Waffenbrüder: Die neue Achse USA-Türkei

Trump und Erdoğan stärken die US-Türkei-Partnerschaft durch wirtschaftliche und militärische Kooperationen. Diese neue Dynamik könnte die Machtverhältnisse im Nahen Osten verschieben.

Beitragsbild zum Thema US-Türkei-Partnerschaft: US-Präsident Donald Trump spricht mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor Beginn der Plenarsitzung beim 76. NATO-Gipfel im World Forum in Den Haag, Niederlande, am 25. Juni 2025.
Donald Trump spricht mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor Beginn des NATO-Gipfels in Den Haag im Juni 2025. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Tauwetter: Unter Trump erstarkte die US-Türkei-Partnerschaft nach einem Jahrelangen Konflikt.
  • Zollfrei: Der bilaterale Warenhandel erreichte 2024 ein Volumen von 32 Milliarden Dollar, und Ankara profitiert von vergleichsweise geringen Zöllen.
  • Macht-Poker: Die Türkei strebt eine führende Rolle im Nahen Osten an, stößt dabei aber auf Widerstand Israels.
  • Wende: Mit der Unterstützung Washingtons könnte Ankara zur regionalen Großmacht aufsteigen.

Das Treffen zwischen US-Präsident Donald J. Trump und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zählte zu den Höhepunkten des diesjährigen NATO-Gipfels Ende Juni in Den Haag. Nachdem das Verhältnis zwischen Washington und Ankara über ein Jahrzehnt von strategischen Dissonanzen und gegenseitigem Misstrauen geprägt war, deuten jüngste Signale auf eine schnelle Annäherung hin. Präsident Erdoğan reiste eigens für dieses Treffen mit Kabinettsmitgliedern und seinem Beraterstab an. Die demonstrative Eintracht vor den Kameras wusch die Zerwürfnisse der letzten Jahre hinweg. Jetzt wird der NATO-Gipfel 2026 in Istanbul ausgerichtet werden. Es wird nach 2004 das zweite hochrangige Treffen der NATO-Staaten in der Türkei.

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Während die Europäische Union und allen voran Deutschland mit Zolldrohungen von 30 Prozent belegt wurden, gehörte die Türkei bereits im April zu dem auserwählten Kreis, der von Trump nur mit dem Basiszoll von zehn Prozent belastet wurde. Zum Vergleich: Der US-Verbündete Israel wurde mit 17 Prozent belegt, was in Ankara wohlwollend aufgenommen wurde. Der bilaterale Warenhandel zwischen den USA und der Türkei hat im Jahr 2024 ein Volumen von rund 32 Milliarden US-Dollar erreicht.

Nach Angaben des US-Handelsbeauftragten beliefen sich die Exporte der USA in die Türkei auf etwa 15,3 Milliarden Dollar, während Importe aus der Türkei rund 16,7 Milliarden Dollar ausmachten. Daraus ergibt sich ein leichtes Handelsdefizit der USA von rund 1,5 Milliarden Dollar. Im Zeitraum Januar bis April 2025 verzeichnete die US-Handelsbilanz mit der Türkei jedoch bereits einen Überschuss von knapp 604 Millionen Dollar.

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Zahlen & Fakten

Damit setzt sich der Trend wachsender gegenseitiger Wirtschaftsverflechtung fort, bei dem insbesondere die Exporte strategischer Güter – etwa aus dem Energie- und Verteidigungssektor – zunehmend an Bedeutung gewinnen. Bereits jetzt werden 30 Prozent aller US 155 mm Artilleriegeschosse von der türkischen Rüstungsfirma Repkon hergestellt und die Türkei ist auf dem Weg, der größte Munitionslieferant der NATO zu werden. Die Zusammenarbeit zwischen Ankara und Washington sei laut Pentagon „der Schlüssel, eine globale Verteidigungsindustrie aufzubauen.“ Präsident Erdoğan kündigte auf dem NATO-Gipfel an, dass Ankara seine Verteidigungsausgaben in den nächsten zehn Jahren schrittweise von zwei auf fünf Prozent des BIP erhöhen werde.

