Brauen statt schlachten

Die Zeit ist reif für die nächste Revolution in der Landwirtschaft: Fermentation. Mit Einzellern gebraute Proteine sind effizienter und günstiger als jene aus Tieren und Pflanzen.

Foto einer Kuh, die auf einer Landwirtschafts-Leistungsshow durch einen Gang geführt wird. Das Bild illustriert einen Beitrag über die Vorteile einer Landwirtschaft, die mit Fermentation statt der klassischen Milch- und Fleischwirtschaft arbeitet.
Auf der Dairy Show in Shepton Mallet in England am 2. Oktober 2024. Holstein-Kühe wie jene auf dem Foto gehören zu den sogenannten Milchrassen, sie produzieren sehr viel Milch – bis zu 12.000 Liter im Jahr. Die Aufsplittung in Fleisch- und Milchwirtschaft ist ein Ergebnis der Industrialisierung der Landwirtschaft. Fermentation könnte die auf Massentierhaltung beruhende Milchwirtschaft überflüssig machen. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Pflanzen und Tiere. Bei aller Produktivitätssteigerung werden Proteine aus Pflanzen oder Tieren immer besonders ineffiziente Proteine bleiben.
  • Pilze und Bakterien. Lässt man Einzeller die Proteine herstellen, ist das der schnellste und direkteste Weg zu gesunden Nahrungsmitteln.
  • Grenzen. Die Ineffizienz war so lange kein Problem, wie Ökologie und Klima die Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft mittrugen.
  • Lösungen. Der Umstieg auf Fermentation ist eine Zäsur, ermöglicht aber eine produktive Landwirtschaft ohne Pestizide und Tierleid.

Seit der sogenannten Neolithischen Revolution vor etwa 10.000 Jahren sind die Menschen der allermeisten Kulturen rund um den Globus vom Jagen und Sammeln auf Ackerbau und die Haltung und Schlachtung von Nutztieren umgestiegen. Die mit dieser grundlegenden Änderung der Nahrungsbeschaffung einhergehende Sesshaftigkeit war die Grundlage für die Entstehung größerer Gemeinschaften und schließlich komplexer gesellschaftlicher Strukturen mit all den sozialen, rechtlichen und politischen Institutionen, Wissenschaften und Künsten, die wir heute kennen.

Mehr über Ernährung

Dieser Wandel, der durch die Art und Weise, wie wir uns ernähren, befördert, wenn nicht gar ausgelöst wurde, veränderte manches zum besseren und anderes zum schlechteren. Die genauen Abläufe und gesellschaftlichen Entwicklungen von damals sind noch immer Gegenstand von Forschung.

Fest steht jedoch, dass Nutzung von Land für den Anbau von Pflanzen und die Fütterung von Tieren einen großen Einfluss auf die Geschichte der Menschheit hatte und ebenso auf jene von Umwelt und Klima. Fruchtbare Fläche wurde zu einer wichtigen, vielleicht sogar der wichtigsten Ressource unserer Zeit.

Einen großen Teil der bewohnbaren Erdoberfläche, nämlich ein knappes Drittel, nutzen wir inzwischen für die Landwirtschaft, die uns alle ernährt. Und wie naturnah man auch ackert oder beweidet, natürliche Ökosysteme mussten und müssen von diesen genutzten Flächen weichen und damit auch die meisten Arten, die in ihnen leben. Zusätzlich wird ein Großteil des Kohlenstoffs freigesetzt, der in diesen Ökosystemen in Form von Pflanzen und Bodenleben gespeichert war und endet als klimaerwärmendes Kohlenstoffdioxid und Methan in der Atmosphäre.

Für eine lange Zeit steigerten sich die Erträge, die unsere Vorfahren den Böden abringen und vor Schädlingen schützen konnten, nur langsam. Erst im letzten Jahrhundert gab es eine weitere Revolution, die sogenannte Grüne Revolution, bei der durch Fortschritte im Verständnis pflanzlicher Bedürfnisse und Genetik eine Anpassung in Züchtung, Düngung und Pflanzenschutz und dadurch rasant steigende Erträge ermöglicht wurden. So können heute ganze acht, statt nur etwa einer Milliarde Menschen ernährt werden.

Einerseits ist die Industrialisierung der Landwirtschaft also eine Erfolgsgeschichte, denn die Steigerung der Produktivität hat uns vieles von dem, was wir heute als selbstverständlich empfinden, erst ermöglicht. Nur wenige Prozent der Bevölkerung müssen heutzutage in industrialisierten Ländern noch in der Landwirtschaft arbeiten, um sich selbst und den ganzen Rest zu ernähren. Dieser Rest kann deshalb anderen Tätigkeiten nachgehen, was die Grundlage für neue Berufe, Arbeitsteilung, gesellschaftlichen Wohlstand, mehr Gleichberechtigung und vieles andere ist.

