Für Frauen ist kein Platz mehr

Was wird aus dem Feminismus, wenn das Geschlecht nur noch eine Frage der Befindlichkeit ist? Denkverbote in der Genderideologie haben fatale Folgen für die Gleichberechtigung.

Illustration einer Frau. Über ihrem Kopf hängen verschiedene Gender-Symbole. Das Bild illustriert einen Artikel darüber, dass es keinen Feminismus mehr gibt, wenn Frau-Sein nur noch eine Frage der Befindlichkeit ist.
Wenn Frau-Sein nur noch eine Frage der Befindlichkeit ist, gibt es keinen Feminismus mehr. © Jens Bonnke
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Auf den Punkt gebracht

  • Frauenrechte. Sich wie eine Frau zu fühlen, ist nicht zwangsläufig das Gleiche, wie eine Frau zu sein. Der Platz für Frauen in der Gesellschaft wird immer kleiner.
  • Hasskriminalität. Die EU ermöglicht mit dem Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Sexismus die strafrechtliche Verfolgung der Diskussion biologischer Fakten.
  • Demokratie. Meinungsfreiheit und Diskriminierungsschutz als individuelle Menschenrechte geraten durch ideologische Zuspitzung unter Druck.
  • Profiteure. Wer die Meinungsfreiheit preisgibt und den offenen Diskurs über Geschlechterfragen unterdrückt, stärkt damit den Rechtspopulismus.

„Männer können keine Lesben sein“; „Frauen haben keinen Penis“; „es gibt biologisch zwei Geschlechter“: Drei Sätze, die vor wenigen Jahren noch banal waren, markieren heute in manchen Ländern die Grenze zwischen Meinung und Straftat. Sie sind die Schwelle zur Definition von Hassrede geworden. Widerspenstige riskieren mit solchen Feststellungen auch in Österreich ihre Karriere und Reputation, ihre wirtschaftliche und soziale Existenz. Von den Konsequenzen betroffen sind vor allem Frauen. Ihr Platz in der Gesellschaft wird immer kleiner. 

Als Irland Ende 2024 sein neues Gesetz gegen Hasskriminalität verabschiedete, war die Empörung von Feministinnen unüberhörbar. Sie fürchteten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit in Debatten über Geschlecht und Geschlechtsidentität – zwei ähnlich klingende, allerdings in ihrer Bedeutung grundverschiedene Begriffe. Bringen wir es auf den Punkt: Sich wie eine Frau zu fühlen, ist nicht notwendigerweise das Gleiche, wie eine Frau zu sein. Wenn wir beides gleichsetzen, gibt es keine Frauenrechte mehr.

Das irische Gesetz folgt dem EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Sexismus. Es sieht bei bestimmten Straftaten einen erschwerenden Umstand („aggravating factor“) vor, wenn als Tatmotiv Hass gegen eine „Gruppe mit geschützten Merkmalen“ erkannt wird. Neben Körperverletzung oder Sachbeschädigung werden Begriffe als strafverschärfend bewertet, wenn sie aus dem falschen Gefühl heraus geäußert wurden. Hass selbst wird in dem Gesetz gegen Hass nicht definiert. Geschützt werden unter anderem Geschlecht, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck. Ein Wortsalat, in dem der Feminismus keinen Platz mehr hat. Damit sind wir mitten im Minenfeld um Frauenrechte, die materielle Realität von Geschlecht und den Umgang mit biologischen Fakten in der Gesetzgebung.

Vom Seminarraum ins Gesetz

Das irische Gesetz betrachtet Geschlecht (im Original: gender) als etwas, das sich selbst definiert – und zwar als „das Geschlecht einer Person oder das Geschlecht, das eine Person als ihr bevorzugtes Geschlecht ausdrückt oder mit dem sie sich identifiziert, einschließlich transgender und eines Geschlechts, das weder männlich noch weiblich ist“.

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Zahlen & Fakten

Selbst ernannte Hüter der Wahrheit

Faktenchecker. Im Jänner 2025 kündigte Meta-Chef Mark Zuckerberg in den USA die Zusammenarbeit mit dem International Fact-Checking Network (IFCN). Die 2015 gegründete Faktenchecker-Vereinigung umfasst 182 „verifizierte Signatare“ (Stand: März 2025), die sich dem Grundsatzcode des IFCN verpflichtet haben. In Österreich sind das die APA (Austria Presse Agentur) und Medizin transparent von der Donau-Universität Krems, in Deutschland das Netzwerk Correctiv und die dpa (Deutsche Presse-Agentur). „Die Faktenchecker waren einfach zu politisch voreingenommen und haben mehr Vertrauen zerstört als geschaffen, insbesondere in den USA“, begründete Zuckerberg seine Entscheidung auf Instagram. 

