Die illiberale Zeitenwende

In Deutschland wird aus dem Schutz der Meinungsfreiheit immer deutlicher ein Schutz vor der Meinungsfreiheit. Die Bürger sollten sich gegen diese Bevormundung wehren.

Die Illustration zeigt einen schwarzen Adler auf einem roten Hintergrund. Eine seiner Krallen hält eine zerbrochene Sprechblase, die in weißen Scherben dargestellt ist. Zusätzlich sind zwei weitere unbeschädigte Sprechblasen ebenfalls in Weiß abgebildet. Die Illustration zeigt den Zustand der Meinungsfreiheit, wobei die zerbrochene Sprechblase auf eine Bevormundung der Bürger hinweist.
Die Grenzen des Sagbaren werden immer enger gezogen. Gegen diese Bevormundung sollten sich die Bürger wehren. © Jens Bonnke
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Auf den Punkt gebracht

  • Community Notes. Weil die Faktenprüfung zu oft zu einem Zensurinstrument geworden ist, ersetzt sie Mark Zuckerberg künftig durch Anmerkungen der Nutzer.
  • Regulierung. Europa ist der Freiheit gegenüber skeptisch und will die Inhalte im Internet noch stärker regulieren als bisher. Amtliche Meldestellen sind eingerichtet.
  • Social Media. Aufgrund des schwammigen gesetzlichen Rahmens werden auch Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gemeldet, gelöscht, sanktioniert.
  • Bevormundung. Das grundgesetzlich verbriefte Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat verschiebt sich zu einer Schutzpflicht des Staates für den Bürger.

Das Jahr 2025 begann für die Befürworter einer regulierten Meinungsfreiheit mit einer schlechten Nachricht: Mark Zuckerberg kündigte an, dass der Meta-Konzern, zu dem die wichtigen Social-Media-Plattformen Facebook und Instagram gehören, die Faktenprüfung durch Dritte beenden werde. Die Nutzer selbst sollen nun mithilfe sogenannter Community Notes die Bewertung von Äußerungen hinsichtlich ihres Tatsachengehalts vornehmen. 

Obwohl der Meta-Kurswechsel zunächst nur die USA betrifft, führte er zu heftigen, von einer Jetzt-erst-recht-Haltung getragenen Reaktionen in Deutschland. Die Tagesschau und die ARD-Landesrundfunkanstalten kündigten umgehend an, dass sie „ihre Bemühungen im Kampf gegen Falschinformationen auf Social-Media-Plattformen verstärken“ und ihre „Kapazitäten zum Faktenprüfen“ bis Ende 2025 deutlich steigern würden. 

Der Wunsch nach Regulierung

CDU-Chef Friedrich Merz brachte die in Deutschland mittlerweile weit verbreitete Skepsis gegenüber zu viel Freiheit im Internet auf den Punkt: „Ich beobachte das mit zunehmender Besorgnis, dass hier vor allem Plattformen geschaffen werden für Falschinformationen, für einseitige Kampagnen, für Halbwahrheiten, für Hetze, für Hass und diese Auswüchse, die wir dort sehen.“ Deshalb möchte er, „dass sich die Europäische Union mit diesem Thema beschäftigt und dass sie das auch reguliert“. 

Auch Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze werden gemeldet, gelöscht, sanktioniert.

Dass Meta laut Zuckerberg weiterhin gegen strafbare Inhalte auf seinen Plattformen vorzugehen beabsichtige, wurde in Deutschland entweder geflissentlich überhört oder als nicht ausreichend empfunden, um Menschen, wie es der Grünen-Politiker Konstantin von Notz auf X zum Ausdruck brachte, „vor Beleidigung, Bedrohung und Verhetzung“ zu schützen. 

Befangene Faktenchecker

Die Kritiker Zuckerbergs haben sich offenbar längst an den Gedanken gewöhnt, dass das Strafrecht nicht mehr die einzige rote Linie darstellt. Sondern dass es auch Äußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ gibt (so die Bundesfamilienministerin der Ampel-Regierung Lisa Paus, Bündnis 90 / Die Grünen), die zu melden, zu löschen und institutionell zu sanktionieren sind. Und dass es offizieller Kontrollore bedarf, um Nutzer und „unsere“ Demokratie vor Falschinformationen zu schützen. Dabei wird diesen Faktenprüfern ein erstaunliches Maß an Unabhängigkeit, Neutralität und Sachkompetenz zugesprochen. Ideologische und politische Einflussnahmen und Voreingenommenheit dieser Leute werden ausgeblendet oder gar – wenn weltanschaulich opportun – begrüßt. 

