Wie wir CO2 in Stein verwandeln

Direct Air Capture holt CO2 direkt aus der Luft. Jedes Jahr sollten es sechs bis zehn Gigatonnen sein. Davon sind wir noch weit entfernt. Wir haben maximal 30 Jahre Zeit, das zu schaffen – vorausgesetzt, wir reduzieren unsere Emissionen zugleich drastisch.

Climeworks-Co2-Filteranlage in Island
„Orca“ von Climeworks in Island nutzt Geothermie, um CO2 aus der Luft zu holen und in Gestein zu pressen. © ON Power, Arni Saeberg
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Auf den Punkt gebracht

  • Zwei Arten von CO2. Nicht nur alle weiteren CO2-Emissionen, sondern auch jene aus der Vergangenheit müssen wieder aus der Atmosphäre geholt werden.
  • Zeitfrage. Wenn die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll, müssen jedes Jahr zehn Gigatonnen CO2 entfernt werden. Dazu bleiben 30 Jahre.
  • Neue Industrie. Die technische CO2-Entnahme braucht Infrastrukturen und eine Zulieferindustrie, um zu wachsen. Beides ist erst im Entstehen.
  • Neues Geschäftsmodell. Die Entnahme und Speicherung von CO2 wird zu einer Dienstleistung für Unternehmen und für Privatpersonen.

Die Daten, die das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in seinem Bericht über die Folgen des Klimawandels soeben vorgelegt hat, zeigen, dass wir eine immer geringere Chance haben, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – und dass die Folgen, sollten wir das nicht schaffen, verheerender wären als bislang angenommen.

Ich habe sehr großen Respekt vor dem Klimawandel, aber ich habe keine Angst. Der Klimawandel ist ein Problem, das die Menschheit geschaffen hat. Deshalb gibt es für mich auch keinen Grund, warum die Menschheit es nicht auch lösen kann. Das gesagt habend, sehe ich die Menschheit tatsächlich vor enormen Herausforderungen stehend. Unsere größte Herausforderung ist die Zeit.

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CO2 entfernen: Von der Idee zu „Orca“

Die Geschichte von Climeworks begann vor 15 Jahren, 2007, als Christoph Gebald und Jan Wurzbacher an der ETH Zürich beschlossen, ihr technisches Wissen zur Rettung des Klimas einzusetzen und eine Methode zu entwickeln, wie man CO2 wieder aus der Atmosphäre holt und dauerhalt in Gestein einlagert. 2009 wurde Climeworks gegründet, 2014 war der erste Prototyp eines modularen CO2-Kollektors fertig, die ersten kommerziell betriebenen Anlagen entstanden 2017 in Island und in der Schweiz, in Hinwil. Im September letzten Jahres haben wir die erste große Anlage in Island in Betrieb genommen: „Orca“ kann jährlich 4.000 Tonnen CO2 aus der Luft filtern.

Wir müssen zusätzlich zur Emissionsreduktion jedes Jahr bis zu zehn Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre holen und speichern.

2007 bis 2021 – das ist ein spektakulärer Erfolg. Nur: Wir müssen noch schneller werden. Wir haben vielleicht 30 Jahre, eher weniger, um unsere junge Industrie der Direct Air Capture Technologie auf ein Niveau zu skalieren, das dem der Automobilindustrie entspricht. Anders formuliert: Vom ersten „Benz“ bis zum Auto als echtem Massenprodukt sind gut 70 Jahre vergangen. So viel Zeit haben wir nicht.

Auch alte Emissionen müssen raus

Jährlich werden derzeit rund 40 Gigatonnen CO2 emittiert. Wenn wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen, was wir tun müssen, reicht es nicht, unsere Emissionen zu reduzieren. Wir müssen zusätzlich jedes Jahr sechs bis zehn Gigatonnen aus der Atmosphäre holen und dauerhaft speichern – denn es gibt bislang keine Technologie, die in der Lage ist, unsere Emissionen zu begrenzen: Es wird weiterhin Flüge geben, wir werden weiterhin bauen. Auch bei Climeworks arbeiten wir an Möglichkeiten, die Emissionen zu reduzieren. In Norwegen zum Beispiel wird das CO2, das wir aus der Luft filtern, für sogenannte e-fuels verwendet werden.

