Wie viel Wasser wirklich im Rindfleisch steckt
Der Wasserverbrauch von Rindfleisch ist ein populäres Beispiel in der Klimadebatte. Doch die Realität nachhaltiger Ernährung ist weitaus komplexer.

Auf den Punkt gebracht
- Vereinfachung. Reduktion auf plakative Zahlen wie 15.000 Liter Wasser pro Kilo Rind verzerrt die komplexe Realität.
- Nährwert. Tierische Produkte liefern schwer ersetzbare Nährstoffe und hochwertiges Eiweiß.
- Kontext. Der Ressourcenverbrauch hängt stark von Konsummengen und Produktionsstandorten ab.
- Frischwasser. Pflanzliche Lebensmittel verursachen weltweit den Großteil des Frischwasserverbrauchs.
Ein Kilogramm Rindfleisch kostet 15.000 Liter Wasser. Diesen Satz dürften die meisten Menschen in der westlichen aufgeklärten Welt mindestens einmal gehört haben. Er findet sich mittlerweile in fast jedem Populärmedium wieder und in den Broschüren von Organisationen, die sich dem Umwelt- oder Tierschutz verschrieben haben, ohnehin. Wer sich an der Debatte über eine nachhaltige Ernährung beteiligt, der dürfte diesen Satz sicherlich noch häufiger als nur einmal gehört haben, denn er ist jetzt schon ein Evergreen.
Mehr im Dossier „Was darf ich noch essen?“
Doch handelt es sich hierbei nicht um einen lustigen Ohrwurm, sondern um eine Verzerrung der Realität, die ausgerechnet einem zielführenden Diskurs über eine nachhaltige Ernährung im Wege steht. Doch der Reihe nach, denn die Debatte über nachhaltige Ernährung ist deutlich komplexer, um sie allein auf ein einziges Lebensmittel wie Rindfleisch oder einen ökologischen Faktor wie den Wasserverbrauch zu reduzieren.
Dass dies häufig dennoch geschieht, ist eine bewusste Kommunikationsstrategie, um ein bestimmtes Narrativ herauszubilden, das dem jeweiligen Ziel dienlich ist. Im Fall der Klimaschutzbewegung ordnet sich jede Überlegung für Maßnahmen zur Abwehr oder wenigstens Milderung der negativen Folgen des Klimawandels einer simplen Systematik unter, wonach alles opportun ist, was zu weniger menschengemachten Treibhausgasen führt. Diese einfache Formel ist auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Diskurses anschlussfähig, denn sie schließt eine Reihe zentraler Anliegen zum Beispiel der Umweltschutzbewegung oder der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung mit ein. Von jeher wird in diesen Milieus die Entwicklung der modernen Landwirtschaft kritisch gesehen, was sowohl die Erzeugung pflanzlicher als auch tierischer Lebensmittel im Allgemeinen betrifft.
Das große Verwirrspiel
Die Kritikpunkte betreffen zurecht zum Beispiel die Ausbreitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen auf Kosten natürlicher Räume, den teils überbordenden Einsatz von Pestiziden und Düngemittel wie auch die Haltungsbedingungen der intensiven tierischen Lebensmittelerzeugung. Auch wenn das Spektrum der Triggerpunkte sich von den ureigenen Anliegen der Umweltschutzbewegung über die Klimabewegung bis hin zu der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung deutlich fokussiert, so können sie sich alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen: Weniger oder sogar gar keine tierischen Lebensmittel sind gut für die Umwelt, das Klima und die Tiere sowieso. Und hier beginnt das große Verwirrspiel.
Die beliebtesten Argumentationsbausteine sehen so aus, dass in einer Infografik ein oder mehrere tierische Lebensmittel mit pflanzlichen Lebensmitteln verglichen werden. Der Vergleich erfolgt pro Kilogramm oder Liter Lebensmittel und unter Verweis auf eine renommierte Datenquelle, beispielsweise die Universität Oxford oder die Datenplattform Our World in Data, die ebenfalls an der Universität Oxford angesiedelt ist. Lebensmittel vom Rind sind dabei immer willkommen, da es sich um das für die menschliche Ernährung größte genutzte Landsäugetier handelt, das größere Mengen an Biomasse und Wasser für Wachstum und Stoffwechsel benötigt als Schweine oder Geflügel.
Dieser einfache biologische Sachverhalt bedingt, dass in der Ökobilanzierung von Klima- und Umwelteinflüssen von Lebensmitteln auch die Effektgrößen pro Kilogramm gerechnet steigen – wo mehr reingeht, da kommt auch mehr wieder raus. Obwohl in Deutschland oder Österreich mehr Schweinefleisch und inzwischen auch mehr Geflügelfleisch konsumiert wird als Rindfleisch, können die Urheber einschlägiger Infografiken nicht davonlassen, immerzu den Vergleich zum Rindfleisch zu suchen, denn damit lassen sich die größten Unterschiede zu pflanzlichen Lebensmitteln wie Bohnen, Blumenkohl und Brokkoli in einem Balkendiagramm darstellen. Ob es dabei um Treibhausgasemissionen, Landflächen- oder den Wasserverbrauch geht, es funktioniert fast immer.
Die Menge macht es
Die Botschaft, die beim Betrachter hängen bleibt, ist einfach und klar: Tierische Lebensmittel sind nicht so gut für Klima und Umwelt, pflanzliche Lebensmittel dagegen fast schon der Heilsbringer schlechthin. Und wie gesagt, für die Tiere ohnehin besser. Wer es jetzt noch nicht verstanden hat, dem ist demnach auch nicht mehr zu helfen. Allenfalls mit Besteuerung und einem Label für klima- und umweltschädliche Lebensmittel.
