Moldau – die nächste Ukraine?

Die Republik Moldau hat eine lange Geschichte der Multikulturalität, räumt unter den Oligarchen auf und will in die EU. Wird sie damit zur Zielscheibe Putins?

In Gagausien, Moldau, streicht eine Frau ein weißes Betttuch glatt, das neben einem Laken und zwei Kopfkissen an einer Leine in einem Garten mit blühenden Obstbäumen hängt.
Gagausien, im Süden der Republik Moldau, am 8. April 2024. © Getty Images

Was für ein EU-Beitrittskandidat ist die Republik Moldau? Der Historiker Florian Kührer-Wielach beschreibt ein Land, dem es bei allen nationalistischen Herausforderungen gelingt, seine multikulturelle und multiethnische Identität zu wahren.

Der Podcast über die Republik Moldau

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Die Umstände sind sehr kritisch.

Florian Kührer Wielach

Wie die Ukraine ist die Republik in ihrer Geschichte Objekt imperialistischen Strebens gewesen, wovon verschiedene Wellen der Russifizierung ein Ausdruck sind. In diesem Podcast deutet der Südosteuropa-Historiker Florian Kührer-Wieland die Hindernisse des Nation building in Moldau als ein Erbe der sowjetischen Zeit. Insbesondere die de facto-Abspaltung Transnistriens sei darauf zurückzuführen. Bei den nächsten Wahlen 2025 wird sich Wladimir Putin die Ressentiments und Nationalismen zunutze machen wollen, um die Region zu destabilisieren. Die EU darf das nicht zulassen.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist in der Republik Moldau (Moldawien) ganz nah. Das kleine Land grenzt im Norden, Osten und Süden an die Ukraine, 1.222 Kilometer lang ist die Staatsgrenze zur Ukraine, 454 Kilometer davon sind ein Problem: Es ist die Grenze zu Transnistrien.

Die Provinz ist nach mehr als drei Jahrzehnten ein Synonym eines eingefrorenen Konflikts und fest verbunden mit dem Adjektiv „abtrünnig“. Oft ist dieser Konflikt das Einzige, was man von der Republik Moldau weiß, zumindest im westlichen Teil Europas. „Es ist gut, dass diese Republik ein bisschen in den Fokus des Interesses rückt, auch wenn die Umstände, warum das so ist, nicht die angenehmsten sind. Im Gegenteil: Es sind sehr kritische Umstände“, so Florian Kührer-Wielach.

Transnistrien ist nämlich nicht der einzige Unruheherd, so Kührer-Wielach. „Wir haben im Süden des Landes eine autonome Region namens Gagausien. Dort ist wahrscheinlich momentan mindestens so ein großes Unruhepotenzial wie in der de-facto-Republik Transnistrien.“ Gagausien ist eine autonome Region („vtonom Territorial Bölümlüü Gagauz Yeri“) innerhalb der Republik mit eigener Regierung und drei Amtssprachen, gagausisch, russisch und rumänisch.

Russifizierung als Mittel der Politik

In gewisser Weise seien die Zersplitterung und die nationalistischen Konflikte um Gagausien und Transnistrien noch ein Erbe aus sowjetischer Zeit beziehungsweise wurden durch sie verstärkt, erklärt Kührer-Wielach. Die Sowjetunion habe in ihren Republiken „Minderheiten“, derer es in Moldau viele gibt, stets gefördert und zugleich unterdrückt – eine Fortsetzung der zaristischen Politik der Russifizierung.

Ein Anfang der Geschichte der Republik ist das Fürstentum Moldawien, das den größten Teil seiner Existenz Teil des Osmanischen Reichs war. Auf dieses multikulturelle und multiethnische Fürstentum beruft sich die Republik bis heute. Im 18. Jahrhundert wurden Teile an das Habsburger Reich abgetreten und der nordöstliche Teil an das russische Zarenreich, ab dann hieß die Region Bessarabien.

Als Teil des imperialistischen Projekts „Neurussland“ (russisch: „Новороссия“, „Noworossija“) wird die Region im 18. und 19. Jahrhundert zum Objekt der Russifizierung – Kührer-Wielach zieht hier einen Vergleich zur Politik Wladimir Putins, der ähnliche Interessen in der Region hat und ähnliche Mittel einsetzt.

Eine Folge der ersten Russifizierung, vor allem der Verwaltung, ist im 19. Jahrhundert, dass in den Städten tendenziell russisch gesprochen wird, während die Landbevölkerung überwiegend rumänisch spricht. Für die Industrialisierung – die auch die Landwirtschaft betrifft –, wurden auch viele Ukrainer angeworben, turkstämmige Völker und viele Deutsche.