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Zahlen & Fakten

Doch auch wenn sich abrupt alles ändert: Durch Emissionsreduktion alleine können wir unser Problem nicht lösen. Es werden auf absehbare Zeit immer noch mehr Emissionen generiert werden, als die Welt verträgt. Das heißt, wir brauchen für Direct Air Capture in den nächsten 30 Jahren ein Wachstum von 60 Prozent. Jährlich.

CO2 zu entfernen kostet Energie

Das Verfahren von Climeworks beruht auf einer speziellen Filtertechnologie. Das CO2 wird aus der Luft angesaugt, auf den Filter geleitet und „gefangen“. Ist der Filter voll, schließen sich die Kollektoren, und das CO2 wird durch Erhitzen aus den Filtern gelöst, mit Wasser versetzt und – in Island – in das unterirdische Basaltgestein gepresst, wo es zu Karbonat versteinert. Laut einer Untersuchung der RWTH Aachen können wir 90 Prozent des eingefangenen CO2 einspeichern. Das bedeutet, dass zehn Prozent des CO2, das wir entnehmen, wieder in die Atmosphäre gelangt (über die gesamte Lebensdauer unserer Anlage). Dieses „graue“ CO2 müssen wir einstweilen in Kauf nehmen.

Prozess der Co2-Versteinerung
Das CO2 reagiert mit dem Gestein und wird als Karbonat eingelagert. © Carbfix, Sandra O. Snaebjörnsdottir

Der große Vorteil ist, dass dieses Verfahren überall eingesetzt werden kann. Vorausgesetzt, es steht ausreichend CO2-neutrale oder „grüne“ Energie zur Verfügung. Der Prozess kommt selbst nicht ohne Energie aus: Für jede Tonne CO2, die wieder aus der Atmosphäre geholt wird, müssen 2.650 Kilowattstunden elektrischer Energie aufgewendet werden. In Island stammt die Energie aus Geothermie, eine Energiequelle, die unbegrenzt zur Verfügung steht und keine Emissionen verursacht. Wenn es keine Geothermie gibt, bieten sich alternativ Wüstenregionen an. Dort kann die Energie aus solaren Quellen kommen, und sie steht in dem Fall nicht in Konkurrenz mit dem Energiebedarf von Industrie und Haushalten.

CO2 ist langlebig

CO2 ist deshalb das wohl berühmteste Treibhausgas, weil es sich sehr lang in der Atmosphäre hält, womöglich mehrere tausend Jahre. CO2 nur für 100 Jahre zu speichern, löst das Klimaproblem also nicht. Die Speicherung in Gestein, wie das in Island möglich ist, ist aus unserer Sicht die sicherste Variante. Aber es bieten sich auch ausgebeutete Gasfelder oder Salzlagerstätten an. Wichtig ist nur, dass das CO2 physikalisch oder chemisch so gebunden wird, dass es dauerhaft gespeichert bleibt und keinesfalls entweichen kann. 

Mögliche Speicherstätten für das CO2 gibt es genug: Norwegen, die Niederlande, Spanien und auch Großbritannien haben bereits Erfahrung mit Carbon Capture and Storage (CCS), so wird der Prozess genannt, wenn das CO2 nicht aus der Atmosphäre entnommen wird, sondern an einer Quelle. (Aus diesem Grund ist CCS nicht geeignet für die „negativen Emissionen“, die wir brauchen.) Derzeit sind wir dabei, eine Anlage im Oman aufzubauen, wo wir das CO2 ebenfalls im Boden speichern werden.

Warum ist es teuer, CO2 zu entfernen?

Die lange Verweildauer von CO2 in der Atmosphäre macht das Unterfangen der negativen Emissionen noch in anderer Hinsicht zu einem Spiel auf Zeit. Auch wenn sofort alle Emissionen stoppen, steigen die Temperaturen eine Zeitlang weiter. Da wir wenig über die Kipppunkte des Klimasystems wissen, sind wir wahrscheinlich gut beraten, uns zu beeilen. Bislang ist unsere Technologie vergleichsweise kostspielig: Wir liegen derzeit bei rund 1.000 Dollar je Tonne CO2.

CO2 für nur 100 Jahre zu speichern löst das Klimaproblem nicht. 