Und dank Innovation im Anbau und Züchtung ist pro Kopf viel weniger Fläche nötig als früher. Höhere Produktivität ist also nicht, wie es häufig dargestellt wird, ganz prinzipiell eine Bedrohung für die Umwelt. Stattdessen spart sie Fläche ein, die wir sonst auch längst hätten urbar machen müssen.

Grenzen der Landwirtschaft

Bei über acht Milliarden Menschen auf der Erde wird es jedoch trotz dieser großen Fortschritte eng. Die Schattenseite, nämlich dass Landwirtschaft immer auf Nutzung der begrenzten Ressource Land beruht, holt uns ein.

Zwei Strategien, wie man dem Problem der Landnutzungsänderung (land use change), die laut internationalen Expertenberichten eine der größten Bedrohungen für die Biodiversität überhaupt ist, begegnen sollte, werden hauptsächlich diskutiert.

Die einen sagen: „Wir müssen die Produktivität noch weiter steigern!“ und meinen damit, dass wir noch intensivieren müssen, allerdings nachhaltig. Das heißt, mit demselben oder weniger Input an Dünger, Pflanzenschutzmittel und so weiter höhere Erträge erzielen. Die anderen sagen: „Wir müssen weniger Fleisch essen, weniger wegwerfen und besser verteilen!“ und meinen damit, dass eigentlich bereits genug für alle und noch mehr Menschen da ist und wir nur besser mit dem Vorhandenen umgehen müssen.

×

Zahlen & Fakten

Mit dem Laden des Inhalts akzeptierst du die Datenschutzerklärung von Datawrapper.

Vom Schwinden bäuerlicher Arbeit

Je größer ein landwirtschaftlicher Betrieb, desto weniger Arbeitskräfte werden gebraucht. Die Anzahl der Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, sinkt kontinuierlich. In Österreich sind viele kleinere bäuerliche Betriebe sogenannte Nebenerwerbsbetriebe, weil die Landwirtschaft allein das Einkommen nicht sichert. Laut Grünem Bericht 2024 gab es 2020 insgesamt 154.593 landwirtschaftliche Betriebe in Österreich (11 Prozent weniger als 2010). 110.781 dieser Betriebe bewirtschafteten landwirtschaftliche Flächen bzw. hielten Nutztiere – 21 Prozent weniger als noch 2010.

Beide Ansätze können und werden ihren Beitrag leisten und sie widersprechen sich auch überhaupt nicht, sondern können beide gleichzeitig angegangen werden. Sie versprechen allerdings auch beide nur begrenzten Erfolg.

Eine Steigerung der Produktivität ist vor allem in industriell noch weniger entwickelten Weltregionen von großer Wichtigkeit. Denn hier ist die Lücke zwischen realisiertem und theoretisch möglichem Ertrag häufig noch sehr groß. Allerdings stellen die Folgen eines fortschreitenden Klimawandels in Form von Dürren und anderen Extremwetter-Ereignissen besonders in diesen Regionen eine Bedrohung für zukünftige Erträge dar. Gerade in jenen Regionen also, in denen in den kommenden Jahrzehnten das größte Bevölkerungswachstum zu erwartet ist, wird der Klimawandel einen Anbau von ausreichend Lebensmitteln unter freiem Himmel besonders erschweren.

Mit Lebensmitteln sorgsamer und effizienter umzugehen ist an sich selbstverständlich sinnvoll und kein unerheblicher Hebel, um unsere Ernährung nachhaltiger zu gestalten, zumindest hierzulande. Auch eine bessere Verteilung von Wohlstand in der Welt ist absolut erstrebenswert und würde dazu führen, dass heute ärmere Länder und Menschen sich vorhandene Lebensmittel leisten können. Und schließlich würde weniger Fleischkonsum in industrialisierten Ländern die Effizienz des Ernährungssystems ebenfalls steigern, weil weniger pflanzliches in tierisches Protein umgewandelt würde und der Flächenverbrauch sänke.

All diese Ansätze haben jedoch entweder das Problem, dass sie sehr komplex sind, wie die Gründe für ungleich verteilten Wohlstand, oder dass sie zu einem großen Teil auf individuellem Verhalten beruhen, wie das Wegwerfen von noch essbaren Lebensmitteln oder der Konsum tierischer Produkte. Und es gestaltet sich schwierig, in den freiheitlich-demokratischen Staaten, in denen eine solche Verhaltensänderung am vielversprechendsten wäre, einen Einfluss auf individuelles Konsumverhalten zu nehmen.

