Populisten sind immer die anderen
Schlecht qualifizierte Berufspolitiker verteilen das Steuergeld der Bürger und kaufen sich damit Wahlerfolge, kommentiert der Jurist Georg Vetter und plädiert für mehr direkte Demokratie.
Der Befund ist eindeutig: Die repräsentative Demokratie befindet sich in einer Krise. Genauer gesagt befindet sich die Parteiendemokratie in einer Krise. Im Wesentlichen hatten zwei Parteien in der Zweiten Republik durchgehend das Sagen – ÖVP und SPÖ. Meistens regierten sie gemeinsam. Unterbrochen wurde dieses System, als zunächst die SPÖ (1983) und danach die ÖVP (2000 und 2017) mit der FPÖ eine Koalition schloss. 2019 kamen die Grünen als Partner der ÖVP hinzu. Als sich die Zweisamkeit von ÖVP und SPÖ 2016 dem Ende zuneigte, erhielten deren Bundespräsidentschaftskandidaten nur noch jeweils elf Prozent der Stimmen. Andreas Khol und Rudolf Hundstorfer wurden stellvertretend abgestraft.
Mehr aus dem Dossier
- Politische Selbstdemontage: Das Sägen am eigenen Ast
- Matthias Strolz: Wer tut sich das noch an?
- Stellenausschreibung für Abgeordnete, Bundeskanzler und Minister
- Laurenz Ennser-Jedenastik: Sie sind wie wir, nur anders
- Wer vertritt uns denn eigentlich?
- David Stadelmann: Das beste Wahlsystem
- Umfrage: So sehen Österreicher unsere Politiker
Die Krise der SPÖ hält bis heute an, die Krise der ÖVP wurde nur durch Sebastian Kurz für ein paar Jahre unterbrochen. Bei den Wahlen 2024 droht beiden Parteien ein Desaster. Ebenso betriebsblind wie abwertend bezeichnen Rot und Schwarz ihre Konkurrenten als Populisten. Wenn die Parteifunktionäre von Demokratie sprechen, meinen sie vor allem sich selbst. Sie benehmen sich, als wäre die Demokratie ihr Eigentum.
Parteien: ein geschlossener Klub
Überdimensionierte Kabinette spiegeln die Macht der Parteien in den Ministerien wider. Symptomatisch für den parteipolitischen Machtanspruch ist auch eine Praxis, die erst vor kurzem ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist: Koalitionsparteien vereinbaren ein medial präsentables Regierungsprogramm und daneben einen geheimen Sideletter, in dem die personelle Aufteilung der Republik durchdekliniert wird.
Darin finden sich Absprachen für Führungsjobs in der Justiz, der Nationalbank, diversen Staatsbetrieben, im ORF und so weiter. Abgesichert haben sich die Parteien auch finanziell: Das Parteiengesetz regelt im ersten Paragrafen die Themen Gründung, Satzung und Transparenz, im zweiten die Begriffsbestimmungen und in allen weiteren Paragrafen das Geld. Alle etablierten politischen Anbieter haben sich durch Parteien-, Klub- und Akademieförderungen pekuniär derartig immunisiert, dass es konkurrierenden Start-ups äußerst schwer gemacht wird, den Einzug ins Parlament zu schaffen.
Für Minderqualifizierte führt der Weg manchmal direkt von der Studentenvertretung in die Funktionärskaste.
Man hat aus den Erfahrungen des Wahljahres 2013 gelernt, als gleich zwei Parteien, Neos und Team Stronach, neu im Nationalrat Platz nahmen. Heute bilden die Parteien eine Art von geschlossenem Klub. Sie leben vom staatlichen Geld, private Spenden sind mittlerweile verpönt.
Die Geschlossenheit des Systems führt zu einer beispiellosen Machtakkumulation bei den Politikern, die über das Verteilen von Staatsgeld regieren. Fördermilliarde hier, Kindermilliarde da, Baumilliarde dort: Jedes Problem scheint mit Steuergeld lösbar zu sein.
Verkrustete Parteiendemokratie
Da es für den Beruf des Politikers keine fachlichen Anforderungen gibt, zieht es oft Minderqualifizierte in die Politik. Manchmal führt der Weg direkt von der Studentenvertretung in die Funktionärskaste. Diese Leute haben oft nie einen Beruf abseits der Politik ausgeübt. Dementsprechend ahnungslos sind sie, was die Probleme des wirklichen Lebens betrifft. Sie können vor allem fremdes Geld ausgeben, und das ganz ohne Scheu. Diese neue Nomenklatura hat auch einen unschätzbaren Vorteil gegenüber dem Wahlvolk: Politische Funktionäre haben Zeit. Sie können tage- und nächtelang in Marathonsitzungen verbringen, ohne in der Realität etwas zu versäumen. Sie leben in einer eigenen Welt und fühlen sich wichtig.
Ziemlich viele Leute leben gut in einem solchen System. Es gibt auf der anderen Seite aber auch eine Gegenbewegung. Dort nimmt die Staatsskepsis zu, die im Kern oft mehr den Parteien gilt. Manche dieser Verweigerer ziehen sich in eine Art Biedermeierenklave zurück, andere weichen auf populistische Parteien aus, wieder andere tragen ihren Protest auf die Straße, und einige kleben sich an.
Gerade die Parteiendemokratie hat zum niedrigen Niveau unserer Funktionsträger geführt.
Bei der Opposition scheint die Nähe zum Volk Konjunktur zu haben: Spitzenpolitiker geben den Volkstribun, einer will Volkskanzler werden, das Volkstheater spielt für eine Signa-Aufarbeitung den verlängerten Arm des investigativen Journalismus, und im Rahmen der Wiener Festwochen sollen Volksprozesse mit tatsächlichen Juristen abgehalten werden.
Viele Wähler, die sich der Mitte zuzählen, verzweifeln an der politischen Lage. Der Politik den Rücken zu kehren und die Demokratie gering zu schätzen wäre allerdings der falsche Ansatz. Der Ausweg aus der verkrusteten Parteiendemokratie kann nicht über weniger, sondern muss über mehr Demokratie führen. All jenen, die bisher mit einem Blick auf die Bevölkerung grundsätzlich skeptisch gegenüber der direkten Demokratie eingestellt waren, sei ein Blick auf die politischen Funktionäre der Gegenwart empfohlen: Gerade die Parteiendemokratie hat zum niedrigen Niveau unserer Funktionsträger geführt.
Direkte Demokratie als Alternative
Wer über direkte Demokratie spricht, denkt unwillkürlich an die Schweiz und ihr erfolgreiches Modell. Als Ausrede, um dieses Modell nicht übernehmen zu müssen, gilt oft der Unterschied in der politischen Kultur. Doch erstens ist dieser Begriff schwammig, und zweitens ließe sich die Kultur verbessern. Wenn der einstige US-Präsident Ronald Reagan in der Auseinandersetzung mit dem Kongress nicht weiterkam, kündigte er stets an, dass er die Sache an das Volk herantragen werde.
Im Jahr 2018 hat der Juridisch-politische Leseverein eine Tagung zum Thema „Direkte Demokratie – Chancen und Risken“ veranstaltet und anschließend im Manz Verlag einen gleichnamigen Vortragsband herausgegeben. Der Verein ist seit seiner Gründung im Jahr 1841 der liberalen Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Prominente Vortragende entwickelten schon damals praktikable Ideen, um auch in Österreich Platz für mehr direkte Demokratie zu schaffen. Diese Ideen könnten als Ausgangspunkt für die Innovation unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens dienen.