Was viele Kritiker des Faktenprüfersystems lange vermutet hatten, wurde von Zuckerberg bestätigt: „Vorurteile und Sichtweisen“ der Prüfer hätten sich auf die Bewertung des Contents ausgewirkt, erklärte er. Gekennzeichnet und in ihrer Verbreitung eingeschränkt worden seien oft Inhalte, bei denen es sich um legitime politische Äußerungen gehandelt habe. Dergestalt sei die Faktenprüfung „allzu oft zu einem Zensurinstrument“ geworden, so der Meta-Boss. Er benannte mit Migration und Gender zwei Themen, die aufgrund woker Identitätspolitik besonders betroffen gewesen seien und die seiner Meinung nach nunmehr frei diskutierbar sein sollen. Jedenfalls solange der Diskurs nicht mit dem Strafrecht kollidiert.

In einem Anfang Jänner geführten Gespräch mit dem einflussreichen Podcaster Joe Rogan erzählte Zuckerberg, warum er die Faktenprüfung vor ein paar Jahren überhaupt eingeführt hatte. Grund sei der starke Druck gewesen, dem er sich im Gefolge der Behauptungen in vielen reichweitenstarken Medien ausgesetzt gesehen habe, dass Trumps Wahlsieg Anfang November 2016 mit über die sozialen Medien verbreiteter Desinformation in Verbindung gestanden sei. 

News, Hass und Hetze 

Fakt ist: In der ersten Amtszeit Trumps hat die Verwendung des Begriffs „Desinformation“ in den USA exorbitant zugenommen. Nur geringfügig zeitverzögert fand das Wort auch Eingang in den Sprachgebrauch in Deutschland. Weitere Begriffe, die seit Trumps erster Präsidentschaft auch in Deutschland inflationär verwendet werden, sind: Fake News, Hass und Hetze. Politik, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen warnen inzwischen nahezu in Dauerfrequenz vor deren gesellschaftlichen Folgen, gerade im Kontext von Wahlen. Begleitet werden die Warnungen vom Ruf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. 

Ein Beispiel kommt aus Hessen, wo Innenminister Roman Poseck Mitte Jänner in einer Pressemitteilung vor „ungefilterten Meinungen“ auf den Plattformen und „Desinformation im Kontext der Bundestagswahl 2025“ warnte. Zuckerbergs Entscheidung würde den Kampf gegen Desinformation, die von autokratischen ausländischen Akteuren – allen voran Russland – und inländischen Extremisten ausgehe, schwächen. Roman Poseck sieht die Plattformbetreiber in der Pflicht, „Desinformationen wirksam entgegenzutreten“, und schließt eine Drohung an: „Sollte dies nicht gelingen, werden weitergehende Regulierungen unumgänglich sein.“ 

Gezielte Lancierungen von unwahren Tatsachenbehauptungen auf den Plattformen gibt es natürlich. Dagegen sollte auch mit rechtsstaatlichen Mitteln vorgegangen werden. Das Problem ist, dass es sich bei Desinformation, Fake News sowie Hass und Hetze nicht um inhaltlich bestimmte Rechtsbegriffe handelt, sondern um deutungsoffene Containerbegriffe, die ihre Wurzeln im politischen Kampf um Deutungshoheit in den USA haben und auf die Ausgrenzung ideologisch und machtpolitisch unliebsamer Meinungen abzielen. Umso bedenklicher ist daher die Selbstverständlichkeit, mit der diese Begriffe mittlerweile hierzulande verwendet werden.

Was ist wahr, was ist falsch?

Auffällig ist, dass diejenigen, die für eine Regulierung der sozialen Medien im Kampf gegen Desinformation und Fake News trommeln, konkrete und mit Belegen unterfütterte Beispiele schuldig bleiben. Die Vorwürfe bewegen sich – angesichts der beschworenen Bedrohung – auf einer erstaunlich allgemeinen Ebene. 

Stellvertretend dafür soll noch einmal der hessische Innenminister zitiert werden, der in seiner Pressemitteilung vor gezielter Desinformation warnte, die Russland betreibe, „um die internationale Öffentlichkeit zu beeinflussen und die Glaubwürdigkeit der ukrainischen und anderer Regierungen zu schwächen“. 

