Artensterben: Es gibt keine Krise

Naturschützer beklagen ein massives Artensterben, doch die Natur hat sich immer schon verändert; und sie tut es auch jetzt. Veränderung heißt nicht gleich Verlust.

Montana, 2019: Mike Durglo Jr., Programmmanager des Preservation Office der Confederated Salish and Kootenai Tribes, grüßt die Überreste einer 2000 Jahre alten Weißkiefer, der er den Namen "Illawia" gegeben hat, was in seiner Muttersprache "Ur-Ur-Großmutter" bedeutet
Montana, 2019: Mike Durglo Jr., Manager des Preservation Office der Confederated Salish and Kootenai Tribes, grüßt die Überreste einer 2000 Jahre alten Weißkiefer, die in seiner Muttersprache Ur-Ur-Großmutter genannt wird. Weißkiefern sind eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel, Eichhörnchen und Bären, leiden aber durch den Klimawandel vermehrt unter Blasenrost, Käferbefall und Waldbränden. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Willkommen im Anthropozän. Der Mensch hat mit seiner Dominanz auf unserem Planeten eine neue geologische Epoche eingeläutet.
  • Veränderung statt Verlust. Arten sterben, neue entstehen. Ökosysteme ändern sich, Spezies verlegen ihren Lebensraum – das ist nur Evolution.
  • Ein Pflaster für den Panda. Spezifische Arten zu schützen, löst das Problem nicht. Artenschutz bekämpft die Symptome statt der Ursachen.
  • Zeit für Ursachenbekämpfung. Die anzugehenden Ursachen des Artensterbens sind der Klimawandel und die Nahrungsmittelproduktion.

Wir haben eine Klimakrise, eine Krise der Ernährungssicherheit, eine Krise des Artensterbens, eine Krise der biologischen Vielfalt. Eine Krise von allem. Es gibt zu viele Menschen, wir verbrauchen zu viel, wir verschmutzen die Umwelt, und wir haben viele Arten zum Aussterben gebracht. Die Artenvielfalt befindet sich im freien Fall. Wir plündern „unser Revier“, und unser Revier ist der Planet Erde. Wir sind in einer neuen, vom Menschen ausgelösten geologischen Epoche angekommen. Willkommen im Anthropozän. 

Mehr Krisenmaterial

Die wissenschaftliche Literatur erzählt jedoch eine etwas andere, viel hoffnungsvollere Geschichte. Das Anthropozän zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass wir in einer Zeit des schnellen Wandels leben. Verluste und Schäden in der Biodiversität sind real, aber sie sind nur eine Seite der Gleichung. Es gibt auch Gewinne. Wenn wir verstehen wollen, was in der biologischen Welt geschieht und wie der Mensch sie in Zukunft beeinflussen könnte, ist es wichtig, neben den Verlusten auch die Gewinne und neuen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mensch aus der Natur zieht.

Welche Prioritäten haben wir?

Erleben wir insgesamt einen Verlust an biologischer Vielfalt? Nun, das hängt von der Betrachtungsweise ab. Einige Arten sind ausgerottet worden. Das ist ein Verlust. Andere sind vom Aussterben bedroht. Die International Union for Conservation of Nature hat jedoch festgestellt, dass die meisten Arten nicht bedroht sind. Diese relativ häufigen und weit verbreiteten Arten werden den Menschen auch weiterhin Freude und Nutzen bringen. Ob eine Krise vorliegt, hängt davon ab, welche Prioritäten man setzt – die Anzahl der Arten auf der Erde zu maximieren oder die Ökosystemprozesse zu erhalten.

Verluste und Schäden in der Biodiversität sind real, aber sie sind nur eine Seite der Gleichung.

Die Umwandlung natürlicher Vegetation in von Menschen intensiv bewirtschaftete Flächen, wie Sojaplantagen und Parkplätze, führt in der Regel zu einer Verringerung der Arten in einem bestimmten Gebiet. Ein Verlust. Im Durchschnitt der weltweiten Landoberfläche (einschließlich Wälder, Tundren, Ackerbau und städtische Gebiete) scheinen diese Veränderungen der Landoberfläche in den letzten 500 Jahren zu einem Verlust von etwa 13 Prozent der Arten pro Flächeneinheit geführt zu haben.

