So könnte Fliegen turbulenzfrei werden
Turbulenzen im Flugzeug könnten bald der Vergangenheit angehören. András Gálffy forscht mit seinem Unternehmen „Turbulence Solutions“ am turbulenzfreien Fliegen.
„Darf ich euch zeigen, wie sich ein halbes G anfühlt?“, fragt András Gálffy am Pilotensitz in sein Mikrofon. Auf ein zaghaftes Nicken hin saust die Cessna plötzlich kurz nach unten Richtung Wienerwald und sofort wieder hoch in den Himmel. Ein ganzes G ist die Fallbeschleunigung Richtung Erde; ein halbes G fühlt sich also nur halb so an, als würde man in freiem Fall zurück auf die Erde sausen. Es ist genug, als dass es einem einmal kurz den Magen umdreht. Ein halbes G können auch Passagiere in Linienfliegern bei starken Turbulenzen fühlen.
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Vor wenigen Minuten ist Gálffy vom Flugplatz Wien-Vöslau mit seiner viersitzigen Cessna-172-Propellermaschine gestartet. Nicht nur, um zu demonstrieren, wie sich starke Turbulenzen anfühlen, sondern auch, wie Piloten auf sie reagieren können. Nämlich indem sie gegensteuern: Deshalb dreht er die Maschine einmal kurz nach links und einmal kurz nach rechts. Wer ihn da im Cockpit sieht, weiß sofort: András Gálffy fliegt aus Leidenschaft und er weiß, was er da tut. Er ist nicht nur ausgebildeter Linienpilot, sondern auch Kunstflieger. Was er demonstriert, wissen die meisten Flugzeug-Passagiere allerdings sowieso: Turbulenzen sind eine unangenehme Sache, insbesondere für Menschen mit Flugangst.
Keine Turbulenzen statt Achterbahn
Weshalb Gálffy eine Mission hat: Er möchte Fliegen turbulenzfrei machen. Und was noch wichtiger ist: Er hat einen Plan, um das zu erreichen. Wieder zurück am Boden erzählt er, dass er sich „eigentlich nie vorstellen konnte, Forscher oder Unternehmer zu werden“. Jetzt ist er beides, gründete 2018 das in Baden ansässige Unternehmen „Turbulence Solutions“. Weil er nicht wusste, wer es sonst machen könnte. „Da braucht es mindestens zehn, zwanzig Jahre Entwicklungsarbeit.“
Im Rahmen seiner Diplomarbeit an der TU Wien ließ er ein Modellflugzeug durch schnellen Auftrieb eine Art unsichtbare Achterbahn entlangfliegen. Das, erzählt er, gelang weit besser als gedacht. Weil Passagiere aber im Normalfall keine großen Ambitionen haben, im Charterflieger nach Griechenland Loopings zu machen, hat sich Gálffy überlegt, wie er seine Forschungen anderweitig einsetzen könnte. Seine Idee: „Den schnellen Auftrieb dazu zu nutzen, bei Turbulenten gegenzusteuern. Damit wir nicht durchgeschüttelt werden.“ Im Grunde bedeutet das, Gegenturbulenzen zu verursachen, die dazu führen, die ursprünglichen Turbulenzen auszugleichen und für einen ruhigen Flug zu sorgen.
„Turbulence Cancelling“ statt Noise Cancelling
Sein Patent, um Fliegen turbulenzfrei zu machen, heißt „Turbulence Cancelling“ und sieht erstaunlich wenig spektakulär aus: Es ist eine kleine Flappe an den Flügeln des Fliegers. Sie hat die Funktion, genauso gegenzusteuern wie es ein Pilot tun würde. Ganz so simpel ist es dann natürlich nicht: „Die eigentliche Herausforderung ist es, die Flappe zu steuern“, sagt Gálffy. „Das ist der Kern unserer Technologie.“
Der Flieger braucht Sensoren, die die Turbulenzen erkennen, und die Flappe muss entsprechend automatisch gesteuert werden. Denn wenn Turbulenzen von den Sensoren entdeckt werden, gibt es eine Reaktionszeit von 0,3 Sekunden; viel zu kurz, als dass ein Pilot darauf zeitgerecht reagieren könnte. Wenn er es verspätet tut, könnte die Turbulenz schon wieder vorbei sein und der Pilot macht es noch schlimmer, weil er damit selbst eine weitere Turbulenz verursacht.
Wenn irgendetwas schiefgeht, sind wir weg vom Fenster.
Aber was sind Turbulenzen eigentlich? „Alles, wo du durchgeschüttelt wirst“, erklärt Gálffy. Turbulenzen sind im Grunde nichts anderes als Auf- und Abbewegungen der Luft, ähnlich den Wellen bei einem Schiff. Die Ursachen dafür können vielfältig sein: Thermische etwa, die sich in Gewitterzellen zeigen können, genauso wie mechanische, darunter fallen Berge genauso wie Häuser. Sie können zu Reibung in der Luft und damit zu Strömungsunterschieden führen. Anders ausgedrückt: Hinter diesen Objekten verwirbelt sich der Wind und sorgt für Turbulenzen. Gefährlich ist das im Normalfall zwar nicht, unangenehm aber allemal.