Nun ist es Bestandteil politischen Handelns, wenn Regierungen versuchen, ihre Sicht der Dinge in der Öffentlichkeit zu verankern. Dass sie dabei bestrebt sind, die Glaubwürdigkeit von anders denkenden Politikern oder Regierungen zu untergraben, ist ebenfalls nicht neu. Jüngeren Datums ist hingegen die Idee, dass der Staat den Bürger vor schädlichen Informationen und Perspektiven schützen muss, um „unsere“ Demokratie vor ihren autoritären und extremistischen Feinden zu bewahren. 

Wer dem Staat eine solche Schutzfunktion zuerkennt, hält die Bürger offenbar für außerstande, Informationen einzuordnen und auf ihren Tatsachengehalt hin bewerten zu können. Eine solche Bevormundung wirft auch die Frage auf, wer bestimmen soll, welche Inhalte in diese Kategorie fallen. 

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Zahlen & Fakten

Majestätsbeleidigung ist strafbar

Strafbefehl. Der deutsche Rechtsanwalt Markus Roscher schrieb auf X, vormals Twitter: „#Habeck, #Baerbock, #Scholz: Wir werden von bösartigen, arroganten Versagern regiert. Sie lassen ihre Bürger für eine grünschwarzrote Scheinmoral zugrunde gehen, stopfen sich selbst die Taschen voll und sind viel zu dumm, um durchdachte Gesetze auf den Weg zu bringen.“ Folge dieses Wutausbruchs: ein rechtskräftiger Strafbefehl über 3.000 Euro (AG Kassel, 284 Cs 1692 Js 38180/22). Ein Verfahren über die Entziehung des kleinen Waffenscheins wegen Unzuverlässigkeit ist bei der zuständigen örtlichen Behörde anhängig. 

Anzeigenmeister. Der dem Urteil zugrunde liegende § 188 StGB sieht für die „Beleidigung einer im politischen Leben des Volkes stehenden Person“, die geeignet ist, deren „öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“, sogar Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vor. Unter den gleichen Voraussetzungen drohen für üble Nachrede drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe und für Verleumdung sechs Monate bis fünf Jahre. Von der Ampel-Regierungsriege erstatteten die meisten Anzeigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (über 800) und Außenministerin Annalena Baerbock (über 500). Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) brachte 2023/24 bis zu 250 Anzeigen pro Monat auf den Weg, was sich bis Mitte des Vorjahres auf etwa 1.900 Strafanzeigen summierte – die meisten dokumentierten Anzeigen aller deutschen Politiker.

Schwammige Begriffe wie Desinformation und Fake News eignen sich hervorragend, um Inhalte ins Visier zu nehmen, bei denen es in erster Linie um unterschiedliche Perspektiven und nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen geht. So droht die Gefahr, dass sich ein illiberal-autoritäres Staatsverständnis Bahn bricht. 

Ein autoritäres Staatsverständnis

Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte 2024 in Bezug auf den Kampf gegen Rechtsextremismus: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Faeser offenbart hier eine Auffassung, die sich nicht mit einer liberalen Rechtsordnung vereinbaren lässt, in der Staatsverhöhnung keine Straftat darstellt. Faesers Ansicht steht jedoch im Einklang mit der schon 2021 durchgezogenen Verschärfung von § 188 des Strafgesetzbuches (gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung).

Vor allem Politiker der Grünen nützten zuletzt gerne die Option, Bürger wegen Beleidigung anzeigen zu können. Das geht, sofern die Beleidigung geeignet ist, das öffentliche Wirken von Politikern „erheblich zu erschweren“. Wie interpretationsoffen diese Formulierung ist, verdeutlichen die Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte: Schlagzeilen machte beispielsweise die Hausdurchsuchung bei einem Bürger, der ein Meme auf X geteilt hatte, das unter dem Porträtfoto des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck (in Abwandlung einer Shampoomarke) den Schriftzug „Schwachkopf Professional“ trug. 

Ein anderer Bürger wurde für die Bezeichnung von Annalena Baerbock als „dümmster Außenministerin der Welt“ zu einer Strafzahlung von 9.600 Euro verurteilt. Für wie schutzbedürftig muss man Politiker halten, um zu glauben, dass durch solchen Spott deren öffentliches Wirken erheblich erschwert werden könnte? 