Ein Teil meines Gehirns sagt mir, dass wir alles tun sollten, um diese Verluste zu stoppen. Ein anderer Teil meines Gehirns bezweifelt, dass ein durchschnittlicher Rückgang der lokalen Artenvielfalt um 13 Prozent wirklich eine Krise ausmacht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Menschen (direkt und über unsere Nutztiere) jedes Jahr etwa ein Drittel der weltweit wachsenden Vegetation verbrauchen. Und wir brauchen nunmal Nahrung.

Die einen gehen, die anderen kommen

Im Gegensatz zu Artenzählungen, bei denen Regenwälder mit Sojaplantagen oder Prärien mit Maisfeldern verglichen werden, zeigen langfristige Überwachungsdaten aus vielen verschiedenen Ökosystemen etwas ganz anderes. Diese Daten zeigen immer wieder, dass die Fluktuation zunimmt, die Gesamtvielfalt aber nicht abnimmt. Fluktuation bedeutet, dass einige Arten aus bestimmten ökologischen Systemen verschwinden, während sich andere an denselben Orten ansiedeln. Dieser Prozess hat sich im vergangenen Jahrhundert beschleunigt. Das ist keine Überraschung. Die Überraschung besteht darin, dass neue Arten so schnell hinzukommen, wie andere verschwinden.

Schild in einem Wald in Nordirland mit einer Hotline zur Meldung gesichteter Grauhörnchen
Nordirland, 2017: Wie auch andernorts im Vereinigten Königreich wird im Glenariff Forest Park zur Bekämpfung der ursprünglich aus Nordamerika stammenden Grauhörnchen aufgerufen. Sie haben das einheimische rote Einhörnchen fast vollständig verdrängt: Schätzungen zufolge hat sich deren Zahl auf 140.000 verringert, der Grauhörnchen-Bestand zählt 2,7 Millionen. © Getty Images

So gibt es in meinem englischen „Wildgarten“ Wicken, die einst auf britischen Sanddünen wuchsen, Mohn, der aus Südeuropa stammt, Kochbananen, die mit den Bauern der Jungsteinzeit kamen, Edelkastanien, die von den Römern eingeführt wurden, Rosskastanien aus dem Balkan, Springkraut aus dem Himalaya und so weiter. Keine dieser Arten würde an diesem Ort leben, wenn es sich noch um einen „Urwald“ handeln würde. Das reiche Leben, das mich umgibt, ist das Ergebnis eines langen, andauernden Prozesses der „Fluktuation“, bei dem einige Arten verschwinden und andere hinzukommen und unter den neuen Bedingungen gedeihen.

Wenn ich aus dem Fenster schaue, ist der erste Vogel, den ich sehe, eine Schwalbe, die mein Haus als Nistplatz nutzt, und der erste Schmetterling ist ein Kleiner Fuchs, dessen Larven sich von Brennnesseln ernähren, die in vom Menschen angereicherten Böden gedeihen. Probieren Sie es aus. Die meisten Arten, die Sie sehen werden, sind Nutznießer menschlicher Aktivitäten; sie stehen auf der Gewinnseite der Gleichung für die biologische Vielfalt.

Artensterben? Veränderung ist nicht Verlust

Die biologische Welt war schon immer dynamisch und wird es auch in Zukunft sein, daher dürfen wir „Veränderung“ und „Verlust“ nicht verwechseln. Praktisch alle Arten in Nordeuropa zum Beispiel sind seit dem Ende der letzten Eiszeit, also innerhalb der letzten 12.000 Jahre, an ihren heutigen Standorten angekommen. Das mag wie eine lange Zeit erscheinen, ist aber in der Geschichte des Lebens auf der Erde verschwindend kurz (die meisten Arten haben sich vor mehr als einer Million Jahren entwickelt). Dann veränderte der Mensch diese Ökosysteme.

