Eine Gefahr, wer Böses denkt?

Corinna Perchtold-Stefan forscht an malevolenter Kreativität – von fiesen Racheplänen bis zu Terroranschlägen. Und sie glaubt: Je moralisch überlegener sich jemand fühlt, desto gefährlicher ist er.

Ein Porträtfoto von Corinna Perchtold-Stefan, die an malevolenter Kreativität forscht
Malevolente Kreativität reicht von Rachegedanken bis zu Terroranschlägen, sagt Corinna Perchtold-Stefan. © Gregor Kuntscher

Stellen Sie sich vor, Sie bitten einen Freund, die Blumen zu gießen, während Sie auf Urlaub sind. Als Sie zurückkommen, sind alle Pflanzen tot – das Gießen hat er einfach vergessen. Was machen Sie, um Ihrem Ärger Luft zu machen? Diese Frage stand am Anfang der Forschungen von Corinna Perchtold-Stefan. Sie wollte eigentlich wissen: Wie regulieren Menschen ihren Ärger? Und sie entdeckte: „Viele Menschen entwickeln Rachefantasien und einige dieser sind ungewöhnlich kreativ.“

Deshalb forscht die Psychologin an der Grazer Karl-Franzens-Universität jetzt an etwas, das sich malevolente Kreativität nennt. Darunter versteht man einen Einfallsreichtum, der lediglich darauf ausgelegt ist, Schaden anzurichten. Es ist ein ganz neues Forschungsgebiet, „das erste Paper dazu wurde erst 2008 veröffentlicht“, erzählt sie. Das Spektrum von malevolenter Kreativität beginnt bei kleinen boshaften Gedanken, geht über das absichtliche Verbreiten von Fake News und endet bei Terroranschlägen wie jenen des 11. September. „So etwas gab es davor noch nie, das war definitiv eine kreative Idee“, sagt Perchtold-Stefan – wobei wichtig ist, dass Kreativität in diesem Zusammenhang keinesfalls positiv besetzt ist.

Vom Sims-Mörder zum Serienkiller?

Die große Frage hinter der Forschung an malevolenter Kreativität ist: Was treibt manche Menschen dazu, ihre bösen Gedanken auch tatsächlich umzusetzen, während sie bei anderen nur im Kopf bleiben? Perchtold-Stefan vermutet, dass „jeder von uns manchmal ein wenig zu malevolenter Kreativität neigt – Lügen, Täuschungsmanöver, Mobbing und so weiter.“ Das geht „bis hin zu Computerspielen wie den Sims, wo sich Spieler ganz kreative, bösartige Sachen ausgedacht haben, um ihre Sims zu Tode kommen zu lassen.“

Corinna Perchtold-Stefan installiert eine EEG-Haube.
Corinna Perchtold-Stefan möchte wissen, was im Gehirn passiert, wenn man fiese Pläne schmiedet. © Gregor Kuntscher

Aber steht hinter einem begabten Lügner und kreativen Sims-Mörder gleich ein potenzieller Terrorist oder Serienkiller? „Die meiste Forschung basiert derzeit nur auf den theoretischen Gedanken, das ist wirklich ein Problem“, sagt Perchtold-Stefan – aber eben eines, das darauf zurückzuführen ist, dass es auf dem Gebiet kaum Forschung gibt.

Bislang arbeitete Corinna Perchtold-Stefan vor allem mit Fragebögen: „Wir gaben den Menschen Verhaltenstests, bei denen wir ihnen sozial unfaire Situationen vorlegten und sie dann baten, sich möglichst originell zu rächen.“ Diese Ideen wurden dann ausgewertet: Wie viele Ideen hat jemand? Wie bösartig sind sie? Wie kreativ sind sie? Die Methode lässt aber nicht auf die Wahrscheinlichkeit zur Umsetzung dieser Ideen schließen: Denn Menschen, die ihre bösen Ideen planen umzusetzen, neigen vermutlich eher dazu, sie für sich zu behalten; während jene, die nie auf die Idee kommen würden, ihre gedanklichen Rachepläne zu verwirklichen, viel weniger Bedenken haben werden, sie zu verraten.

Die Gedanken sind frei

Einige der Studenten, die an ihren Studien teilgenommen haben, „haben die bösartigsten, wirklich schrecklichsten Ideen entwickelt.“ Aber das bedeute nicht, dass sie allesamt gefährliche Psychopathen seien. „Wir können nicht sagen, dass jene, die eine hohe Fähigkeit zur malevolenten Kreativität haben, problematisch sind – die Gedanken sind frei.“ Was man weiß: „Es gibt drei Bausteine, die jemanden gefährlich machen: Neben einer allgemeinen Fähigkeit zur Kreativität – auch im positiven – sind es eine antagonistische, antisoziale Persönlichkeit und eine Neigung zu negativen Emotionen.“

Eine Person mit EEG-Haube schaut auf einen Bildschirm.
Mittels EEG werden Gehirnströme gemessen, denn: Das Gehirn lügt nicht. © Gregor Kuntscher

Malevolente Kreativität kann aber auch nicht mit krimineller Energie gleichgesetzt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil Kriminelle nicht immer sehr kreativ oder schlau vorgehen. „Vieles an Kriminalität und Aggression ist völlig unkreativ“, sagt Perchtold-Stefan. Wobei von den kreativen Verbrechern sicherlich mehr Gefahr ausgeht – und vermutlich sind es auch jene, die eher mit ihren Verbrechen davonkommen.