Das große Zerwürfnis

Bislang war das Verhältnis zwischen Ankara und Washington von erheblichen Spannungen geprägt. 2019 verabschiedete der US-Kongress mit großer Mehrheit den „Promoting American National Security and Preventing the Resurgence of ISIS Act“, der offiziell die nationale Sicherheit stärken und ein Wiedererstarken des Islamischen Staates verhindern sollte. Zugleich jedoch verhängte das Gesetz strenge Sanktionen gegen die Türkei, die im Zuge ihrer Militäroperationen gegen die kurdischen Verbündeten der USA in Nordsyrien agierte. Im Jahr 2020 verschärfte sich der Druck auf Ankara durch zusätzliche Sanktionen und Restriktionen weiter. Mit dem National Defense Authorization Act (NDAA) sowie den CAATSA-Sanktionen wurde die Türkei für den Erwerb des russischen Luftabwehrsystems S-400 hart bestraft und unter der Regierung Trump aus dem hochrangigen F-35-Kampfjetprogramm ausgeschlossen.

Unter Präsident Joe Biden verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen noch weiter. Noch während des Wahlkampfes 2020 geriet Präsident Biden mit scharfer Kritik an der Präsident Erdoğan in den Fokus türkischer Medien, indem er ihm autoritäre Regierungspraktiken vorwarf. Nach seinem Amtsantritt vermied es Joe Biden bewusst, sich deinem türkischen Amtskollegen zu treffen und schloss das Land aus dem neu etablierten „Summit for Democracy“ aus – einer Initiative, die Staaten der freien und demokratischen Welt versammelt. Bemerkenswerterweise war die Türkei das einzige NATO-Mitglied, das nicht eingeladen wurde.

Gegen die NATO

Als Reaktion auf diese zunehmend distanzierte Haltung Washingtons setzte Ankara sein Vetorecht im NATO-Rat ein und blockierte die Beitrittsprozesse Finnlands und Schwedens. Parallel intensivierte die Türkei ihre Militäroffensiven in Syrien, um die Entstehung eines zusammenhängenden kurdischen Staatsgebiets auf irakischem und syrischem Terrain zu verhindern. Auch im Lager Trumps gab es Bedenken hinsichtlich des wachsenden türkischen Einflusses: Der Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz und der ehemalige Nahostbeauftragte Senator Lindsey Graham äußerten Sorge über eine mögliche Einkesselung der von den USA unterstützten kurdischen Einheiten in Nordsyrien.

US-Senator Lindsey Graham, der noch im Dezember 2024 Sanktionen gegen die Türkei forderte, wenn diese die Kurden in Nordsyrien angreifen würden, gab seine frühere Haltung auf und schloss sich dem neuen Trump-Kurs an. „Die Türkei und Israel sind wichtige Verbündete, die Frieden und Stabilität in die Region (des Nahen Ostens) bringen werden.“, so Graham im Mai 2025.

Waltz forderte nicht nur ein härteres Vorgehen gegen die Türkei, sondern auch eine mit Israel abgestimmte Militäroffensive zum Sturz des Mullah-Regimes im Iran, eine Linie, die bei Präsident Trump auf wenig Gegenliebe stieß. Mike Waltz verblieb bei seiner Position und verlor den Machtkampf gegen den Nahostbeauftragten Steve Witkoff.

Die Differenzen zwischen Waltz und Präsident Trump kulminierten schließlich in Waltz’ Rücktritt am 1. Mai. Steve Witkoff, der sich als US-Verhandlungsführer in der Krisenregion Nahost und in der Ukraine stark engagierte und auch vor dem US-Militärschlag auf die Atomanlagen Gespräche mit dem Iran führte, wird als neuer Nationaler Sicherheitsberater in Betracht gezogen.

Neuaufbau der US-Türkei-Partnerschaft

Witkoff leitete bereits nach dem Sturz von Waltz im Mai die Wende in der Nahost- und Türkeipolitik der USA ein. Am 14. Mai 2025 setzte Donald Trump im saudischen Riad ein politisches Signal, als er den neuen syrischen Staatschef Ahmed al-Shaara traf und die Aufhebung aller Sanktionen erklärte, die für die Türkei ein wichtiger Meilenstein zur Ausweitung ihres eigenen Einflussbereichs war. Die neue Regierung in Damaskus gilt als pro-türkisch und von Ankara abhängig. Steve Witkoff unterstützte auch die Ernennung von Tom Barrack zum US-Botschafter in Ankara.

Sowohl Witkoff als auch Barrack sind Immobilieninvestoren ohne diplomatische Erfahrung, gehören zu Trumps direktem persönlichen Umfeld. Barrack hat zudem auch persönliche Beziehungen zur Türkei, da sein Großvater Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Osmanischen Reich in die USA auswanderte. Barrack gab an, dass man die seit langem bestehenden US-Rüstungssanktionen gegen die Türkei bis zum Jahresende abschaffen wollen. „Wir sind uns alle einig, dass hier eine enorme Chance besteht, da wir zwei Staatsführer haben, die einander vertrauen“, sagte Barrack, der auch US-Sondergesandter für Syrien ist.