Die Sprache des Imperiums

In der sowjetischen Zeit setzt sich die Politik der An- und Umsiedlung fort. „Dass heute in bestimmten Regionen hauptsächlich russisch gesprochen wird, hat damit zu tun, dass das russländische Imperium und die Sowjetunion die Sprache des Imperiums in den Eliten durchsetzte und gezielt Menschen aus ganz anderen Regionen der Sowjetunion ansiedelte – auch für politische Ämter.“

Kührer-Wielach sieht die russischsprachigen Teile Moldaus eher als „sowjetische Inseln“: „Das Thema der russischen Erst- oder Muttersprache ist ja nur eins von mehreren postsowjetischen Phänomenen. Wenn es in Transnistrien je ein Drittel russische, ukrainische und rumänische Erstsprecher gibt, ist das nicht Ausdruck eines möglichen ethnischen Problems, sondern ein postsowjetisches Setting.“

Der Norden der Republik Moldau sei entsprechend russisch geprägt und vor allem die Städte seien zentralistisch und nach Moskau ausgerichtet, so Kührer-Wielach. Die autonome Region Gagausien i Süden zeige dabei, wie komplex das Gefüge sei.

In Gagausien leben viele turkstämmige Menschen, die aber orthodox seien. Sie orientieren sich weniger nach Moskau, sondern Richtung Türkei, Serbien, Kasachstan, Usbekistan. Ein Grund ist neben der Geschichte auch das Geld: „Im ärmsten Land in Europa ist die südliche Region besonders arm. Das heißt, man ist sehr abhängig von Förderungen, und man schaut genau, ob sie aus Moskau, aus Istanbul, aus Turkmenistan oder Europäischen Union kommen.“

Zwischen zwei Polen

Um zu verstehen warum die Republik Moldau von „nationalen und imperialen Polen“ geprägt sei, müsse man auf die Zeit nach dem 1. Weltkrieg blicken, so Kührer-Wielach. Bessarabien stellte sich im 1. Weltkrieg auf die Seite Rumäniens und wurde nach diesem Teil Großrumäniens während die Sowjetunion 1924 innerhalb der Ukraine eine Sowjetrepublik Moldau gründete, um den Anspruch auf das Gebiet aufrecht zu erhalten.

„1940 schließt die Sowjetunion diese Mini-Republik mit dem bessarabischen Teil Rumäniens zusammen. Noch vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschließt diese nunmehrige Sowjetrepublik, russisch nicht mehr als Amtssprache zu akzeptieren. Das wird der Auslöser für Transnistrien sich zuerst seelisch, geistig und dann später auch physisch abzuspalten, weil man Angst hat, dass sich dieses Land nun an Rumänien anschließen will, wie es in der Zwischenkriegszeit war, und man als doch sehr stark russisch dominiertes Land Transnistrien völlig an Einfluss verlieren wird.“

Für Abspaltungen ist der größte Teil der Bevölkerung aber wohl nicht zu haben: Die Wurzeln seien zu vielfältig, als dass die Alternative rumänisch oder russisch attraktiv ist, meint Kührer-Wielach.

Viktor Gushan, Ilan Sor & Co vs. Moldau

Transnistrien, das industrielle Zentrum Moldawiens, sei in gewisser Weise nicht nur eine autonome Region, sondern ein Unternehmen – in der Hand eines Oligarchen, Viktor Gushan. Dieser habe mit einer Handvoll weiterer Akteure pseudostaatliche Strukturen aufgebaut und mache somit in der Ukraine, in Russland und in Europa Geschäfte.

Ein sowjetisches Kriegsdenkmal in Balti in Moldau.
In Bălți im Mai 2023. © Getty Images

Der Ukraine-Krieg bringt Oligarchen wie Gushan oder auch Ilan Sor unter Druck: „Man kann nur mehr über die Republik Moldau Importe und Exporte machen. Das heißt, man hat eigentlich mehr oder weniger die volle Kontrolle über die Import- und Export-Geschäfte Transnistriens und kann größeren Druck auf die abgründige Region machen.“

In den letzten Jahren sei es Moldau gelungen, die mafiösen Strukturen insgesamt zu schwächen und auch den Einfluss Moskaus zu reduzieren, sagt Kührer-Wielach. Insgesamt sei die Republik auf den Westen ausgerichtet. Handlanger Putins werden seit 2010, nach dem Geldwäsche-Skandal, regelmäßig abgewählt.

Die Präsidentin, Maia Sandu, die zuvor Ministerpräsidentin war, stünde „tatsächlich für Hoffnung auf Verbesserung“. Trotz Pandemie, Energieerpressung durch Russland und den Ukraine-Krieg habe sie das Land auf einen rechtsstaatlichen Kurs gesetzt und die Demokratie gestärkt.

Eine zweite Ukraine?

„Man muss wissen, dass die Republik schon Interesse hat, Beziehungen zu allen Seiten gut aufrechtzuerhalten, weil sie in ihrer geostrategisch geopolitischen Lage gar keine andere Wahl hat. Man muss aber auch wissen, dass der Weg Richtung Westen vorgezeichnet ist“, so Kührer-Wielach.

Der Historiker mahnt ein echtes Interesse für das Land ein und vor allem ein gemeinsames Arbeiten an dem Weg in die EU. 2025 werde in der Republik gewählt. Erwartbar seien die Taktiken der Provokation, Destabilisierung und Desinformation, die Russland auch gegenüber der Ukraine angewendet habe. „Darauf dürfen wir nicht hereinfallen.“

Über Florian Kührer-Wielach

Florian Kührer-Wielach stammt aus Horn im Waldviertel in Österreich. Der auf die Geschichte Südosteuropas spezialisierte Historiker ist der Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS).

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