Eine Studie in einem rumänischen Hochsicherheitsgefängnis zeigte jedenfalls, dass die Polizisten, die in dem Gefängnis arbeiten, eine weitaus fiesere Kreativität als die Häftlinge selbst an den Tag legten. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich seit Jahr und Tag mit kriminellen Taten beschäftigen. „Mein Level an malevolenter Kreativität hat sich mit meinen Forschungen sicher auch erhöht, einfach weil ich mit vielen solcher Ideen konfrontiert bin und sie reproduzieren kann“, sagt Perchtold-Stefan.

Das Problem mit der moralischen Überlegenheit

Auch das ist ein entscheidender Unterschied, der bei Fragebogen nicht berücksichtigt werden kann: Malevolente kreative Ideen zu entwickeln ist etwas anderes, als sie zu kennen. Deshalb will Perchtold-Stefan ihre Forschung nun auf das nächste Level heben und herausfinden: „Unterscheiden sich die Gehirne von besonders malevolent kreativen Menschen von denen anderer Menschen?“ Perchtold-Stefan arbeitet nun mit Tools wie EEG und MRT, um die Gehirnströme zu messen. „Wenn jemand eine Idee mag, sehe ich das im Gehirn. Es lügt nicht“, erklärt sie.

Eine Person mit EEG-Haube in Nahaufnahme.
„Wenn jemand eine Idee mag, sehe ich das im Gehirn“, sagt Corinna Perchtold-Stefan. © Gregor Kuntscher

Es könnte auch gut sein, dass die Umsetzer von malevolenten Ideen diese gar nicht als schädlich empfinden: „Ein höheres Gefahrenpotenzial geht oft von Menschen aus, die davon überzeugt sind, dass sie sehr hohe moralische Werte haben.“ Denn Menschen, die sich selbst als moralisch empfinden, verzeihen sich einerseits kleine Übertritte – weil sie ja abseits dessen gute Menschen seien. Andererseits ordnen sie das malevolente Verhalten ihrem moralischen Kompass unter. Perchtold-Stefan sieht die „Klimakleber“ als gutes Beispiel für malevolent Kreative, die „etwas Gutes erreichen wollen, aber schädigendes Verhalten an den Tag legen.“

Niemand ist immun

Es ist letzten Endes – natürlich auf einem komplett anderen Level – ein ähnliches Denkmuster, mit dem auch Terrororganisationen wie Al-Quaida oder die Hamas ihre Anschläge rechtfertigen: Dass sie glauben – oder ihre Anhänger glauben machen –, moralisch im Recht zu sein. Wobei gerade in solchen Organisationen die malevolent Kreativen ihre Pläne nicht selbst ausführen, sondern andere dazu anstiften.

„Antagonistische Persönlichkeiten haben oft einen oberflächlichen Charme und eine hohe Manipulationsfähigkeit – Eigenschaften, die wir auch von Psychopathen kennen.“ Es gibt, erzählt Perchtold-Stefan, in den USA auch Forscher an malevolenter Kreativität, die versuchen, mit Terrorgruppen in Kontakt zu treten. Um dort zu erfragen: Hey, wie kommt ihr eigentlich auf eure Ideen für Terrorattacken? „Das klingt jetzt natürlich krass und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das machen würde“, sagt sie.

Corinna Perchtold-Stefan im Interview.
„Je ungewöhnlicher und extremer ein Verbrechen ist, desto mehr kitzelt das unser Interesse“, sagt Perchtold-Stefan. © Gregor Kuntscher

Diese Gruppen nutzen auch einen weiteren Aspekt von malevolenter Kreativität aus: „Wir konnten in Studien nachweisen, dass Menschen dazu neigen, kreative Anschläge oder ausgefallene Kriminalfälle positiver und interessanter wahrnehmen, als reguläre Kriminalität“. Das könnte vielleicht zum Teil erklären, wieso einige Menschen von Terrororganisationen von der RAF bis hin zur Hamas fasziniert sind; und es erklärt „zu einem gewissen Maß auch das Interesse an True-Crime-Formaten. Je ungewöhnlicher und extremer ein Verbrechen ist, desto mehr kitzelt das unser Interesse“, sagt Perchtold-Stefan. „Die Gefahr dabei ist, dass das zu einer Glorifizierung der Täter führen kann anstatt zu mehr Mitgefühl mit den Opfern.“

Wovon Perchtold-Stefan auch überzeugt ist: Dass niemand von uns immun dagegen ist, seine malevolenten Fantasien auch umzusetzen: „Ich glaube, dass wir unter bestimmten Umständen alle zu Dingen fähig sind, vor denen wir aktuell wahrscheinlich gedanklich zurückschrecken würden.“

Über diese Serie

Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast bei Peter Turchin vom Complexity Hub, der die USA vor einem Bürgerkrieg sieht, hat mit Stefan Freunberger vom ISTA nach neuen Batterien gesucht und sich von Ludmilla Carone vom Grazer Institut für Weltraumforschung erzählen lassen, warum die Suche nach Aliens so schwierig ist. Alle Forschungsreisen können Sie hier nachlesen.

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