Warum die Integration an Schulen scheitert
Die Schule hätte auch ohne Zuwanderung genug Probleme. Zu den verkrusteten Strukturen kommt jetzt noch die Erwartung, dass Lehrer die Integration übernehmen. Warum das nicht gut gehen kann.
Auf den Punkt gebracht
- Aufgegeben. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer schmeißen ihren Job hin – und das mit guten Gründen.
- Alleingelassen. Auch ganz ohne Zuwanderung hätte die Schule massive Probleme und großen Reformstau.
- Konfessionslos. Was helfen würde: Ein gemeinsamer, verpflichtender Religionsunterricht für alle Glaubensrichtungen.
- Aufgegeben. Einige Lehrer setzen etwa während Ramadan keine Wandertage mehr an oder weben Gebetsteppiche im Werkunterricht.
Ja, unsere Schulen haben ein Problem. Und zwar ein gewaltiges. Vor allem in den Volks- und Mittelschulen der städtischen Ballungsräume (nicht nur Wiens) pfeifen die Lehrerinnen aus dem letzten Loch – und leider immer öfter auch gleich auf ihren Job. Wenn stimmt, was der Wiener Lehrer-Gewerkschafter Thomas Krebs zu Schulschluss aussendete, passiert das oft: „An einem Spitzentag haben mich für das kommende Schuljahr 20 Meldungen von Dienstauflösungen erreicht.“ Mich wundert’s nicht.
Mehr im Dossier Integration & Werte
Allein auf weitem Schulflur
So postete im Mai ein VS-Direktor, vor dessen Tür frühmorgens ein Vater mit drei Kindern gestanden war, „sieben, neun und zehn Jahre alt, wieder einmal ohne Vorwarnung (wie so oft):
Alle drei können kein Deutsch, sind weder in Arabisch noch in einer anderen Sprache alphabetisiert. Die Deutschförderklasse ist voll, in den anderen Klassen sitzen im Schnitt 23 Kinder. Migrationsanteil in allen Klassen: mindestens 80 Prozent. Pausensprache: Farsi, Türkisch – alles, nur kein Deutsch. Rundruf an alle Schulen in der Nähe, aber überall ist die Situation ähnlich – kein Platz. Also Einschulung doch hier bei uns – eine Schulstufe niedriger als laut Alter der Kinder normal wäre. Der Zehnjährige sitzt also in der dritten Klasse VS. Mit Schulabschluss der Volksschule wird er zwölf sein. Er ist traumatisiert und deshalb sehr aggressiv. Hilfe für meine Lehrerinnen? Null.“
Was nie dazugesagt wird: Die Schule hat ihre Probleme nicht erst jetzt.
- Nicht erst jetzt, wo der Familiennachzug jener Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt. Erwartet werden in den nächsten fünf Jahren bis zu 20.000 Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen, in ihren eigenen Sprachen kaum alphabetisiert sind und ihr gesellschaftliches Leben über Religion und patriarchale Traditionen definieren. Von Flucht-, Leid- und Gewalterfahrung und den damit verbundenen Traumata gar nicht zu reden. Ein Drittel davon werden Kinder unter sechs Jahren sein, die einen Kindergartenplatz brauchen, ein weiteres Drittel Kinder und Jugendliche, die in die Schule müssen.
- Nicht erst jetzt, wo man bis Jahresende 140 neue Klassen eröffnen müsste, um all diese Kinder unterzubringen, ohne jedoch die Gebäude dafür zu haben. Ein Dilemma, dem man in Wien mit 50 mobilen Klassenräumen, „Containerklassen“ genannt, beizukommen versucht und dabei einem Häufchen zwangsbeglückter Schulen in zwangsbeglückten Bezirken (und da reden wir nicht von Hietzing oder der Josefstadt) die Schulhöfe, Sportplätze und Grünflächen verbaut.
- Nicht erst jetzt, wo man seit Kriegsausbruch in der Ukraine für 30.000 von dort vertriebene Kinder und Jugendliche viel zu wenige passende Schulplätze gefunden hat und hinter vorgehaltener Hand über jeden Schüler froh ist, der sich, statt täglich in die Schule zu gehen, unter dem Radar der Behörden mit Online-Unterricht aus Kiew und Lemberg weiterbildet.
Warum Schiele „haram“ ist
Das Hauptproblem ist nicht einmal nur der Umstand, dass wir (mit Bauernkalender, Volksbegehren für Insektenlebensmittel-Kennzeichnung und Käsleberkässemmeln) unseren neuen Zuwanderern – auf der Warteliste Stand Juni: 15.000 Syrer, 400 Afghanen, 300 Somalis – mindestens so fremd sind wie sie uns mit Abaya, Zwangsverheiratung und Hadsch.
