Nachhaltig essen: Leichter gesagt als getan

Unser Essen hat dramatische Folgen für Umwelt und Klima. Warum sich nachhaltig zu ernähren so komplex ist – und was wir trotzdem tun können.

Bäuerin in Arbeitskleidung steht neben Solarpaneelen. Das Bild illustriert einen Artikel über nachhaltiges Essen.
Die Produktion von Lebensmitteln hat ökologische Folgen, die wir nicht länger ignorieren können. Nachhaltigkeit ist jedoch kein einfaches Label, sondern ein Zusammenspiel vieler Faktoren. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Vielfalt der Schäden. Lebensmittelproduktion belastet Klima, Wasser, Böden und Artenvielfalt auf unterschiedliche Weise.
  • Widersprüchliche Effizienz. Was Treibhausgase spart, kann anderen Umweltzielen schaden – und umgekehrt.
  • Frage der Priorität. Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf einzelne Produkte oder Labels reduzieren.
  • Einige Faustregeln. Weniger Fleisch, weniger Verschwendung, mehr Pflanzen: Kleine Hebel mit großer Wirkung.

Die Produktion der Lebensmittel, die uns ernähren, wird immer mehr zum Problem: Sie hat überdimensionierte und immer schlimmer werdende Auswirkungen auf die Umwelt. Sie entstehen vor allem auf drei Arten, nämlich durch:

  • Verlust und Zerstückelung von Lebensräumen durch die Umwandlung natürlicher Flächen in landwirtschaftliche Nutzflächen
  • Verschlechterung des Lebensraums durch Intensivierung und Verschmutzung, wodurch landwirtschaftliche Flächen weniger naturverträglich werden und die Verschmutzung weiterreichende Auswirkungen auf Luft und Wasser hat
  • Klimawandel durch die Emission von Treibhausgasen aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion, die weltweit zum Verlust und zur Verschlechterung von Lebensräumen beitragen

Unser Lebensmittelsystem – darunter verstehen wir die Gesamtheit der Aktivitäten zur Erzeugung, zum Transport, zur Herstellung, zur Verpackung und zur Bereitstellung von Lebensmitteln für den Verzehr und die Entsorgung – ist insgesamt die größte Bedrohung für die Artenvielfalt und ein wichtiger Faktor für den Klimawandel. Und nicht nur das: Unsere Lebensmittelsysteme versagen zunehmend bei Sicherstellung einer Ernährung, die unsere Gesundheit als Menschen fördert. Insgesamt schätzte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen vor kurzem, dass die versteckten Gesamtkosten des Lebensmittelsystems mehr als zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ausmachen und sich auf über 12 Billionen US-Dollar belaufen: Das ist sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch und sozial unhaltbar. 

Dies wirft natürlich die Frage auf: Wenn man sich nachhaltig ernähren will, was soll man dann essen?  Obwohl ich mich seit Jahrzehnten mit nachhaltigen Lebensmitteln beschäftige, kann ich keine einfachen Antworten geben. Es gibt keine einfache Möglichkeit, Nachhaltigkeit zu messen, da sie von einer Vielzahl von Kriterien und Überlegungen abhängt, die von Ort zu Ort und im Laufe der Zeit variieren. Dennoch ist nicht alles verloren. Denn es ist möglich, einige „Faustregeln“ zu entwickeln, auf die ich später zurückkomme.

Was bedeutet nachhaltig?

Die Ernährung der Weltbevölkerung ist unweigerlich mit ökologischen Kosten verbunden. Land, das aus seinem historischen natürlichen Lebensraum herausgelöst wird, um darauf Nahrungsmittel zu produzieren, wird zwangsläufig für weniger Arten als Lebensraum geeignet sein; und die notwendige Störung des Bodens wird seine ökologische Funktion untergraben. Je mehr Land für die intensive Nahrungsmittelproduktion genutzt wird und je mehr Düngemittel und Pestizide eingesetzt werden, desto stärker wird der landwirtschaftliche Lebensraum beeinträchtigt. Durch diese Intensivierung in großem Maßstab entstehen einheitliche monokulturelle Landschaften, die wenig Raum für eine vielfältige Natur bieten und negative Auswirkungen für die Umwelt und das Klima haben, unter anderem durch die Verschmutzung von Luft und Wasser über die direkt bewirtschafteten Flächen hinaus. 

Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Umwelt ausreichend geschützt werden muss.

Unter Nachhaltigkeit verstehen wir ganz grundsätzlich, dass die im Mittelpunkt stehende Tätigkeit – in unserem Fall die Nahrungsmittelproduktion – auf unbestimmte Zeit fortgesetzt oder „aufrechterhalten“ werden kann. Nachhaltigkeit bedeutet also, dass die Umwelt ausreichend geschützt werden muss. Sei es die Bodenfruchtbarkeit, das Klima, Wasser und Luft oder das Wohlbefinden der Vögel, die an einem sonnigen Tag fröhlich zwitschern. 

Aber es ist verdammt schwierig, das Konzept so zu präzisieren, dass wir als Verbraucher im Supermarkt Lebensmittel auswählen können, die eindeutig gut für die Umwelt sind. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird oft falsch interpretiert, manchmal sogar absichtlich. Keines der gängigen Konzepte – etwa die Minimierung der Treibhausgasmenge pro Kilo Produkt oder der Verzehr von Bio- oder regionalen Produkten – führt eindeutig zu einem absoluten Gewinn für die Umwelt.

Ein unbeständiges Konzept

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum das Konzept der Nachhaltigkeit so unbeständig ist:

  1. Die verschiedenen Dimensionen der Umweltauswirkungen lassen sich nicht gut miteinander in Einklang bringen.

Die Lebensmittelproduktion beeinflusst die Umwelt in mehreren Dimensionen: Boden, Luft, Wasser, Klima und biologische Vielfalt. Auch andere Faktoren können einbezogen werden, zum Beispiel das Wohlergehen der Tiere oder der Lebensunterhalt der Landwirte. Das Lebensmittelsystem ist auch dann nicht nachhaltig, wenn die erzeugten Lebensmittel nicht zu einer gesunden Ernährung beitragen.

Diese verschiedenen Dimensionen stehen in der Regel in einem Spannungsverhältnis zueinander. Die Erhöhung der „Kohlenstoffeffizienz“ eines Produkts – seines Treibhausgas-Fußabdrucks in Form von Emissionen pro Gewicht des Produkts – bedeutet in der Regel eine Intensität der Produktion, was zu negativen Auswirkungen auf die Wasser- und Luftqualität, den Boden und die biologische Vielfalt führen kann.

Umgekehrt führen Tierschutzmaßnahmen – also größere Käfige, Freilandhaltung und/oder eine längere Lebensdauer der Tiere – zu einer geringeren Produktivität und damit zu einem höheren Fußabdruck im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln aus intensiveren Produktionsmethoden. Angesichts dessen sind die landwirtschaftlichen Konzepte, die Emissionen minimieren, andere als jene, die die Auswirkungen auf die Natur oder die Umweltverschmutzung minimieren wollen.

Die Einbeziehung eines breiteren Spektrums von Faktoren in die Nachhaltigkeit wirft zwei zentrale Fragen auf. Wie ist Nachhaltigkeit mit so vielen Faktoren überhaupt messbar? Die Messung von Treibhausgasemissionen in landwirtschaftlichen Betrieben wäre im Prinzip einfach, kann aber teuer und zeitaufwendig sein. Die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die biologische Vielfalt sind schwierig zu messen und hängen oft davon ab, welche Arten von Tieren oder Pflanzen untersucht werden. Andere Faktoren, wie Tierschutz oder Menschenrechte, sind schwer objektiv zu definieren und werden subjektiv in Bezug auf gesellschaftliche Normen und Werte definiert. Daher ist die Messung der Umweltauswirkungen komplex, ungenau und oft teuer, was dazu führt, dass die Nachhaltigkeit nur durch die Brille dessen bewertet wird, was leicht zu messen ist (wie Treibhausgasemissionen).

Und: Wie sollten die verschiedenen Komponenten der Umweltauswirkungen gegeneinander abgewogen werden?  Ist eine „Einheit“ biologische Vielfalt wichtiger oder weniger wichtig als eine Einheit Treibhausgasemissionen, Umweltverschmutzung oder Tierschutz? Ist etwas, das in einer naturfreundlichen, aber Treibhausgas-emittierenden Weise produziert wird, mehr oder weniger nachhaltig als eine Treibhausgas-effiziente, aber intensive, naturfeindliche Landwirtschaft? Letztlich ist dies ein Urteil, das auf Werten und nicht auf Wissenschaft basiert.