Das Schicksal des Zeppelins vermeiden
Auch die Turbulenzen, die von der Flappe als Gegenmaßnahme verursacht werden, können nicht schlimmer als ein halbes G sein, sollten sie sich einmal irrtümlich aktivieren. Wobei das eigentlich sowieso nie passieren darf: Bei einer Innovation in der Luftfahrttechnik muss alles perfekt sein. Es gibt keine Toleranz für Fehler, sagt Gálffy: „Wenn irgendetwas schiefgeht, sind wir weg vom Fenster. Seit der Hindenburg gibt es keine Zeppeline mehr.“ Deshalb ist die Technologie auch noch weit weg davon, in einem Linienflugzeug eingebaut zu sein.
Gálffy will das Unternehmen über Jahre langsam aufbauen und in seiner Hand halten. Finanziert wird „Turbulence Solutions“ derzeit noch über Förderungen. Im Vorjahr erreichte es den ersten Meilenstein: „Wir hatten einen ersten bemannten Testflug mit dem System, das war für uns sehr wichtig.“ So konnte Gálffy zeigen, dass „Turbulence Cancelling“ nicht nur eine gute Idee ist, sondern auch tatsächlich funktioniert. Für Kleinflugzeuge gibt es mittlerweile nicht nur einen Businessplan, sondern auch ein Produkt, das Turbulence Solutions anbieten kann.
Mehr als 80 Prozent der Turbulenzen werden bereits unterdrückt. Das merkt man markant.
Deshalb konnte Gálffy auch selbst schon mit seinem System fliegen. „Es hat sich richtig gut angefühlt, wenn man so viel reinsteckt und dann sitzt man drinnen und spürt, wie das System funktioniert.“ Wenn er mit seiner Erfindung fliegt, sucht er gezielt nach Turbulenzfeldern und aktiviert dann sein System. „Mehr als 80 Prozent der Turbulenzen werden bereits unterdrückt. Das merkt man markant.“
Über den Wolken wird es enger
Der Zeitpunkt könnte kein besserer sein: Turbulenzen im Flugverkehr nehmen zu, insbesondere trifft das auf sogenannte Clear Air Turbulences zu, also solche, auch Luftloch genannten Turbulenzen, die im wolkenfreien Himmel passieren und deshalb nicht vorhersehbar sind. „Die haben in den vergangenen dreißig Jahren um bis zu fünfzig Prozent zugenommen“, sagt Gálffy. Eine weitere Konsequenz des Klimawandels verstärkt das Problem noch einmal: „Linienflugzeuge fliegen normalerweise über den Turbulenzen, weil sie über dem Wettergeschehen sind“, erklärt er.
Allerdings steigt die Wettergrenze genauso wie der Meeresspiegel: Je wärmer die Temperaturen, desto höher die Wettergrenze. Das gilt überall, am Nordpol ist die Wettergrenze bei 8.000 bis 9.000 Metern, am Äquator ist sie bei 15.000 Metern. Höher als jetzt – normalerweise ungefähr zwischen 9.000 und 12.000 Metern Höhe – können Flugzeuge allerdings aus technischen Gründen nicht mehr fliegen. „Denn je höher sie fliegen, desto schneller müssen sie fliegen – weiter oben bräuchten wir dann Überschallflugzeuge“, erklärt Gálffy.
Die Grenzen von Gálffys Erfindung
Deshalb werden, wenn Gálffys Plan aufgeht, in Zukunft auf allen Flugzeugen Sensoren und Flappen seines Unternehmens angebracht sein. „Am Ende möchten wir die Garantie abgeben können, dass ein Flieger problemlos durch ein Turbulenzfeld fliegen kann.“ Das hätte nicht nur den Vorteil, dass Passagiere nicht mehr durchgeschüttelt werden. Kleinere Turbulenzen müssten nicht mehr umflogen werden und das würde weniger Treibstoffverbrauch und weniger Verspätungen bedeuten.
Bis zu einem gewissen Limit natürlich: Die Schäden am berühmt gewordenen Hagelflieger, jenem AUA-Airbus, der am 9. Juni auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Wien durch ein Gewitter flog, das seine Nase und die Scheiben des Cockpits schwer beschädigte, hätte auch Gálffys Technologie nicht verhindern können. „Wir können keine Hagelkörner zerschießen“, sagt er und lacht. Dafür muss dann jemand anderer eine Idee haben.
Über diese Serie
Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast beim „Austrian Space Weather Office“ in Graz, bei Markus Hengstschläger, der gerade an Embryoiden forscht, beim ISTA in Klosterneuburg, wo Francesco Locatello an kausaler KI forscht und im Naturhistorischen Museum, wo am Bestand der Blatthornkäfer geforscht wird sowie bei Elisabeth Mertl vom OFI, die daran forscht, wie Tierversuche in Zukunft vermieden werden können.