Das Hauptproblem unserer Schule ist unsere Schule selbst. Weil sie seit jeher auf Homogenität und Einsprachigkeit gebaut ist statt auf Heterogenität und Mehrsprachigkeit; weil sie auf Auslese abzielt statt auf Stärkung eines jeden Kindes Talent und Neigung. Und weil sie auf Segregation setzt statt auf Integration. Die Zwei-Klassen-Vormittagsschule mit Mittelschule (vulgo „Haupt“) und Gymnasium auf getrennten Schienen, quasi die A- und B-Züge in unsere Zwei-Klassen-Gesellschaft, ist in Österreich ein Programm, auf das man sich beruft, nicht ein Problem, das es zu lösen gilt.
Die Lehrerinnen pfeifen aus dem letzten Loch – und leider immer öfter auch gleich auf ihren Job.
Übersehen wurde, dass neben den zwei Klassen eine dritte heranwuchs: die der Zuwanderer. Anders aus gedrückt: die hunderttausend Menschen mit Migrationshinter- und -vordergrund. Zunächst waren das die „Gastarbeiter“ der 1960er- und 70er-Jahre, später deren Familien, schließlich kamen Flüchtlinge und Vertriebene. Alle blieben sie, ihre Kinder wurden selbst Eltern und Großeltern, und viele von ihnen, zu viele, sind heute das, was man „Parallelgesellschaft“ nennt – der C-Zug unserer Gesellschaft.
Immerhin Wien reagiert – auch notgedrungen – auf die Situation. Nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. So fordert Vizebürgermeister, Bildungs- und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr ein Schul-Pflichtfach „Demokratie“ (das – wetten? – eh nur kommt, wenn die NEOS die nächste Bildungsministerin stellen). Und seit April gibt es in Wien Auffangklassen für neu angekommene Kinder, sogenannte „Orientierungsklassen“, die in Schulen untergebracht, aber de jure schulisches Niemandsland sind – weder Vorschule noch Volks- noch Mittelschule.
Sechs solche Klassen gibt es Stand Juni, 60 würde es brauchen; 80 Kinder (und deren Eltern) werden aktuell dort auf die Schule vorbereitet, 800 (und deren Eltern) hätten „dringenden Bedarf“; acht Wochen darf sich so ein Kind „orientieren“, bis es per Gesetz in den Regelunterricht überführt werden muss, mindestens acht Monate wären nötig, um ihm neben Grundkenntnissen in Deutsch und den ersten Basics (Gebrauch von Stiften und Papier, Tischen mit Sesseln, Bechern und Besteck, was ist ein Stundenplan?, was ein Mitteilungsheft?) auch ein paar Normen und Gepflogenheiten ihres neuen Gastlands zu vermitteln.
Wirklich schulfit sind die meisten Kinder (und deren Eltern) nach acht Wochen „Deutsch- und andere Regeln“ natürlich nicht, österreichfit schon gar nicht. In Oberösterreich musste ein Lehrer einen lang vorbereiteten Ausflug in das Schiele-Museum in Český Krumlov (Krumau) auf den letzten Metern absagen, nachdem muslimische Eltern gedroht hatten, ihre Kinder nicht mitgehen zu lassen, weil sie Schiele nicht für Kunst, sondern für Pornografie und damit für „haram“ hielten. Wie mir der Lehrer schrieb, habe er seine Schulleitung um Rückendeckung gebeten. Bekommen habe er ein Schulterzucken...
Zahlen & Fakten
Die Gretchenfrage
Gleich zwei Probleme unserer Schule mit Migration und Asyl zeigt diese Episode: dort die enorme Bedeutung importierter Religion und Sitten, da die Ohnmacht unserer Behörden im Umgang damit. Schon allein weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen fehlen.
Zum Beispiel die Einführung eines Religionen-Unterrichts, wie ich ihn seit mehr als zehn Jahren empfehle. Dazu muss man wissen, dass in den Volks- und Mittelschulen in Wien, Linz und Graz inzwischen mehr Muslime als Katholiken eingetragen sind. Und heuer erstmals österreichweit mehr als 100.000 Schüler den schulischen Islam-Unterricht besuchten. Die Schulamtsleiterin der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Carla Amina Baghajati, nannte die Zahl in einem Interview mit dem bezeichnenden Titel Schule ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Das ist keine schlechte Nachricht, denn auch der Islam-Unterricht unterliegt in öffentlichen Schulen (anders als in privaten Islamschulen) bis zu einem gewissen Grad der staatlichen Schulaufsicht. Noch besser fände ich es aber, Österreichs Schüler würden gemeinsam (!) einen verpflichtenden (!) Religionen-Unterricht besuchen, in dem die Vertreterinnen der verschiedenen Konfessionen einander abwechselnd (!) ihre Religion vorstellen. Deswegen muss noch kein Kind religiös werden.
Heuer besuchten erstmals österreichweit mehr als 100.000 Schüler den schulischen Islam-Unterricht.