Israel opponiert

Die politische Wende stößt jedoch auf Gegenwind: Israels Premierminister Benjamin Netanyahu sieht im Machtzuwachs der Türkei seine eigenen Ambitionen im Nahen Osten gefährdet. Die Präsenz türkischer Truppen in Syrien unweit der israelischen Grenze bezeichnete er bereits als „rote Linie”.

Auch in den Reihen der Republikaner gibt es einflussreiche Akteure, die diese Politik nicht mittragen. Senator James Risch, Vorsitzender des US-Senatsausschusses für Außenbeziehungen, hat erklärt, dass er weiterhin die Lieferung von sechs F-35-Kampfjets an die Türkei verhindern werde. Präsident Erdoğan hatte sich noch auf dem NATO-Gipfel in Den Haag angesichts der verbesserten Beziehungen zu Präsident Trump positiv geäußert und hoffte auf eine Rückkehr in das Programm. Auf einer Podiumsdiskussion am Hudson Institute nach dem Gipfel erklärte Senator Risch, dass er weiterhin skeptisch gegenüber der Türkei ist: „Ich hoffe, die Türken würden zu Hause bleiben, aber sie wollen Einfluss in Syrien haben, und ich bin da sehr vorsichtig.“

Die Türkei sieht ihre Chance gekommen, mit der Unterstützung Washingtons im Nahen Osten eine führende regionale Großmacht zu werden. Israels Militärschlag auf das syrische Militärhauptquartier war eine Warnung, dass Jerusalem diese Machterweiterung nicht dulden werde. Die Türkei strebt keinen Krieg mit Israel an, weshalb der türkische Außenminister Hakan Fidan die USA um Vermittlung bat. „Die Türkei unterstützt die konstruktive Rolle der USA in Syrien und ist bereit, mit den USA sowie anderen Ländern zusammenzuarbeiten, um den Konflikt und die Spannungen dauerhaft zu beenden.“, so Fidan. Die neue Aufteilung des Nahen Ostens in Einflusszonen soll unter die Ägide Washingtons fallen und die Türkei ist bereit dies für Gegenleistungen mitzutragen.

Anbindungen an Turkstaaten

Der jüngste Friedensschluss zwischen Armenien und Aserbaidschan im Bergkarabach-Konflikt in Washington hat gleichzeitig der Türkei die energiepolitisch wichtige und völkerrechtlich festgelegte Landbrücke zum Bruderstaat am Kaspischen Meer verschafft, um Erdgas und Erdöl von Baku zu beziehen. Präsident Trump hat den Weg für den langersehnten Traum Ankaras, eine Verbindung zu den Turkstaaten in Zentralasien zu schaffen, freigemacht, um den chinesischen Einfluss zurückzudrängen und Druck auf die Führung in Peking zu erhöhen.

Derweil strebt Ankara danach, seinen verlorenen Nimbus als Weltmacht zurückzuerlangen, den es mit dem Untergang des Osmanischen Reiches verlor und in der Liga der Großmächte mitzuspielen. Dass die Beziehungen zu Washington wieder gefestigt wurden, ist ein wichtiger Schritt für Ankara in diese Richtung.

Weiterführend: Vortrag von US-Senator James Risch über US-Außenpolitik am Hudson-Institut

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Conclusio

Annäherung. Das Treffen zwischen Trump und Erdoğan auf dem NATO-Gipfel markierte eine deutliche Annäherung zwischen den USA und der Türkei, die durch wachsende wirtschaftliche Verflechtungen, eine verstärkte militärische Zusammenarbeit und die strategische Neuausrichtung im Nahen Osten untermauert wurde.

Widerstand. Diese Entwicklung signalisiert das Ende einer Eiszeit zwischen den Ländern und somit eine Machtverschiebung in der Region, bei der die Türkei eine zentrale Rolle einnimmt, jedoch auch auf Widerstand innerhalb der NATO und seitens Israels stößt.

Prognose. Sollte die Türkei ihre Position als regionaler Akteur weiter ausbauen und die Unterstützung Washingtons sichern, könnte dies die geopolitische Balance im Nahen Osten nachhaltig verändern und Ankaras Einfluss als regionale Macht stärken.

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