„Man muss um jeden Gast kämpfen“

Selbst in Haubenküche und Spitzengastronomie entscheidet nicht das Essen, sondern die Atmosphäre über einen gelungenen Abend.

Haubenlokal Taubenkobel: Schön gedeckte Tische in einem altem Steingemäuer, an den Wänden hängt moderne Kunst.
Das Haubenlokal „Taubenkobel“ im Burgenland setzt auf gediegene Landhausatmosphäre. © Taubenkobel

Meine Eltern Walter und Eveline Eselböck gründeten Mitte der 1980er-Jahre den „Taubenkobel“ in Schützen am Gebirge, nicht weit entfernt vom Neusiedlersee. Den beiden Autodidakten gelang es, zwei Michelin-Sterne zu erkochen. Als Nachfolgerin versuche ich jetzt, Gastrotrends frühzeitig umzusetzen, während mein Ehemann, der französische Spitzenkoch Alain Weissgerber, die Vier-Hauben-Küche führt.

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Corona und alles, was danach kam, haben die Gastronomie-Welt verändert, und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Für viele Unternehmen ist der Alltag schwierig geworden. Die vom Staat angebotenen Förderungen nenne ich gerne „Bereitstellung künftiger Steuern, falls das Unternehmen überlebt“.

Und das System war auch trügerisch, weil ein guter Teil der Hilfsgelder ja zurückgezahlt werden muss. Auf jeden Fall hat es in den vergangenen drei Jahren jeden Gastronomen ordentlich durchgewirbelt.

Während der Pandemie profitierten wir sehr davon, dass wir bereits früh Diversifizierungsversuche unternommen haben. In der Stadt ist hochklassige Gastronomie ein halbwegs sicheres Geschäft. Die Lokale befinden sich im näheren Umfeld der teuren Hotels.

Spitzengastronomie als temporäre Angelegenheit: Barbara Eselböck und ihr Mann Alain Weissgerber stehen vor einer verlassenen Werkhalle in der sie ihr Pop-Up „Schraubenkobel“ betreiben.
Barbara Eselböck und ihr Mann Alain Weissgerber stehen vor der verlassenen Werkhalle, in der sie den „Schraubenkobel“ als Pop-up betrieben haben. © Taubenkobel

Um zu uns nach Schützen zu kommen, muss man sich ins Auto setzen; das erfordert mehr Planung und ist abhängig von Wetter und Jahreszeit. Auf dem Land muss man um jeden Gast kämpfen, egal ob man gerade angesagt ist oder nicht.

Mehrere Standbeine helfen

Der Taubenkobel steht auf mehreren Standbeinen: Wir haben schöne Zimmer, ein einfacheres Fahrradhotel samt Shuttledienst und die „Greisslerei“, in der wir neben einer günstigeren Speisekarte auch regionale Produkte servieren.

Wir versuchen für jeden Anlass und für jede Geldbörse etwas zu bieten. So gleicht sich das Geschäft besser aus, die Abhängigkeit sinkt. Der Gast freut sich über Auswahlmöglichkeiten, es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er länger bleibt.

Deshalb ist das nächstgelegene Haubenlokal auch nicht unser größter Feind, im Gegenteil. Es steigert den Wert als Urlaubsdestination. Mein Lieblingsbeispiel ist Cartmel im nordenglischen Lake District National Park, weitab von jeder großstädtischen Zivilisation. Dort ist rund um ein Drei-Sterne-Restaurant ein ganzes Gourmet-Dorf entstanden, mit Käsereien, Bäckereien, Gärtnereien, Bed and Breakfasts, tollen Pubs. Von solchen Beispielen könnten wir viel lernen.

In unserem Fall half uns die Greißlerei durch die Pandemie. Wir machten aus dem Lokal zu Beginn des Lockdowns einen Lebensmittelhandel, der zum Nahversorger im Dorf und durch den Straßenverkauf zum Ausflugsziel wurde.

Außerdem waren wir am Wochenende mit vier Autos unterwegs und haben bis nach Wien Kochboxen an unsere Stammkunden ausgeliefert. Wir wollten unseren Kindern und auch dem Personal eine Art Normalität vorleben, indem das Geschäft auf einer anderen Basis weiterging.

Teambuilding gegen Personalmangel

Für manche Gastronomen stellt der Personalmangel derzeit ein enormes Problem dar. Aber Hire & Fire hat in der Spitzengastronomie ohnehin selten funktioniert. In gewisser Weise ist man sogar abhängig von geschulten, freundlichen Fachkräften.

Ein Hund sitzt auf der Treppe eines Denkmals und blickt auf eine Frau mit Hut, die ihm gegenüber an einem Geländer lehnt. Die schwarz-weiß Aufnahme entstand in den 1930 Jahren. Das Bild illustriert einen Beitrag über Spitzengastronomie und Haubenküche.
Mutmaßlich noch ohne Haubenküche: Cartmel in Cumbria, Großbritannien, um 1930. © Getty Images

Geschäftlich bin ich mir nicht sicher, ob unsere Corona-Aktionen wirklich etwas gebracht haben. Trotzdem war diese Arbeit wichtig. Für uns, weil wir nicht in Lethargie verfallen sind. Für die Mitarbeiter, weil sie weiter ihren Lohn bekamen. Wir haben sogar versucht, das während der Pandemie ausgefallene Trinkgeld teilweise zu ersetzen. So entstand in schwierigen Zeiten gegenseitiges Vertrauen.

Niemand will in einer Umgebung arbeiten, die keine Freude macht. In der teilweise ziemlich stressigen Gastronomie gilt das besonders. Für uns hat sich die Strategie ausgezahlt. Denn die Herausforderung war ja nicht das Aufsperren an sich. Man musste auch genauso funktionieren wie vorher. Und dafür braucht man eine loyale Mannschaft.