Mathematik hören sich die meisten jahrelang an, ohne Mathematiker zu werden. Einem überkonfessionellen Reli-Unterricht steht das Religionsunterrichtsgesetz aus dem Jahr 1949 und das Konkordat aus dem Jahr 1962 entgegen, die „Reli“ als „Belangsendung“ einer Konfession festgeschrieben haben. Auf dieses Privileg werden weder die christlichen noch andere Glaubensgemeinschaften freiwillig verzichten.
In der Praxis festigen separierter Religionsunterricht und segregierende Schule die Trennlinie zwischen den Parallelgesellschaften, was einerseits Ausländer- und Islamfeindlichkeit fördert, andererseits aber zu einer Art moralischer Überkompensation geführt hat, auch als „Gutmensch-Ideologie“ bekannt. Die kritisiert etwa der islamkritische ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad als „Multikulturalismus“. Ein Teil der Gesellschaft – nota bene Politikerinnen aus dem Spektrum links der Mitte und deren Anhängerinnen sowie NGOs, so Abdel-Samad – würden von Zuwanderern Anpassung weder einmahnen noch ein Zuwiderhandeln sanktionieren. Damit arbeiteten sie (Konjunktiv) der Integration entgegen.
Zahlen & Fakten
Wie nemma ma sie denn?
Da ist – das sage ich aus der Lehrer- Perspektive – etwas dran. Statt dass die Schulpolitik klare Linien gezogen hätte, führt sie im Umgang mit Zuwandererkindern auf allen Ebenen seit Jahrzehnten einen Eiertanz auf. Motto: Wie nemma ma sie denn? Damit verärgert man viele alteingesessene Bürger, die sich und ihre Kinder, ob zu Recht oder nicht, nur noch als Opfer einer „heruntergesandelten“ Schule betrachten.
Ärger, der kulminiert und überschießt. 2023 hat die Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus 1.522 Fälle von rassistischen Übergriffen auf Musliminnen und Muslime verzeichnet. Die höchste Zahl seit Beginn der Dokumentation 2015. Die Schule, so die Leiterin der Rechtsberatung Dunia Khalil bei der Präsentation im Mai, sei der Hauptschauplatz verbaler, aber auch handgreiflicher Vorfälle gewesen – getätigt von Mitschülern, aber auch vom Lehrpersonal.
Mir mailen vor allem die anderen. Warum erlaube man es Eltern, ihre Töchter in bodenlanger Verhüllung (der Abaya) zum Unterricht zu schicken, obwohl das die Teilhabe an einem landesüblichen Schulalltag in koedukativen Klassen zumindest beeinträchtige und Wettkampfsport, aber auch einfache Wandertage unmöglich mache?
Da stimme ich zu. Man „befreit“ Mädchen fahrlässig vom Schwimmunterricht, ja selbst vom Turnen, weil sie behaupten, sich vor anderen (Mädchen) nicht umziehen zu dürfen; Lehrausgänge scheitern, weil sich die Schulbehörde gegen selbstbewusst auftretende Väter nicht auf die Füße stellt; dafür bekommen Muslime anlässlich des Ramadans bis zu drei Tage zusätzlich frei und legen – ihrer Mehrheit geschuldet – an diesen Tagen den Unterricht lahm. Ich kenne eine öffentliche Schule in Wien, da wird im Werkunterricht an einem Gebetsteppich gewebt, damit muslimische Schüler einmal am Tag beim Verrichten des Gebets im Geiste nach Mekka reisen können (Hadsch).
Beim Essen scheint der Zug zumindest in Wien bereits dorthin abgefahren zu sein. Immer mehr Schulen bestellen ihr Mittagsmenü pauschal schweinefleischbefreit. Selbst bekennende Islam-Gegner wie ein Mittelschuldirektor und ÖVP-Bezirksrat in Floridsdorf lassen in ihren Schulen inzwischen nur noch „halal“ bestellen – obwohl die Hälfte seiner Schüler aus Kindern „ohne Bekenntnis“ und orthodoxen Christen besteht. Ich habe den Direktor damit konfrontiert. Er hat es mir achselzuckend bestätigt. „Es gibt Wichtigeres.“
Eh. Nur was jetzt?
Conclusio
Reformresistent. Die Zwei-Klassen-Schule, Platzmangel, ein nach Konfessionen getrennter Religionsunterricht und so weiter: Die Schule ist für die Herausforderungen der Zukunft – und der Gegenwart – nicht gerüstet.
Haram. Viele Lehrer fühlen sich hilflos gegenüber den Forderungen muslimischer Eltern, die Kunst für „haram“ erklären, ihre Mädchen vom Sportunterricht abmelden und im Ramadan drei Tage schulfrei bekommen wollen.
Gutmenschen-Ideologie. Wenn Teile der Gesellschaft leugnen, dass es Probleme gibt, sorgt das bei anderen Teilen für überschießenden Ärger und in der Folge zu einer Zunahme von Islamfeindlichkeit und Rassismus.