Was Krieg mit Menschen macht

Wenn die Waffen schweigen, ist der Krieg noch lang nicht vorbei, zeigen Dacia Maraini, Martin Prinz und Taina Tervonen. Der erste Teil unserer Buchtipps.

Eine zerbombte Straße, eine Frau mit gepunketer Bluse und schwarzem Rock geht diese Straße entlang, neben ihr ein Mann mit Maschinengewehr und Adidas-Turnschuhen. Der Bildausschnitt zeigt nur die Oberkörper und Beine der beiden Personen. Das Bild entstand während des Jugoslawienkrieges am 4. Juli 1992 in Sarajewo; es ist Teil eines Beitrags mit Buchtipps zum Thema Krieg, in dem drei Romane vorgestellt werden, unter anderem von Taina Tervonen, Martin Prinz und Dacia Maraini.
Sarajewo am 4. Juli 1992. © Getty Images

Kriege beginnen meist ohne dass sich die Menschen dessen wirklich bewusst sind. Die Politik schürt Stimmung, die Rhetorik wird scharf, um eines Tages eine bewaffnete Auseinandersetzung unausweichlich erscheinen zu lassen. So begann die beiden Weltkriege genauso wie der Bosnien-Krieg, und obwohl beide vorbei sind, wirken sie auch Jahrzehnte in der Bevölkerung nach. Gerade in Krisenzeiten wie diesen lohnt es sich zu lesen, welch verheerende Folgen Kriege haben können und warum Diplomatie zur Vermeidung von bewaffneten Auseinandersetzung deshalb in jedem Fall die wichtigste Rolle bei staatlichen Streitigkeiten spielt.

Mehr zum Thema Krieg

Buchtipp 1

Das Cover ist Teil eines Beitrags mit Buchempfehlungen für den Sommer 2025.
Die Reparatur der Lebenden von Taina Tervonen. © Zsolnay

Verrohung auf Langzeit

Taina Tervonen. Die Reparatur der Lebenden. Am 12. Juli vor 30 Jahren fand das Massaker von Srebrenica statt, der Auftakt eines Krieges, der über 100.000 Menschen das Leben kostete – viele davon Zivilisten, die ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden. Doch die Erde vergisst nicht: In diesem Buch wird die Arbeit der forensischen Anthropologinnen geschildert, die Massengräber ausgehoben, Tote identifiziert und damit Verbrechen aufgeklärt haben. Vor allem: Es zeigt, wie zentral die Bestattung der Toten für die überlebenden Angehörigen und damit für echten Frieden ist.

Harte Thematik, könnte man meinen, doch Taina Tervonen ringt dem Grauen viel Menschlichkeit ab, erzählt Schicksale von Familien und vom Glück, Tote beerdigen zu können. Es ist ein Buch über die Conditio humana in Zeiten des Krieges und danach. Der Bosnien-Krieg ist zwar schon lange Zeit her, doch die Wunden in der Gesellschaft sitzen tief. Und gerade weil es unter die Haut geht, kann es in Zeiten aufkeimenden Nationalismus als Fanal gelesen werden.

Taina Tervonen, Die Reparatur der Lebenden, Zsolnay, 18,99 Euro

Buchtipp 2

Das Cover ist Teil eines Beitrags mit Buchempfehlungen für den Sommer 2025.
Die letzten Tage von Martin Prinz. © Jung und Jung

Verbrechen und Strafe

Martin Prinz. Die letzten Tage. Es ist ein Tatsachenroman: Die Russen stehen im April 1945 am Semmering, das Ende des Dritten Reichs ist absehbar, und trotzdem veranstaltet
 eine Handvoll Nazis im niederösterreichischen Payerbach ein obszönes Gemetzel an Zivilisten. Warum? Martin Prinz lässt in diesem Buch die Fakten sprechen und baut aus Gerichtsakten und minutiösen Recherchen eine multiperspektivische Aufarbeitung dieses Falls.

Es ist eine erschütternde Erzählung über die Schlechtigkeit der Menschen im Angesicht des Untergangs. Da sind nicht nur Neid und Habgier, sondern auch Kaltherzigkeit, Gleichgültigkeit und das Verschanzen hinter Befehlsketten, die im Gerichtsverfahren zwei Jahre später aufgedeckt werden. Dass die Wahrheit ans Licht kommt, ist das eindrückliche Final. Nach weiten Strecken im erzählenden Konjunktiv bringen Originaldokumente am Ende des Romans Genugtuung und loben die Gerichtsbarkeit.

Martin Prinz, Die letzten Tage, Jung und Jung, 25 Euro

Buchtipp 3

Das Cover ist Teil eines Beitrags mit Buchempfehlungen für den Sommer 2025.
Ein halber Löffel Reis von Dacia Maraini. © folio

Im japanischen Konzentrationslager

Es gibt Aspekte des Zweiten Weltkriegs, die in Europa wenig am Radar sind. So etwa die Rolle Japans und seine Verbindung mit dem faschistischen Italien. Genau das macht dieser Tatsachenroman zum Thema. Dacia Maraini, Tochter italienischer Kommunisten, gerät wegen der Gesinnung ihrer Eltern in ein japanisches Konzentrationslager, in dem sie und ihre italienischen Mitgefangenen zwei Jahre lang mit einer Handvoll Reis pro Tag überleben mussten.

Abgesehen von der Dynamik innerhalb der Gefangenengruppe zeichnet Maraini das Bild einer im Grunde kriegerischen japanischen Kultur, in der Nationalstolz, die Ethik der Samuraikrieger und Gehorsam eine konstituierende Rolle spielen. Diese Kenntnis hilft der Autorin schließlich auch zu überleben. Die Lektüre ist darüber hinaus auch ein Erklärstück dafür, warum erst die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki den Zweiten Weltkrieg endgültig beenden konnten.

Dacia Maraini, Ein halber Löffel Reis, folio, 26 Euro

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