Ein Rettungsboot für den Stör

Mitten in Wien züchtet Thomas Friedrich Störe auf einem Schiff – und kämpft darum, einen uralten Donaufisch vor dem Aussterben zu retten.

Thomas Frierich hält einen Stör in seinen Händen
„Störe sind eigentlich sehr entspannte Fische“, erzählt Thomas Friedrich. © Gregor Kuntscher

Es ist acht Uhr morgens und die Sommersonne brennt schon vom Himmel. Thomas Friedrich steht auf der Brücke seines Schiffs, blickt auf die funkelnde Donau und stellt zufrieden fest: „Man kann sagen, was man will: Das ist echt nicht der schlimmste Arbeitsplatz.“ Es ist auch nicht der schlimmste Job.

Friedrich arbeitet am Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement an der Boku Wien, aber hauptsächlich ist es seine Aufgabe, den Stör zu retten. Das Schiff, auf dessen Brücke er steht, heißt „Lifeboat4Sturgeon“ und es ankert auf der Wiener Donauinsel gleich neben der Reichsbrücke. Gut sichtbar für alle, die aus der U1-Station Donauinsel steigen oder aus der Stadt über die Brücke Richtung Arbeiter-Strandbad, Kaiserwasser und Gänsehäufel radeln. Früher transportierte das 66 Meter lange Boot als „MS Negrelli“ Steine, heute ist es Heimat tausender kleiner Störe und transportiert ein Anliegen.

Putzig und imposant

Thomas Friedrich kann sich der Anfragen von Schulklassen und anderen Gruppen, die eine Führung auf seinem Boot wollen, kaum erwehren, erzählt er. „Störe haben den Vorteil, dass sie sehr putzig sind, wenn sie klein sind und sehr imposant, wenn sie groß sind“, sagt Friedrich. Das ist aber natürlich nicht der einzige Grund, warum sich Friedrich den Stören widmet: „Sie sind eine sogenannte Umbrella Species, das heißt, sie sind sehr gute Indikatoren für die Gesundheit eines Ökosystems.“ Oder: „Wenn es dem Stör gut geht, geht es dem Fluss gut.“

Das „Lifeboat4Sturgeon“, das auf der Donauinsel gleich bei der Reichsbrücke ankert.
Das „Lifeboat4Sturgeon“, das auf der Donauinsel gleich bei der Reichsbrücke ankert. © Gregor Kuntscher

Sie sind auch eine sehr alte Spezies, seit 200 Millionen Jahren haben sie sich kaum verändert: „Als Zwischenstufe von Knorpelfischen und modernen Knochenfischen haben sie zwar einen verknöcherten Kopf, aber nur Knorpelskelette und außen Knochenplatten.“ Sie können bis zu sieben Meter lang und bis zu zweihundert Jahre alt werden.

Sechs Störarten gab es einst in der Donau, zwei davon sind bereits ausgestorben – es bleiben Sterlet, Hausen, Waxdick und Sternhausen, allesamt stark vom Aussterben bedroht. Zum einen, weil der Stör bereits seit dem Mittelalter in der Donau gefischt und gegessen wird und zum anderen natürlich, weil er wegen seines Kaviars beliebt ist. Trotzdem beginnt das Unterfangen, den Stör in der Donau zu retten, ironischerweise in Kaviarfarmen: „Es gibt nur mehr so wenige Tiere in der Donau, weshalb wir einen Bestand in Gefangenschaft aufbauen müssen.“ In Fischfarmen in ganz Europa wurden deshalb Tiere genetisch auf ihre Herkunft untersucht, „denn wir wollen für das Projekt nur wirklich autochthone Fische aus der Donau haben“, sagt Friedrich.

Ein schwieriges Unterfangen

Die Elterntiere (sie sind tatsächlich imposant) schwimmen in einem Becken, das mit Donauwasser gespeist wird. Die Vermehrung passiert über künstliche Befruchtung, allerdings haben die Weibchen nur alle paar Jahre Eier, was das Unterfangen verkompliziert. Während sie zur Gewinnung des Kaviars einfach aufgeschnitten und getötet werden, sollen die Tiere im Zuge des Projekts natürlich am Leben bleiben. Das resultiert in einem langwierigen Prozess über zehn Stunden: „Alle ein bis zwei Stunden massieren wir die Eier heraus, die im Eileiter sind – das dauert dann aber immer nur ein paar Sekunden.“