Was unsere Kostenstrukturen am stärksten beeinflusst, ist die Logistik und die Zulieferindustrie, die wir für Direct Air Capture erst aufbauen müssen. Es geht uns ähnlich wie der Windkraft noch vor rund 20 Jahren. Ein Beispiel: In Island haben wir drei Kilometer Pipeline für das CO2 gebaut, die wir selbst betreiben und die uns gehören. Ein anderes Beispiel ist unsere Anlagensteuerung, die nur zu einem Teil auf standardisierten Komponenten beruht, aber auch einige spezialisierte Anteile hat, die noch nicht standardmäßig erhältlich sind. So haben wir bislang keine sonderlich effizienten Kostenstrukturen. Diese können wir nur erreichen, wenn wir eine entsprechende Zulieferindustrie aufbauen, mit der wir dann in der Lage sein werden, weit größere Anlagen als jene in Island zu realisieren.

Muss das Entfernen von CO2 günstiger werden?

Was könnte Direct Air Capture günstiger machen? Ist es im Sinne des Vermeidens von Emissionen überhaupt sinnvoll, Direct Air Capture zu verbilligen? Würde Direct Air Capture in großem Maßstab dazu führen, dass sich Unternehmen von ihrer Verantwortung freikaufen? Tatsächlich ist dies ein Problem, das auf einer politischen Ebene gelöst werden muss, nicht auf einer technologischen.

Unser Geschäftsmodell ist der Verkauf von CO2 freier Luft, beziehungsweise das Rückgängigmachen von unvermeidbaren Emissionen. Wir haben ein Abo-Modell, bei dem Privatpersonen ein Abo für die Entfernung einer bestimmten Menge CO2 aus der Luft lösen können. Ich habe zum Beispiel ein solches Abo für mich, damit zumindest ein Teil meiner Emissionen rückgängig gemacht werden kann. Neben den Privatpersonen haben wir Firmenkunden, wie zum Beispiel Microsoft oder Swiss Re, die uns mit der Entfernung von CO2 beauftragen.

CO2-Capture wird immer teurer sein als die Reduktion von Emissionen. Und das ist gut so.

Wieso machen diese Unternehmen das? Ich glaube zum einen aus dem Wunsch heraus, das Richtige zu tun. Sie möchten die Verantwortung für ihre Emissionen übernehmen. Zweitens wissen sie, dass sie das Vertrauen und die Zustimmung der Bevölkerung nur halten können, wenn sie diese Verantwortung übernehmen. Und schließlich wissen sie, dass sich die Regulationen bald ändern werden: Über kurz oder lang wird es gesetzliche Regelungen geben, die vorschreiben, dass Emissionen nicht nur vermieden, sondern auch entfernt werden müssen – so wie das auch bei anderen schädlichen Emissionen der Fall ist.  

Damit sind wir auch wieder bei der Skalierung: Unternehmen wie Microsoft oder Swiss Re sichern sich mit ihrem Engagement frühzeitig Kapazitäten der CO2-Entnahme. Denn sobald die Regulationen in Kraft sind, geht es um sehr große Entnahme-Mengen, für die im Moment die Kapazitäten noch nicht da sind. CO2-Capture wird immer teurer sein als die Reduktion von Emissionen. Und das ist gut so. Weil die Kosten einer der stärksten Treiber für eine nachhaltige Entwicklung sind, bin ich zuversichtlich, dass uns die Dekarbonisierung der Wirtschaft gelingen wird.

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Conclusio

Nicht nur unsere aktuellen und zukünftigen CO2-Emissionen müssen aus der Atmosphäre entfernt werden, sondern auch ein großer Teil unserer historischen Emissionen. Tun wir dies nicht, so wird die Erderwärmung 1,5 Grad überschreiten – auch bei radikaler Emissionsreduktion. Diese wird auch dann in erheblichem Umfang notwendig sein, wenn Direct Air Capture eine voll entwickelte Industrie ist, die die CO2-Entnahme als Dienstleistung anbieten kann. Für diese Industrie müssen innerhalb kürzester Zeit die Infrastrukturen geschaffen werden. Einige Unternehmen sichern sich schon jetzt Kapazitäten für die „Entsorgung“ ihres CO2.