Hass ist nicht illegal

Als wahrscheinlicher – und wohl auch gewünscht – kann eine andere Wirkung angenommen werden: der Chilling Effect, also Zurückhaltung bei der Kritik an Politikern. Nicht der schutzbedürftige Politiker, sondern vor allem der hilflose Bürger stand Pate für den Digital Services Act (DSA) der EU, der seit 2024 von den Mitgliedsstaaten anzuwenden ist. Ziel des DSA ist die schnellere Entfernung von „illegalen Inhalten“ von den Plattformen. „Trusted Flaggers“ (vertrauenswürdige Hinweisgeber) sollen von den Mitgliedsstaaten zertifiziert werden, um Inhalte, die sie für „illegal“ halten, den Plattformen zu melden, die solchen Content dann prioritär bearbeiten müssen, sonst drohen hohe Strafzahlungen. 

Der DSA erwähnt neben „rechtswidrigen Inhalten“ auch „Online-Desinformation“ und „andere gesellschaftliche Risiken“, gegen die vorgegangen werden soll. Das ist ziemlich vage formuliert und eröffnet erhebliche Deutungs- und damit Handlungsspielräume. Dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, die in Deutschland für die Zulassung der vertrauenswürdigen Hinweisgeber zuständig ist, scheint das entgegenzukommen. 

So sagte Klaus Müller anlässlich der Bekanntgabe des ersten Trusted Flaggers: „Illegale Inhalte, illegaler Hass und illegale Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden.“ Das Wort „illegal“ vor Hass und Fake News wurde erst nach heftiger Kritik eingefügt. Nur wirft das die Frage auf: Was unterscheidet „illegale“ von „legalen“ Fake News? Würde es sich bei der regierungsseitig verbreiteten Behauptung, die Coronaimpfung sei absolut sicher, um „legale“ Fake News handeln? Unklar sieht es auch beim Hass aus: Wäre „Alle hassen die AfD“ legal, aber „Alle hassen die Grünen“ nicht?

Sprache ist bekanntermaßen verräterisch, und das gilt auch für Müllers Formulierung: „ohne bürokratische Hürden“. Denn das heißt im Klartext: unter Umgehung der rechtsstaatlich zuständigen Institutionen. 

Grundlage des Rechtsstaats

Was nicht verboten ist, ist erlaubt: Das gilt eigentlich als ein Grundsatz des Rechtsstaates. Doch darüber wird neuerdings hinweggesehen. Die Bundesnetzagentur hat eine „Liste der Bereiche mit unzulässigen Inhalten“ herausgegeben, in der beispielsweise „Straftaten an Minderjährigen“ und „negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs oder Wahlen“ erwähnt werden. Letzteres ist interpretationsoffen, wodurch die Anfälligkeit für gesinnungsbasierte Meldungen durch die Trusted Flaggers steigt. 

Ohnehin: Wie neutral sind Prüfer? Sind sie objektiver, als es die Faktenprüfer bei Meta waren? Problematisch ist jedenfalls, dass die Trusted Flaggers von einer Bundesbehörde zugelassen werden und nicht sichergestellt ist, dass die Behörde ihre weltanschaulichen Präferenzen nicht in die Auswahl des Personals einfließen lassen kann. 

Die Frage der Unabhängigkeit und Neutralität wird umso relevanter, wenn man sich den ersten deutschen Trusted Flagger genauer ansieht: Es handelt sich um die Meldestelle REspect!, die aus verschiedenen Regierungstöpfen finanziert wird. Will die Meldestelle ihren Trusted-Flagger-Status nicht verlieren, wird sie geneigt sein, ihre Tätigkeit den Erwartungen der Finanziers anzupassen.

Unverdrossen ertönt in Deutschland der Ruf nach weiteren Regulierungen des Sagbaren, als hätte es davon in den letzten Jahren nicht bereits genug gegeben. Stück für Stück wird so eine Bedeutungsverschiebung der Meinungsfreiheit vollzogen: weg vom Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, hin zu einer Schutzpflicht des Staates für den Bürger und „unsere“ Demokratie.

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Conclusio

Grundrechte. Eine liberale Gesellschaft muss die Grundrechte besonders schützen. Wo Meinungsäußerungen bereits unterhalb der Strafbarkeitsgrenze unterbunden werden, gerät diese Achtsamkeit in Gefahr.

Internet. Gesetze und Maßnahmen zur Regulierung von Social Media sollten ausschließlich Inhalte bekämpfen, die dem Strafrecht unterliegen. Unter dem Deckmantel des Faktenchecks darf keine Narrativkontrolle stattfinden. 

Rechtsstaat. Wenn die Grenzen des Sagbaren durch willkürliche Grenzen immer enger gezogen werden, sollten sich die Bürger dagegen wehren: mit Protestschreiben, Demonstrationen oder Entscheidungen an der Wahlurne.

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