Ein Stör in einem Becken
Störe sind eine sehr große Spezies, sie können bis zu sieben Meter lang werden. © Gregor Kuntscher

Ein paar Meter weiter stehen Becken mit älteren Jungtieren, denn „bei jeder Vermehrung behalten wir uns einen Teil der Tiere“ – damit nicht irgendwann die Elterntiere ausgehen. Auf dem oberen Deck befindet sich dann das Herzstück des Projekts, die Becken mit den frisch geschlüpften und langsam heranwachsenden Baby-Stören (sie sind tatsächlich sehr putzig). „Die intensivste Zeit am Boot ist zwischen April und Juni, wenn die Vermehrung passiert und die Jungfische Lebendfutter bekommen“, sagt er. „Sie fressen diese Urzeitkrebse, die man aus den Yps-Heften kennt.“  

Junge Störe in einem Becken
Abertausende an jungen Stören tummeln sich in den Aufzuchtbecken. © Gregor Kuntscher

Das fünfköpfige Team rund um Friedrich hat die gesamte Anlage mit diversen „Fail Safe“-Mechanismen ausgestattet, damit ein Notfall nicht das gesamte Projekt gefährden kann. „Wenn der Strom ausgeht, springt ein Generator an und wenn eine Wasserleitung verstopft ist, kriegen wir einen Alarm aufs Handy – und es gibt auch immer eine zweite Wasserquelle.“

Teilweise konnte die Arbeit auch automatisiert werden, die Fische müssen nun nicht mehr – wie früher – händisch gefüttert werden. „Der Futterautomat ist eine große Erleichterung, aber wir wollen auch nicht alles automatisieren, weil es uns schon wichtig ist, ein Gefühl für die Tiere zu bekommen.“

1,6 Millionen Störe für die Donau

Ausgesetzt werden die Tiere dann im Donaudelta in Rumänien und der Ukraine, denn Störe leben im Salzwasser und schwimmen, wenn sie nach ein paar Jahren geschlechtsreif geworden sind, flussaufwärts, um dort zu laichen. Leider kommen sie in der Donau nicht mehr allzu weit – an den Kraftwerken kommen sie nicht vorbei, weshalb am Eisernen Tor an der Grenze zwischen Rumänien und Serbien für den Stör Endstation ist. „Ein Umgehungsfluss hilft dem Stör nicht, weil er im tiefen Wasser lebt. Es gibt zwar technische Lösungen wie Fischlifte, aber die existieren in der Donau nicht.“

Ein Porträtfoto von Thomas Friedrich
Thomas Friedrich will den Stör retten – es ist eine Lebensaufgabe. © Gregor Kuntscher

Andererseits: Das sind trotzdem ganze 870 Kilometer Donau, in denen die Störe Lebensraum finden. Im Zuge des Projekts, das bis 2030 läuft, sollen dort 1,6 Millionen Störe ausgesetzt werden – in verschiedensten Wachstumsphasen. 100.000 Mini-Störe, die gerade erst fressfähig waren, wurden heuer in die Freiheit entlassen. Zu einer Stör-Überschwemmung wird das aber trotzdem nicht führen: „Die Überlebensrate liegt, so realistisch muss man leider sein, zwischen 0,1 und einem Prozent.“

Bei den ältesten Jungtieren, die nun im September ausgesetzt werden und bereits zwischen 30 und 40 Zentimeter groß sind, sollte die Überlebensrate schon bei rund 50 Prozent liegen – deshalb werden sie auch mit einem Chip versehen, damit man den Erfolg des Projektes zumindest ansatzweise messen kann. Aber eines ist klar: „Um den Störbestand zu stabilisieren, werden wir noch jahrzehntelang weitermachen müssen.“ Denn den Stör zu retten ist kein Abenteuer für einen Sommer auf einem Schiff. Es ist eine Lebensaufgabe.

Über diese Serie

Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast bei Peter Turchin vom Complexity Hub, der die USA vor einem Bürgerkrieg sieht, hat mit Stefan Freunberger vom ISTA nach neuen Batterien gesucht und sich von Ludmilla Carone vom Grazer Institut für Weltraumforschung erzählen lassen, warum die Suche nach Aliens so schwierig ist. Alle Forschungsreisen können Sie hier nachlesen.

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