Halsbandsittich in Marseilles, Frankreich
Ein Halsbandsittich in Marseilles, 2023. Die ursprünglich aus Nordindien stammende Vogelart verbreitet sich seit den 1970er Jahren in vielen städtischen Gebieten Europas, darunter auch im Rhein-Neckar-Raum in Deutschland. © Getty Images

Bei vielen nordeuropäischen Naturschutzgebieten handelt es sich um Lebensräume wie Wiesen und Heiden, die größtenteils durch die Abholzung von Wäldern durch den Menschen, die Beweidung mit Vieh und die Mahd von Heuwiesen entstanden sind. Die Arten, die wir in diesen Gebieten schützen, haben sich dort angesiedelt, als unsere Vorfahren das Land gerodet haben. Da diese dynamischen biologischen Veränderungen vor langer Zeit stattgefunden haben, sind wir der Meinung, dass die Welt so sein „sollte“, und deshalb greifen wir als Naturschützer ein, damit alles so bleibt.

In der Evolution gibt es kein „sollte“

Ich habe kein Problem damit. Wenn die Menschen etwas lieben und diese Lebensräume dem vorziehen, was sie werden könnten, wenn wir einfach „loslassen“, warum nicht? Aus wissenschaftlicher Sicht geht es in der Ökologie und der Evolution jedoch nicht um „sollen“ oder „Vorlieben“. Es gibt kein „sollte sein“. Ökosysteme sind so, wie sie sind, weil die Arten, die im Laufe der Zeit hinzukommen, an neuen Standorten gedeihen und bestimmte ökologische Prozesse durchführen. Wenn heute neue Arten aus eigenem Antrieb einwandern oder der Mensch sie wissentlich oder versehentlich einschleppt, geschieht das Gleiche.

Florida, 2013: Pythonjäger in den Florida Everglades am ersten Tag der jährlichen Python Challenge
Florida, 2013: Pythonjäger in den Florida Everglades am ersten Tag der jährlichen Python Challenge. Die Python ist in Florida nicht heimisch und dezimiert rapide einheimische Tierarten wie Stelzvögel, Sumpfkaninchen und Weißwedelhirsche. Floridas Pythonproblem gilt als eines der schwierigsten Probleme bei der Bekämpfung invasiver Arten weltweit. © Getty Images

Die Arten, die unter den neuen Bedingungen des Anthropozäns am erfolgreichsten sind, breiten sich aus und bilden neue Lebensgemeinschaften – der Wandel geht weiter. Der Naturschutz bedauert diese Veränderungen oft und versucht manchmal, sie rückgängig zu machen. Aber das ist wie der Versuch, die Flut aufzuhalten, die Flut der lebendigen Welt. Die Prozesse der Ökologie und der Evolution begünstigen die Gene und Arten, die erfolgreich sind. Das war schon immer so. Es erscheint unklug, sich gegen diese Prozesse zu stellen. Wir riskieren, begrenzte Ressourcen für Kämpfe aufzuwenden, die letztendlich nicht zu gewinnen sind.

Konservierung mit Pflastern

Was sollten wir also tun? Die Naturschützer sehen sich manchmal veranlasst, die Symptome des Wandels zu bekämpfen, anstatt sich mit den Ursachen zu befassen. Die Behandlung von Symptomen kann wichtig sein, aber sie reicht nicht aus. Die Ansiedlung von Arten an neuen Standorten aufgrund steigender Temperaturen wird beispielsweise manchmal als unerwünscht angesehen, weil die Neuankömmlinge ein Symptom oder ein Indikator für eine unerwünschte zugrunde liegende Ursache (vom Menschen verursachter Klimawandel) sind.

Wir riskieren, begrenzte Ressourcen für Kämpfe aufzuwenden, die letztendlich nicht zu gewinnen sind.

Es wird bedauert, dass die Ökosysteme nicht mehr so sind, wie sie einmal waren. Projekte zur „Wiederherstellung“ gibt es zuhauf. Der Mensch greift manchmal ein, um die Ansiedlung neuer Arten zu verhindern und versucht, die Populationen von Arten zu stärken, die früher an einem bestimmten Ort gediehen sind. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass die Neuankömmlinge die örtliche Artenvielfalt erhöhen und die Ökosystemprozesse aufrechterhalten, als dass sie ihnen schaden – warum also tun wir das?