Gerichtsurteile. Eine Reihe von Gerichtsurteilen gegen deutsche Faktenprüfer bekräftigt Zuckerbergs Argument. Zwei Beispiele: 2021 untersagte das Landgericht Karlsruhe (AZ 23 O 61/21) Facebook die Verbreitung eines Faktenchecks von Correctiv zu einem Artikel des Autorenblogs „Achse des Guten“, da Correctiv keine Tatsachen geprüft, sondern Werturteile vorgenommen habe. 2024 erwirkte derselbe Blog gegen die dpa (LG Hamburg, AZ 312 0 264/24) und Meta (LG Karlsruhe, AZ 14 0 42/24 KfH) einstweilige Verfügungen, welche die Verbreitung eines Faktenchecks untersagten, der einen Artikel von Achgut.com als falsch eingestuft hatte. Den Gerichten zufolge seien die Behauptungen im Faktencheck „unwahr“ gewesen.

Ein selbstreferenzielles Meisterstück, das ohne die korrekte Vokabel „sex“ – also biologisches Geschlecht – als Repräsentation körperlicher und gesellschaftlicher Realität auskommt. Die Theorie einer unbegrenzten Zahl von „genders“ war bisher exklusives Vergnügen akademischer Seminararbeiten und aktivistischer Wunschlisten. Nun hat sie es in Irland ins Strafrecht geschafft – ohne offene gesellschaftliche Debatte. Radikalität schlägt also Realität, und Konflikte sind vorprogrammiert. Das stellt die Anwendbarkeit solcher Gesetze vom Start weg infrage. Meinungsfreiheit und Diskriminierungsschutz als individuelle Menschenrechte geraten durch ideologische Zuspitzung in ein unsicheres Fahrwasser. 

Das Rollenspiel gilt für alle

Wie in Deutschland, wo im November 2024 das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft trat. Es ermöglicht allen den Wechsel des Geschlechtseintrags durch bloße Erklärung beim Standesamt. Ein „Offenbarungsverbot“ stellt die Nennung des vorherigen Geschlechtseintrages und Vornamens mit bis zu 10.000 Euro Bußgeld unter Strafe. So wird der Wunsch der Aktivisten nach Unterbindung von „Deadnaming“ (die Verwendung des ursprünglichen Namens) und „Misgendering“ (das Verwenden von Pronomen, die dem biologischen Geschlecht entsprechen) erfüllt. Gleichzeitig entsteht für die große Allgemeinheit der Zwang, an Rollenspielen mitzuwirken, deren Codes sie nicht beherrschen. Im englischsprachigen Raum wird dieses Vorschreiben der Verwendung bestimmter Sprachformen „compelled speech“ genannt. 

Streitfragen wie ,Wie viele Geschlechter gibt es?‘ sind Gefahrenzonen, die nur mit Trigger-Warnung betretbar sind.

Zur Erinnerung: Der rechtliche Geschlechtswechsel (Personenstandsänderung) wurde vor Jahrzehnten Transsexuellen eingeräumt, die großen Leidensdruck nachweisen konnten und alles unternommen hatten, ihrem Wunschgeschlecht nahezukommen. Diese behördliche Fiktion diente ausschließlich der Regelung ihrer Stellung dem Staat gegenüber. Jetzt wird von allen verlangt, diese Fiktion als Realität anzuerkennen.

Allein die Streitfragen „Was ist eine Frau?“ und „Wie viele Geschlechter gibt es?“ sind Hinweise auf intellektuelle Verwirrung und Gefahrenzonen, die nur mit Disclaimer und Trigger-Warnung betretbar sind. Unter dem Schlagwort „Selbstbestimmung“ werden zentrale feministische Positionen auf den Kopf gestellt. Pornografie gilt neuerdings als Sex-positives Empowerment, Prostitution als Lebensstilentscheidung, Leihmutterschaft als Agency. 

Zunehmend irrationale und radikale Theorien über „gender“, „race“ und „identity“ führen zu einer paradoxen Lähmung in der Wahrnehmung von tatsächlichen Problemen und dringend notwendigen Debatten. Mutig sind die wenigen, die sich diesem Strudel entgegenstellen, den Shitstorm reiten und ihn nicht um jeden Preis vermeiden.

