Der Autokraten leichte Beute

Politisch wie geistig korrumpiert, naiv im Angesicht der Gefahr – wenn Demokratien sich nicht verteidigen können, haben Autokraten ein leichtes Spiel. Paul Lendvai im Podcast.

Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen in einer Diskussion mit der Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni. Letztere beugt sich vor und scheint Ursula von der Leyen zu maßregeln. Das Bild illustrirt einen Beitrag zu einem Podcast mit Paull Lendvai.
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, in einer Diskussion mit der Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni im September 2023. Es geht um die Migranten, die auf Lampedusa (Italien) ankommen. © Getty Images

Sein jüngstes Buch heißt Über die Heuchelei. Zwar habe der Verlag ihm den Titel geschenkt, doch der Buchautor, der Journalist Paul Lendvai, kann der Formulierung viel abgewinnen: Politiker seien leicht korrumpierbar, meint er und neigten dazu, die Gefahr, die von Autokraten ausgeht, im eigenen Interesse herunterzuspielen. Er sieht die Demokratie in Europa ernsthaft in Gefahr, denn „politische Systeme brechen schneller zusammen als man glaubt“.

Der Podcast mit Paul Lendvai

Mit dem Laden des Inhalts akzeptierst du die Datenschutzerklärung von Spreaker.

Die größte Stütze für Autokraten ist das kurze Gedächtnis der Menschen.

Paul Lendvai


Was Demokratien so verwundbar macht, so Lendvai, seien die Vergesslichkeit der Bevölkerung und die Korrumpierbarkeit der Politik. Es sei auch für Politiker verführerisch, sich dem schwierigen Geschäft der demokratischen Aushandlung zu entziehen und einfache Antworten anzubieten, wo eigentlich Kompetenz gefragt ist.

Lendvai sieht im Aufstieg von Parteien wie der AfD oder Autokraten wie Viktor Orban eine generelle Problematik von Demokratien, da sie anders als Autokratien niemals einfache Lösungen anbieten können. In Krisenzeiten kann ihnen das zum Verhängnis werden.

„Die größte Stütze für Autokraten ist das kurze Gedächtnis der Menschen. Demokratie ist ein schwieriges Geschäft. Es gibt verschiedene Gruppen mit vielen verschiedenen Interessen und da ist es verführerisch, wenn jemand sagt, er weiß wo es lang geht. Das ist nicht exklusiv für Österreich, es gibt sie auch in Deutschland oder in Italien oder in Frankreich. “

Inkompetenz und Täuschung

Es sei möglich, aus der Geschichte zu lernen, aber die Geschichte selbst ist kein Garant für eine bessere Zukunft. Wer etwa Diktaturen am eigenen Leib erlebt habe, müsse es natürlich besser wissen, doch es bleibt eine aktive Aufgabe und Anstrengung, für die Demokratie einzustehen.

Auch dann, wenn es wirtschaftlich schmerzt. Der Verkauf von Energie-Infrastruktur an Russland, etwa die die Nordstream Pipelines, sei ein Fehler gewesen. Der „Preis der Profite“ war (zu) hoch: „Wer hätte das gedacht, dass sich Österreich lachenden Gesichts bis 2040 an Russland verkauft?“

Alexei Miller und Rainer Seele umarmen sich und blicken einander in die Augen. Im Hintergrund Wladimir Putin und der damalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz neben einer Österreich-Fahne. Rainer Seele hält einen Vertrag in den Händen. Das Bild illustriert eine Aussage von Paul Lendvai, in der es darum geht, dass sich Österreich mit einem Lachen im Gesicht Putin ausgeliefert habe.
Wien, am 5. Juni 2018: Die Umarmung von Alexei Miller (links) und Rainer Seele (rechts) besiegelt die Verlängerung der Gaslieferverträge bis 2040. Im Hintergrund Wladimir Putin und der damalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. © Getty Images

Nicht nur Österreich auch in Deutschland habe die Politik versagt, sagt Lendvai und meint sowohl Gerhard Schröder als auch Angela Merkel. „Auch die von mir persönlich sehr geschätzte Angela Merkel hat einen Fehler, wenn ich so mich ausdrücken möchte, der Unterlassung begangen. Ich bin gespannt, wie sie das in ihren Memoiren, die irgendwann kommen werden, erklären will.“

Demokratien seien anfällig, verwundbar, und es zeige sich immer wieder, dass die Sympathien bestimmter Wählergruppen vor den Wahlen auch den Politikern wichtiger seien als die Gefahren. Dabei hätten Politiker eigentlich die Aufgabe, Gefahren zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Wenn Estland 3,6 Prozent seines Sozialprodukts für die Ukrainehilfe aufwände, die Mitglieder der Europäischen Union aber gerade einmal 0,25 Prozent, dann sei das Heuchelei und Ausdruck der Inkompetenz der Politik.

Auf den russischen Einfluss in Österreich verweisend, erklärt der Journalist, dass Diktaturen dann gestärkt werden, wenn Demokratien bereit sind, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dasselbe gelte für autoritäre Bewegungen in einzelnen Staaten und sowohl für links- wie rechtsextremistische Strömungen und Parteien. Man dürfe außerdem nicht vergessen, dass auch der persönliche Reichtum Wladimir Putins von einem Sieg über die Ukraine und eine Prolongierung der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl abhinge.

Erfolg und Heuchelei

Was kann die EU Putin entgegensetzen? „Die Europäische Union ist einerseits eine Vereinigung der Heuchler und heute innen andererseits eine Vereinigung der relativ erfolgreichen Volkswirtschaften und Staaten. Es ist im Grunde eine Erfolgsgeschichte, aber die EU hat Konstruktionsfehler. Man kann ein Land, wenn dort autoritäre Politiker herrschen, nicht so einfach aus diesem Club ausschließen. Und deshalb ist es wichtig, die Europäische Union zu reformieren, ohne die Existenz zu gefährden. Das wird die größte Aufgabe der künftigen Jahre sein.“

Über Paul Lendvai

Paul Lendvai, 1929 in Budapest geboren, ist Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Politik- und Zeitgeschichte. Der Osteuropa-Experte war Korrespondent für die Londoner Financial Times und österreichische, Schweizer und deutsche Zeitungen und Magazine. Er war Chefredakteur der Osteuropa-Redaktion des ORF und Intendant von Radio Österreich international, leitete das Europa-Studio des ORF und war Kolumnist des Standard. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt, und er ist der Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich. Zuletzt erschien Über die Heuchelei im Verlag Zsolnay (Hanser). Lendvai überlebte als Kind jüdischer Eltern in Budapest während des Nationalsozialismus durch einen Schweizer Schutzpass.

Mehr über Demokratien

Unser Newsletter