Vergebene Liebesmüh

Wir müssen beides tun. Wir müssen sowohl die Symptome (die biologischen Veränderungen um uns herum) bewerten als auch die Ursachen des Wandels angehen. Ich bin für den Schutz global bedrohter Arten, deren Gefährdung ein Symptom der vom Menschen verursachten Umweltveränderungen ist. In der Regel bin ich jedoch gegen Eingriffe, die darauf abzielen, biologische Gemeinschaften und Landschaften so zu erhalten, wie sie einmal waren, nur weil sie uns vertraut sind und wir eine kulturelle Bindung an sie haben.

Angesichts der vielfältigen Ursachen des Wandels können wir die Uhr nicht anhalten, geschweige denn sie zurückdrehen. In hundert Jahren werden die Menschen die neuen Ökosysteme mit ziemlicher Sicherheit genauso mögen wie wir die, die wir als Kinder kannten. Wir sollten nicht gegen die Natur kämpfen und vergeblich versuchen, die Dinge so zu belassen, wie sie waren. Das ist vergebene Liebesmüh.

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Zahlen & Fakten

Zypressenwald in Louisiana, USA
Ein alter Zypressenwald im Lake Fausse Pointe State Park in Louisiana, USA. © Getty Images

Louisiana: Klimakrise und Cancer Alley

  • Im Louisiana Delta befinden sich 40 Prozent der küstennahen Feuchtgebiete der USA. Est das fünftgrößte Deltasystem der Welt und das größte der westlichen Hemisphäre.
  • Nach Angaben der National Oceanic and Atmospheric Administration weist Louisiana eine der höchsten Raten des relativen Meeresspiegelanstiegs der Erde auf.
  • Seit den 1930er Jahren hat Louisiana über 2.000 Quadratmeilen Land uverloren – eine Fläche, die etwa der Größe des Bundesstaates Delaware entspricht.
  • Seit circa 30 Jahren verliert Louisiana alle 100 Minuten fast ein Fußballfeld Land an seiner Küste.
Ein verlassenes Boot liegt im Wasser inmitten abgestorbener Zypressen im Sumpfgebiet von Venice, Louisiana
Das Eindringen von Salzwasser führt zu einem Massensterben von Eichen und Zypressen im Louisiana Delta. © Getty Images
  • Bei der derzeitigen Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs könnte der Golf von Mexiko bis 2100 knapp über vier Fuß (etwa 1,3 Meter) ansteigen. Die Küste Louisianas liegt in einer durchschnittlichen Höhe von drei Fuß.
  • Mehr als 400 Vogelarten sind an der Küste Louisianas beheimatet. Die Region bietet jedes Jahr 100 Millionen Vögeln wichtige Brut-, Überwinterungs- und Rastplätze.
  • Die Feuchtgebiete von Louisiana bieten auch Lebensraum für zahlreiche Fische und Wildtiere. Außerdem tragen sie zur Abschwächung von Hurrikanen bei und schützen die Küstengemeinden vor Sturmfluten.
  • Zwei zusätzliche Faktoren für den Verlust an Feuchtgebieten in Louisiana sind die Eindeichung des Mississippi und der Ausbau der Öl- und Gasinfrastruktur.
Baton Rouge, 2013: Chemieanlagen und Fabriken säumen den Mississippi
Baton Rouge, 2013: Chemieanlagen und Ölraffinerien säumen den Mississippi. © Getty Images
  • Cancer Alley ist der Spitzname für einen 137 km langen Landstrich entlang des Mississippi zwischen Baton Rouge und New Orleans, in dem sich über 200 petrochemische Anlagen und Raffinerien befinden.
  • 25 Prozent der petrochemischen Produktion in den USA erfolgt in diesem Gebiet.
  • Zwischen 1958 und 1973 deponierte Dow Jones 46.000 Tonnen giftiger Abfälle in unbefestigten Gruben, die heute mehr als 30 Hektar unter der Erde bedecken.
  • Außerdem wurden Tausende Kilometer an Öl- und Gaskanälen gegraben, um die Energieförderung zu ermöglichen. Das wiederum veränderte den Salinitätsgehalt der Süßwasserfeuchtgebiete – und führt zu Artensterben.
  • Das Louisiana Delta ist heute eine der offiziellen Opferzonen der Welt: Orte, an denen die Bewohner – in der Regel einkommensschwache Familien und Angehörige ethnischer Minderheiten – in der Nähe von umweltbelastenden Industrien oder Militärstützpunkten leben, die sie extremen Gesundheitsrisiken aussetzen und Profit über den Menschen stellen.
  • Ein Beispiel: Im Jahr 2020 lag die Konzentration des krebserregenden Stoffes Chloropren in der Luft des Parish St. John the Baptist 8.000 Mal über dem von der US-Umweltschutzbehörde festgelegten Grenzwert.