  1. Kontextabhängigkeit der Umweltauswirkungen

Ein und dieselbe Maßnahme (zum Beispiel ökologischer Landbau) kann je nach Bewirtschaftung des Betriebs, seinem Ort und den benachbarten Betrieben bessere oder schlechtere Ergebnisse erzielen (ein konventioneller Betrieb, der von Bio-Bauern umgeben ist, kann die gleiche biologische Vielfalt aufweisen wie ein Bio-Betrieb, der von Nachbarn mit konventioneller Landwirtschaft umgeben ist). Umweltsysteme und das Lebensmittelsystem im Speziellen sind komplexe Systeme, die sich nicht linear verhalten: Je nach Zustand des Systems kann dieselbe Maßnahme zu sehr unterschiedlichen Folgen führen. 

Die Umwandlung eines Hektars Natur in Ackerland macht in einer unberührten Landschaft nur einen geringen ökologischen Unterschied. Aber sie macht einen großen Unterschied, wenn es sich um den letzten Hektar Lebensraum in einer ansonsten intensiv landwirtschaftlich genutzten Landschaft handelt.  Die Kontextabhängigkeit hat zwei wichtige Konsequenzen: Erstens ist es wahrscheinlich, dass das System erst allmählich, dann plötzlich seine Funktionsfähigkeit verliert, je mehr aus demselben Land entnommen wird oder je mehr Schadstoffe in Wasser oder Luft gelangen. Es wird Obergrenzen für die Produktion geben, unterhalb derer das System funktioniert und oberhalb derer das System zusammenbricht. Zweitens bedeutet dies, dass Nachhaltigkeit eine Eigenschaft des Systems als Ganzes und nicht eines bestimmten landwirtschaftlichen Ansatzes ist.

  1. Nachhaltigkeit hängt vom System als Ganzes ab

Einen weiteren Grund dafür nenne ich das „Produktivitätsparadoxon“: Das „Richtige“ zu tun, kann die Dinge verschlimmern. Eine Steigerung der landwirtschaftlichen Intensität und Produktivität erhöht die Effizienz, was den Landwirten mehr Gewinn bringt. In einem wettbewerbsorientierten Markt senkt dies die Produktkosten, regt die Nachfrage weiter an und schafft Anreize für das Wachstum des Sektors.  Dieses Wachstum kann die absoluten Emissionen des Sektors erhöhen, auch wenn jede Produkteinheit relativ „nachhaltiger“ ist und eine geringere Emissionsintensität aufweist.

Damit der ökologische Landbau zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen kann, müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir Lebensmittel konsumieren.

Ein zweites Beispiel ist eine andere Form des Spillover. Die biologische Landwirtschaft hat – wie die meisten „nachhaltigen“ Landwirtschaftsbetriebe – einen geringeren ökologischen Fußabdruck als die meisten konventionellen Betriebe. Wenn alle Menschen genau die gleichen Lebensmittel wie heute essen würden, allerdings aus biologischem Anbau, müsste die landwirtschaftliche Nutzfläche vergrößert werden, weil der ökologische Landbau pro Flächeneinheit weniger produktiv ist. Wenn diese Ausweitung der ökologischen Anbauflächen auf Kosten des natürlichen Lebensraums geht, wäre die biologische Landwirtschaft absolut weniger nachhaltig. Damit der ökologische Landbau zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen kann, müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir Lebensmittel konsumieren.

Indikatoren für Nachhaltigkeit sind ungenau

Aus den obigen Überlegungen ergibt sich, dass die einzige Möglichkeit, die Nachhaltigkeit wirklich zu bewerten, darin bestünde, die Obergrenzen dessen zu ermitteln, was weltweit innerhalb der „planetarischen“ Grenzen von Klimaemissionen, Umweltverschmutzung und Naturschutz produziert werden könnte.  Diese „nachhaltige Nachfrage“ könnte in einem gerechten Sinn in Pro-Kopf-Richtwerte für den „nachhaltigen Verbrauch“ umgewandelt werden. Aber natürlich funktionieren die Märkte nicht so. Sie stimulieren die Nachfrage, um Gewinne zu erzielen. Auch die politischen Bedingungen für einen solchen Ansatz werden niemals gegeben sein. 

