kulturelle Hegemonie“ bezeichnet hat, die es zu erringen gelte, kann in freien Gesellschaften zwar nie von Dauer oder vollständig sein; manchmal genügt es aber, bloß den Eindruck erwecken zu können, etwas oder jemand sei in diesem Sinne vorherrschend: entweder um unliebsame Meinungen als kleiner bzw. unbedeutender erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind, oder um umgekehrt Stimmung zu machen gegen die scheinbar übermächtigen Gegner, die zu entthronen seien.

Diese Dynamiken zeigen sich in gegenwärtigen „Kulturkämpfen“ auf mannigfaltige Weise. Im ersten Fall entstehen Schweigespiralen, das heißt das Weichen vor der vermeintlichen diskursiven Übermacht, im zweiten Fall entsteht Ressentiment. Damit gemeint ist eine rachedurstige Opferhaltung, die sich nicht zuletzt mittels Sprachgewalt entlädt. Die französische Psychoanalytikerin und Philosophin Cynthia Fleury beschreibt in „Hier liegt Bitternis begraben“das Ressentiment als Bedürfnis nach Selbstermächtigung: Die mächtigen Anderen, die einem etwas wegnehmen oder vorenthalten, möchte man eigentlich physisch vernichten, kann es aber nicht. Dadurch werde Sprache zum „Erbrechen“, triefend von Hass. 

Ausweg aus dem Hass

Wenn also die Verrohung diskursiver Auseinander-setzungen (im „Netz“) beklagt wird, so würde es im Lichte dieser Perspektive nicht ausreichen, bloß „sprachpolizeilich“ darauf zu reagieren. Doch wie könnte eine Heilung von Ressentiment, so der Untertitel von Fleurys Buch, überhaupt gelingen? Vielleicht im ersten Schritt, indem wir uns die weltbildende Macht von Sprache stärker bewusst machen. Wie wir übereinander sprechen, eröffnet die Bahnen dafür, wie wir übereinander denken.

Feindbilder sind leicht zu schaffen. Demokratie jedoch lebt von Gegnerschaft, die gerade keine Feindschaft ist.

Vielleicht sollte auch öfter daran erinnert werden, dass ein möglichst fairer Wettkampf unter demokratischen Vorzeichen unmöglich ist, wenn der Gegner zuvorderst begrifflich entwaffnet werden soll, damit seine Ideen gar nicht erst vom Boden hochkommen. Dass zwischen Sprachmacht und Sprachgewalt manchmal nur ein sprachlicher Unterschied besteht. Und dass selbst in demokratischen Gesellschaften Sprachmacht nie demokratisch verteilt ist, weshalb Sprachmächtige in besonderem Maße über Vorherrschaft und Verantwortung reflektieren sollten – oder anders gesagt: ihre Privilegien checken. 

Privilegiert im Kulturkampf

Öffentlich-rechtliche Medien, Kunst- und Kultureinrichtungen sowie Universitäten sind gesellschaftliche Schlüsselinstitutionen und stehen nicht zufällig im Zentrum kulturkämpferischer Aufmerksamkeitsökonomien. Diese Institutionen und ihre Angehörigen sind mehrfach sprachmächtig privilegiert: Was sie sagen, hat Reichweite. Wie sie es sagen, prägt den Sprachgebrauch. Sie haben scheinbar ein semantisches Monopol auf Abwertungs- und Delegitimierungsbegriffe, sie bieten und entziehen Bühnen. Ein aggressiver Populismus, der „den Eliten“ vorwirft, mit ihrem Sprach- und Denkregime den „gesunden Menschenverstand“ zu knebeln, kann Ressentiments vermehren und steigern, aber nicht aus dem Nichts kreieren.

Ein solcher Populismus braucht eine sprachlich-ideologische Dominanz „der Woken“ nur pauschal zu überzeichnen, er muss sie nicht erfinden. Es ist einfach, daraus ein Super-Feindbild zu konstruieren. Demokratie jedoch lebt von Gegnerschaft, die gerade keine Feindschaft ist. Feindschaftsrhetorik wirkt nachhaltig toxisch. Wie schrieb doch einst Klemperer? „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbewusst verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ 

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