Wir müssen realistisch sein. Ja, wir sollten bestimmte Veränderungen bekämpfen, wenn es uns wirklich wichtig ist; wenn es möglich und nicht unerschwinglich teuer ist. Aber wir können auch viele Veränderungen akzeptieren, sofern sie weder grundlegend besser noch schlechter sind (nur anders). Und wir können Veränderungen begünstigen, die den Menschen wertvolle Vorteile bieten und trotzdem die biologische Vielfalt erhalten (auch wenn sich die Mischung der Arten ändert).

Wir können sogar gefährdete Arten an Orte bringen, an denen das neue Klima für sie geeignet ist. In einer sich wandelnden Welt sollte man gleichzeitig abwägen, wann man sich dem Wandel widersetzt, ihn akzeptiert oder begünstigt und nicht davon ausgeht, dass der historische Zustand der Natur vorzuziehen ist. Auf diese Weise kann die menschliche Bevölkerung zumindest für eine Weile in angemessener Weise mit der artenreichen Welt koexistieren.

Arten umsiedeln

Die Auswirkungen des Menschen auf die Natur hängen letztlich davon ab, wie viele Menschen es gibt, wie viel jeder von uns verbraucht und welche Auswirkungen jede Verbrauchseinheit hat (zum Beispiel Treibhausgasemissionen). Die Bevölkerungszahl ist fast zu einem Tabuthema geworden, aber zumindest könnte sie sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts stabilisieren. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass sich weder der Pro-Kopf-Verbrauch noch die Abfallproduktion einpendeln werden. Diejenigen, die eine Krise der biologischen Vielfalt befürchten, sollten sich langfristig eher mit den zugrunde liegenden Ursachen als mit den Symptomen befassen. Nehmen wir zwei Beispiele.

Kalifornien, 2019: Sara Cuadra von der Bay Foundation entfernt Eispflanzen, eine invasive Spezies, am Westward Beach in Point Dume
Kalifornien, 2019: Sara Cuadra von der Bay Foundation entfernt Eispflanzen, eine invasive Spezies, am Westward Beach in Point Dume. Sie ist Mitarbeiterin eines Projekts zur Wiederherstellung von Dünen in Malibu, die zum einen als Schutz vor dem steigenden Meeresspiegel und zum anderen als wiedergewonnener Lebensraum für Vögel und Wildtiere dienen sollen. © Getty Images

Die Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels haben einen viel zu großes Einfluss auf die Arten der Welt, als dass die Naturschutzbewegung darauf adäquat reagieren könnte. Wir müssen also die Ursache bekämpfen. Bisher hat jedoch der weltweite Gesamtenergiebedarf (Bevölkerung mal Pro-Kopf-Energieverbrauch) das Wachstum der sauberen Energie überstiegen, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass wir den Gesamtenergieverbrauch in absehbarer Zeit senken werden.