Die gebräuchlichen Maßstäbe wie die Minimierung des Treibhausgas-Fußabdrucks, der Verzehr von Lebensmitteln aus biologischem Anbau oder die Maximierung des Verbrauchs lokaler Lebensmittel werden der Komplexität des Themas nicht gerecht. 

Einige Faustregeln

Wie sollten also umweltbewusste Menschen bei all diesen komplexen Zusammenhängen über „nachhaltige Lebensmittel“ denken? Ich schlage die folgenden „Faustregeln“ vor:

  • Kaufen und essen Sie die richtige Menge an Lebensmitteln (vermeiden Sie Überkonsum). Übermäßiger Konsum von Lebensmitteln ist eine Form der Lebensmittelverschwendung, die den ökologischen Fußabdruck der Ernährung unnötig vergrößert und mit negativen gesundheitlichen Folgen, einschließlich Fettleibigkeit, verbunden ist.
  • Essen Sie mehr Vollkorn-/Getreideprodukte, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, und minimieren Sie stark verarbeitete Lebensmittel, die oft viel Zucker, Salz und Fett enthalten. Ballaststoffreiche pflanzliche Lebensmittel haben nicht nur relativ geringe Auswirkungen auf die Umwelt, sondern werden auch mit positiven Auswirkungen auf die Gesundheit in Verbindung gebracht und werden derzeit von der Bevölkerung in Ländern mit hohem Einkommen im Allgemeinen zu wenig verzehrt.
  • Essen Sie weniger Fleisch, Milchprodukte und Eier. Ein übermäßiger Verzehr von tierischen Lebensmitteln – wie er in Ländern mit hohem Einkommen üblich ist – hat nicht nur relativ große Auswirkungen auf die Umwelt (direkt durch die Tierhaltung und indirekt durch die intensive Futtermittelproduktion), sondern kann auch mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen verbunden sein.
  • Essen Sie nach Möglichkeit Lebensmittel, die mit naturverträglichen und nicht mit intensiven Produktionsmethoden hergestellt wurden.

Agrarökologische Produktionsmethoden produzieren vielleicht weniger pro Flächeneinheit (oder stoßen mehr Treibhausgase pro Kilo aus), aber sie sind oft besser für mehrere Dimensionen der Nachhaltigkeit.  Wenn Sie weniger essen, weniger verschwenden und Ihre Ernährung umstellen, kann ein agrarökologischer Warenkorb einen geringeren absoluten Fußabdruck aufweisen, auch wenn einige Produkte einen relativ größeren haben.

Letzter Gedanke.  Die Menschen – als Verbraucher – können die Märkte mitgestalten, indem sie durch ihre Kaufentscheidungen die Nachfrage und damit das Angebot beeinflussen. Als Bürger haben sie jedoch durch ihre sozialen Netzwerke und ihren Einfluss auf die Politik vielleicht einen größeren Einfluss. 

Wirklich nachhaltige Lebensmittel werden von den Märkten nicht in großem Umfang produziert werden, es sei denn, die Politik greift ein, um die Marktanreize zu ändern und die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Erzeuger mehr Gewinn aus dem Verkauf von weniger und nachhaltigeren Produkten erzielen.  Im Moment ist der politische Spielraum für positive Maßnahmen der Politiker sehr klein. Wenn wir in einer nachhaltigen Welt leben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass grüne Themen Stimmen bringen und nicht Stimmen kosten. 

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Conclusio

Verantwortung. Unsere Ernährung hat ökologische Folgen, die wir nicht länger ignorieren können. Was wir essen, bestimmt mit über das Schicksal unseres Planeten.

Komplexität. Nachhaltigkeit ist kein einfaches Label, sondern ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Nur wer Zusammenhänge versteht, kann fundierte Entscheidungen treffen.

Einfluss. Konsumverhalten wirkt – aber politische Rahmenbedingungen sind entscheidend. Nachhaltige Ernährung braucht nicht nur bewusste Esser, sondern mutige Politik.

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