Hobbyköche zu Gast

Flexibilität und kreative Lösungen sind vielleicht die wichtigsten Faktoren in unserem Beruf. Die Ansprüche der Gäste sind gestiegen. Heute muss man auf vieles eingehen, muss Menschen lesen können. Früher war die Toleranzgrenze höher, auch ist das Qualitätsempfinden subjektiver geworden. Selbst wenn Küche und Service in Höchstform sind, kann es passieren, dass ein Gast unzufrieden heimgeht. Wer schon früher oft gereizt war, ist es jetzt noch schneller.

Die Entspannten wirken in diesem Umfeld noch entspannter. Viele Gäste sind einfach glücklich, einen schönen Abend in einem guten Lokal verbringen zu können. Nach dem Motto: Du weißt erst, wie wichtig etwas ist, wenn es keine Selbstverständlichkeit mehr darstellt. Tatsache ist aber auch, dass die Gereizten mehr geworden sind.

Die Pandemie führte auch dazu, dass viele Menschen öfter selbst kochten. Nicht wenige haben sich intensiv mit dem Thema Essen beschäftigt. Früher dachte jeder Fußballfan, er wäre der bessere Trainer, jetzt gibt es plötzlich ziemlich viele Experten für Spitzenküche. Das hat durchaus auch positive Aspekte: Manche Menschen haben erst jetzt festgestellt, wie viel hochklassige Grundprodukte wirklich kosten.

Teuerung als Spagat

Trotzdem ist es derzeit enorm schwierig, die Speisekarte der Inflation anzupassen. Wenn man heute einen Preissprung bei den Lieferanten verpasst, kann das am Monatsende ziemlich böse ausgehen. Andererseits kann ich Aufschläge von 20 Prozent und mehr einfach nicht weitergeben. Wenn der Gast für die Erhöhungen noch nicht bereit ist, bleibt das Lokal leer. 

Aber in der Spitzengastronomie war die Luft schon immer dünn. Es gilt der Satz: „Je besser die Küche, umso schwieriger das Geldverdienen.“ Deshalb haben schon viele Topköche auf Hauben und Michelin-Sterne verzichtet. Reich wird man eher mit zehn gut gehenden Fast-Food-Lokalen oder mit einem smarten Hotelkonzept. 

Aber letztlich stellt sich auch die Frage, was einem im Leben wichtig ist. Geht es ums Geldverdienen oder darum, seine Leidenschaft zu leben? Für uns gilt zweifellos Letzteres. Auch wenn wir an unserem Standort mit unserer Qualität für die Selbstverwirklichung einen ganz spitzen Rechenstift brauchen.

Wohlfühlen statt Luxus

Was gerne übersehen wird: In einem Lokal sind Ambiente und Atmosphäre heute mindestens so wichtig wie die Qualität des Essens. Wahrscheinlich sind die Emotionen sogar noch wichtiger. Wenn sich ein Gast nach einem Monat an den Besuch zurückerinnert, wird er vielleicht nicht mehr genau wissen, was er gegessen hat. Er wird aber mit Sicherheit noch wissen, ob er sich wohlgefühlt hat oder nicht. Stammgäste erwirbt man über die Atmosphäre.

Das Lokal muss in jeder Beziehung echt und stimmig wirken, das beginnt bei der Einrichtung und geht übers Geschirr bis zur Kleidung des Personals. Es muss überall gut riechen, und der Service soll unkomplizierte Freundlichkeit ausstrahlen. Beim Gast dürfen niemals Schwellenängste aufkommen. Er soll sich nicht fragen, ob er richtig angezogen ist und überhaupt in das Lokal passt. Luxus muss dort aufhören, wo das Wohlfühlen in Gefahr gerät. 

Pop-ups für Abwechslung

Früher hatten wir viele Weihnachtsfeiern im Taubenkobel. Als die Unternehmen immer mehr sparen mussten, ging dieses Geschäft spürbar zurück. Wir suchten nach einer Alternative – und fanden sie in Pop-up-Events. Begonnen hat es mit einem Dinner vor dem Opernball im Schloss Belvedere.

Danach haben wir die Manner-Villa gemietet und zuletzt eine aufgelassene Autowerkstatt als Location genützt, den „Schraubenkobel“. Das Personal trug Mechaniker-Outfits, auch die Menüs waren mit einem Augenzwinkern der Umgebung angepasst. Zu späterer Stunde wurde eine Bar eröffnet.

Schön gedeckte Tische stehen in einer Arbeitshalle mit Oldtimern im Hintergrund.
Im Pop-up „Schraubenkobel“ dinierten Gäste neben Oldtimern im Arbeitsambiente. Und nach dem ­Essen verwandelten sich die weit­läufigen Hallen in einen Nachtklub. © Taubenkobel

Solche Events sind toll, um unsere Kreativität auszuleben, aber zu oft kann man so etwas nicht machen. Schließlich ist der Aufwand für die Aufbereitung der Location und die Installation einer kompletten Küche enorm hoch. Doch der Ortswechsel und die ganz neue Aufgabenstellung motivieren die gesamte Mannschaft genau wie meinen Mann und mich. Außerdem schadet es nicht, unseren Namen wieder ins Gespräch zu bringen. 

Ansonsten versuchen wir das Wellenreiten auf den Gastrotrends zu vermeiden. Man muss seinen eigenen, hoffentlich unverwechselbaren Stil finden und den mit maximaler Leidenschaft umsetzen. Denn ohne Leidenschaft geht gar nichts in der Gastronomie. Letztlich muss ich als Wirtin meine Emotionen auf den Gast übertragen. Nur wenn er meine Freude an der Arbeit spürt, wird er zufrieden nach Hause gehen.

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