Wo alles nur noch eine Definitionsfrage ist, muss natürlich auch das Thema Gewalt gegen Frauen neu verhandelt werden. Aus der Perspektive der „Intersektionalität“ – einem Konzept zur Analyse von Mehrfachdiskriminierungen – kann das Mitleid mit den männlichen Tätern (die ja unter Umständen selbst Opfer sind) größer sein als das Mitleid mit den weiblichen Opfern von Straftaten. Es ist für Frauenrechte essenziell, Erfahrungen mit Gewalt, Diskriminierung und Ausbeutung benennen und frei darüber sprechen zu können. Die Fakten werden täglich im echten Leben geschaffen. Weder postfaktische Befindlichkeiten noch kreative Neudefinitionen von Geschlecht können daran etwas ändern.

Frau und Mann sind als Begriffe aus der Mode gekommen und wurden ersetzt.

Niemand soll glauben, dass Österreich von dieser Strömung verschont bleibt. Die obskure Vorstellung einer frei wählbaren Geschlechtsidentität wurde im Herbst 2024 erstmals in ein Gesetz geschrieben – und zwar ausgerechnet in das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz für öffentlich Bedienstete. Dieses regelt nicht mehr die Gleichstellung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern, sondern jetzt nur noch die Gleichbehandlung „aufgrund des Geschlechts“. Letzteres wird definiert als: „Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Geschlechterrolle.“

Frau und Mann sind als Begriffe aus der Mode gekommen und wurden ersetzt: „Die innerlich gefühlte Geschlechtsidentität eines Menschen … wird auf der Basis seines eigenen psychischen Empfindens festgelegt“, heißt es im Gesetzestext. Das bedeutet Gleichstellung und Gleichbehandlung von allen mit allen. Ein Paradigmenwechsel in der österreichischen Frauenpolitik, der offenbar nur wenigen auffiel, aber dringend ans Tageslicht kommen muss.

Weg frei für Rechtspopulisten

Wer Meinungsfreiheit und Geschlechterfragen preisgibt und Diskursräume per #noDebate verschließt, überlässt das Feld dem Rechtspopulismus. Dieser nutzt die Lücke erfolgreich für Wahlerfolge, wie zuletzt eindrucksvoll in den USA zu sehen war. 

2022 hielt die preisgekrönte nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie die renommierte „Reith Lecture“ der BBC zum Thema Freedom of Speech. Adichie, die wahrlich nicht dem rechtskonservativen Spektrum zugerechnet werden kann, setzt sich in ihrem Wirken für Feminismus, Meinungsfreiheit und kulturelle Vielfalt ein. Sie warnte bei ihrem Auftritt jedoch vor Zensur und Selbstzensur und davor, unangenehme oder polarisierende Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen. Sie sprach sich für offene und respektvolle Debatten aus, in denen unterschiedliche Meinungen geäußert werden können, ohne dafür weitreichende soziale oder berufliche Konsequenzen fürchten zu müssen. 

Eigentlich sollten Adichies Worte bei liberalen und emanzipatorischen Kreisen auf offene Ohren treffen. Tatsächlich werden kritische Stimmen von Frauen im eigenen progressiven Milieu aber erfolgreich diskreditiert. Dabei ist es ganz einfach: Man muss keine radikale Verfechterin von Free Speech sein, um den Wert der Meinungsfreiheit für Frauen zu erkennen. Es genügt, Feministin zu sein.

Ergreifende Gespräche mit Eltern von  Trans-Kindern finden Sie auf: faikaelnagashi.substack.com

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Conclusio

Wandel. Was vor kurzem noch eine wissenschaftlich fundierte Aussage war, gilt plötzlich als Hassrede: Die Grenzen des Sagbaren haben sich rasant verschoben. Die Meinungsfreiheit wird der politischen Sym­bolik geopfert.

Gefühl. Gesetze, die auf subjektiv empfundene Identitäten statt auf überprüfbare Realität bauen, verlagern das Recht in den Bereich individueller Befindlichkeit – mit gravierenden Folgen für Frauenrechte und demokratischen Diskurs.

 Gefundenes Fressen. Je mehr Debatten über Geschlecht tabuisiert werden, desto mehr Raum entsteht  für rechtspopulistische ­Kräfte, die mit dem Versprechen, „Klartext zu reden“, auf Stimmenfang gehen.

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