Weder tierische noch pflanzliche Lebensmittel allein werden zukünftig Klima und Umwelt retten.
Dass es in der Realität jedoch nicht so einfach ist, zeigen nun auch vermehrt wissenschaftliche Studien jenseits von Oxford und Co., denn ein wesentlicher Aspekt von Lebensmitteln ist es, dass sie dem Körper Nährstoffe liefern sollen. Einige dieser Nährstoffe sind als kritisch in der Versorgung zu betrachten, so zum Beispiel in Deutschland und auch in Österreich zutreffend für Jod, Kalzium und Eisen, letzteres bei Frauen. Hauptzufuhrquellen dafür sind Milch und Fleisch sowie daraus hergestellte Produkte. Zudem liefern tierische Lebensmittel im Vergleich zu pflanzlichen Lebensmitteln für den Menschen besser verdauliches und biologisch höherwertiges Protein. Diese Faktoren werden neuerdings auf für die Berechnung des Fußabdrucks von Lebensmitteln einbezogen und lassen die vermeintlichen Vorteile pflanzlicher Lebensmittel schrumpfen.
Weiterhin kommt es nicht darauf an, wie hoch der Fußabdruck eines Lebensmittels pro Kilogramm ist, sondern wie viel Kilogramm davon tatsächlich gegessen werden. Je nach Lebensmittelgruppe reicht die Spanne nämlich zum Beispiel in Österreich von Hülsenfrüchten mit einem Kilogramm pro Jahr bis hin zu Gemüse mit über 120 Kilogramm.
Der Schmäh mit dem Wasserverbrauch
In Deutschland verhält es sich ähnlich und daher summieren sich dort laut einer Analyse des Thünen-Instituts sämtliche pflanzliche Lebensmittel und Getränke auf pflanzlicher Rohstoffbasis zu einem Anteil von 46 Prozent der Verursachung von Treibhausgasen durch die Ernährung. Für die benötigte Landfläche sind es sogar 65 Prozent. Am Ende macht es also die Masse insgesamt und nicht das Kilogramm, wie es oftmals in einschlägigen Infografiken dargestellt wird. Doch was ist mit dem Wasserverbrauch?
Die eingangs benannten 15.000 Liter Wasser pro Kilogramm Rindfleisch entstammen der Datenbank des Water Footprint Network. Wer sich dort die Rohdaten genauer ansehen würde, sähe in den verfügbaren Länderdaten, dass dieselbe Angabe für Deutschland und auch Österreich nur bei etwas mehr als der Hälfte läge und die für Schweine- und Hühnerfleisch nochmals deutlich darunter.
Es handelt sich also um einen weltweiten Durchschnittswert, den man zwar nennen kann, jedoch sollte dann auch die Einordnung für das lesende, hörende und zuschauende Publikum im jeweiligen Land erfolgen. Weiterhin bezieht sich die Zahl auf den Gesamtwasserverbrauch, 80 bis über 90 Prozent davon sind jedoch Regenwasser. Der Rest ist größtenteils Frischwasser aus Oberflächen- und Grundgewässern, welches zum Beispiel auch zum Trinken oder für industrielle Prozesse und Energieerzeugung genutzt wird.
Der Wasserverbrauch von Obst und Gemüse
Auf die Verwendung in der Landwirtschaft entfällt sowohl in Deutschland wie auch in Österreich mit gut einem beziehungsweise zwei Prozent anteilig nur ein sehr geringer Anteil, wobei auch hier oftmals nur die weltweite Durchschnittszahl von 70 Prozent genannt wird. Während beide Länder einen sehr guten Selbstversorgungsgrad mit tierischen Lebensmitteln aufweisen, müssen Obst und Gemüse meist aus Regionen importiert werden, wo ausbleibende Niederschläge die künstliche Bewässerung von Ackerflächen und Plantagen erforderlich machen.
Nur regional angepasste Ernährungssysteme werden zukünftig Klima und Umwelt retten.
Für Deutschland hat der WWF somit korrekterweise bilanziert, dass der gesamte Frischwasserverbrauch der Ernährung zu 80 Prozent durch pflanzliche Lebensmittel verursacht wird, trotz eines relativ hohen Verzehrs von Fleisch und anderen tierischen Produkten. Daten des Statistischen Bundesamtes bestätigen diesen Befund. Weltweit beläuft sich der Anteil der pflanzlichen Lebensmittelerzeugung am Frischwasserverbrauch laut einer Analyse der Universität in Santa Barbara ebenfalls auf rund 80 Prozent. Dies nochmals vor dem Hintergrund, dass die Landwirtschaft global betrachtet, 70 Prozent der Frischwassernutzung bedingt und damit pflanzliche Lebensmittel auch global der Hauptverursacher sind.
Die Gemengelage zeigt also, weder tierische noch pflanzliche Lebensmittel allein werden zukünftig Klima und Umwelt retten, sondern regional angepasste Ernährungssysteme, die dem Zweck dienen, ausreichend Nahrung und Nährstoffe für 10 Milliarden Menschen zu liefern. Wir dürfen uns dabei glücklich schätzen, in einer Gunstregion zu leben, wo beides möglich ist.
Conclusio
Realitätscheck. Vereinfachte Darstellungen helfen selten bei komplexen Problemen. Wer differenziert argumentiert, fördert eine glaubwürdige Klimadebatte.
Ernährungsstrategie. Nachhaltige Ernährung heißt, regional angepasst, ausgewogen und nährstoffdeckend zu essen – nicht dogmatisch zu verzichten.
Verantwortung. Aufklärung statt Vereinfachung: Politik, Medien und Bildung müssen faktenbasiert informieren, damit Konsumenten wirklich wirksam handeln können.