Nichtsdestotrotz ist ein globaler Prozess (mehr oder weniger) in Gang gekommen, und ich bin optimistisch, dass der Übergang zu „sauberer Energie“ letztendlich erfolgen wird. In der Zwischenzeit können wir versuchen, eine bescheidene Anzahl bedrohter Arten zu retten, indem wir sie an neue Standorte umsiedeln, wo sie unter dem neuen Klima überleben können. Im Gegensatz dazu ist es sinnlos zu versuchen, Ökosysteme so zu erhalten, wie sie einmal waren. Das ist eine Behandlung der Symptome, und nicht der Krankheit.

Natur – eine naive Idee

Im Gegensatz zum Klimawandel gibt es aber kein global kohärentes Programm, um die schädigenden Folgen der Nahrungsmittelproduktion auf die Biodiversität zu stoppen. Wenn nordeuropäische Naturschützer und Umweltschützer von einer regenerativen Landwirtschaft (zum Beispiel biologischer Anbau) schwärmen, von einer wildtierfreundlichen Landwirtschaft (zum Beispiel breitere Feldränder), der Renaturierung von Landschaften (zum Beispiel Wiederansiedlung großer Wirbeltiere) oder der Umsetzung des Vorschlags, 30 Prozent des Landes und der Meere zu schützen, dann hat das seinen Preis.

Iowa, 2019: Ein eingestürzter Getreidespeicher umgeben von Hochwasser.
Iowa, 2019: Ein eingestürzter Getreidespeicher während eines von mehreren Hochwassern, das den mittleren Westen im Frühjahr 2019 heimgesucht hat. © Getty Images

Nur wenige dieser Maßnahmen (wenn überhaupt welche) stellen sicher, dass genauso viele Nahrungsmittel pro Hektar produziert werden, wie dies bei einer intensiveren Bewirtschaftung des gleichen Landes der Fall gewesen wäre. Ich bin begeistert vom Naturschutz, aber ich werde nicht weniger essen. Die Folge dieser Maßnahmen wäre also, dass wir mehr Lebensmittel importieren müssen, und zwar höchstwahrscheinlich aus Ländern, die eine größere biologische Vielfalt aufweisen. Wir exportieren unsere Umweltbelastungen.

Wir werden viele Pflaster brauchen

Was wir brauchen, ist eine grundlegende Umstellung auf „saubere Lebensmittel“, sei es durch fabrikmäßig erzeugtes Fleisch aus Gewebekulturen, mikrobielle Produktionssysteme, chemische Herstellung von Kohlenhydraten in Fabriken oder andere Technologien. Dadurch könnten die meisten Flächen wieder für die biologische Vielfalt und andere Landnutzungen freigegeben werden. Der Haken dabei? Es braucht Energie. Diese Umstellung wird erst dann praktikabel, wenn wir einen Überschuss an sauberen Energiequellen haben. Das ist ein großer Vorbehalt, aber zumindest theoretisch könnte die Hauptursache für die derzeitige Landnutzungsänderung und -intensivierung in den nächsten paar Jahrhunderten angegangen werden. 

Bis dahin werden wir eine Menge Pflaster brauchen. Aber nur dann, wenn sie dazu beitragen, Veränderungen zu verhindern, die eindeutig schädlich sind. Die meisten Veränderungen der biologischen Vielfalt sind nicht schädlich. Daher ist es nicht nur wichtig, die Verluste in der Artenvielfalt zu bekämpfen, sondern auch, den Zuwachs von Arten, die die neuen Bedingungen des Anthropozäns nutzen können, zu akzeptieren und zu fördern.

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Conclusio

Das Artensterben ist ein natürlicher Vorgang. Die Biodiversität verändert sich genauso wie die Ökosysteme, die derzeit mit den Folgen des Klimawandels und menschlicher Eingriffe zu kämpfen haben. Dennoch ist klar, dass viele Arten verschwinden, die der Mensch erhalten möchte – der Artenschutz ist dabei aber nur Symptombekämpfung und ändert nichts an den eigentlichen Missständen. Es braucht neben einem globalen Plan gegen den Klimawandel auch eine Umstellung der weltweiten Nahrungsmittelproduktion, etwa durch den Umstieg auf Laborfleisch.

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