Was also tun, wenn die beiden populärsten Lösungsansätze den Karren scheinbar nicht oder zumindest nicht rechtzeitig aus dem Dreck ziehen können? Hier kommt die „Revolution aus dem Mikrokosmos“ ins Spiel, wie ich die teilweise oder sogar vollständige Abkehr der Menschheit von der Landwirtschaft in meinem gleichnamigen Buch nenne. Nach dem Sprung vom Jagen und Sammeln zu einer Ernährung mithilfe von Land ist es nun vielleicht an der Zeit, den nächsten Sprung zu wagen – zur Produktion unserer Lebensmittel mithilfe von Mikroorganismen.

Warum die Revolution notwendig ist

Zwei Schritte, auf denen unsere heutige Erzeugung von Lebensmittel basiert, bringen eine grundlegende Ineffizienz mit sich: die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid und Wasser in pflanzliche Biomasse mithilfe von Sonnenenergie (Photosynthese) und die Umwandlung von pflanzlicher in tierische Biomasse.

Zunächst zur Photosynthese. Wahrscheinlich haben Sie noch nie von Rubisco gehört, obwohl es sich dabei um das häufigste Protein auf der Erde handelt und um das Enzym (also die molekulare Maschine), dem wir alle den Sauerstoff in unserer Atemluft verdanken.

So staunend man jedoch den ausgeklügelten biologischen Mechanismen der Photosynthese gegenübersteht, kommt man dennoch nicht umhin sich zu fragen, warum ihr wichtigstes Enzym nach Millionen von Jahren Evolution derartig ineffizient arbeitet. Denn das tut es. Statt Kohlenstoffdioxid einzufangen und umzuwandeln, schnappt es sich nämlich immer mal wieder ein Sauerstoffmolekül. Und das ist vergleichbar mit einem Dieselmotor, der immer mal wieder Benzin statt Diesel ansaugt. Er stockt und stottert, bringt nicht die volle Leistung und kann Schäden davontragen.

Die Frage nach den Gründen für dieses Phänomen gibt Forschenden noch immer Rätsel auf und viele arbeiten daran, diese Ineffizienz in Nutzpflanzen zu beheben. Vorerst müssen wir jedoch mit ihr leben und sie ist einer der Gründe dafür, dass wir so viel Fläche brauchen, wenn wir unseren Nahrungsbedarf mit dem Anbau von Pflanzen decken. Hinzu kommt, dass man für Photosynthese immer Licht braucht, und das funktioniert mit Sonnenlicht eben nur zweidimensional, also in die Fläche – damit die Sonnenstrahlen möglichst auf alle Blätter fallen.

Ein dritter Grund für die Ineffizienz, die der Anbau von Pflanzen als Lebensmittel mit sich bringt, ist der Umstand, dass nur Teile der angebauten Pflanzen für uns wirklich essbar sind. Die Samen beim Getreide, die Früchte, Wurzeln oder Blätter beim Gemüse. Ein Großteil der Pflanze ist für die direkte Ernährung unbrauchbar.

All diese Nachteile, die eine pflanzliche Ernährung mit sich bringt, wären lange nicht so problematisch, wenn wir heutzutage für viele unserer Lebensmittel nicht noch einen weiteren ineffizienten Schritt dranhängen würden: die Verfütterung dieser Pflanzen an Tiere.

Ja, dieser Schritt kann dabei helfen, die erwähnten, für uns ungenießbaren Teile der Pflanzen in Lebensmittel umzuwandeln und ja, ein maßvoller Konsum tierischer Produkte ist ernährungsphysiologisch eine wertvolle Ergänzung unseres Speiseplans. Trotzdem ist die Umwandlung von Pflanzlichem in Tierisches der zweite und gewichtigere Grund für die grundlegende Ineffizienz unseres Ernährungssystems: Um ein Kilogramm tierisches Protein zu erzeugen, braucht es mehrere, teilweise viele Kilogramm pflanzliches Protein – und deshalb noch mehr Fläche für deren Anbau.

In Industrieländern herrscht inzwischen ein besonders hoher Konsum tierischer Produkte vor. Bleiben wir in der Metapher des ineffizienten Dieselmotors, der (aus welchem Grund auch immer) immer mal wieder Benzin ansaugt, hängen wir mit Tierhaltung an dieses stotternde Gefährt nun auch noch einen schweren Anhänger an, um uns darin bequemer fortzubewegen. Dadurch verbraucht der Motor noch mehr Sprit.

Fermentation: Einzeller statt Mehrzeller

Wir könnten unser Ernährungssystem also radikal effizienter, umwelt- und klimafreundlicher machen, indem wir weniger auf Tiere und Pflanzen setzen würden. Wir sollten uns von diesen Mehrzellern ab- und stattdessen den Einzellern zuwenden, wenn es um unser Essen geht.

Einzeller halten für all die oben genannten Probleme Lösungen bereit. Fangen wir diesmal von der anderen Seite an: Pflanzen lassen sich viel effizienter in mikrobielle Biomasse umwandeln als in tierische. Das hat eine Reihe von Gründen, unter anderem können sich Einzeller unter guten Bedingungen viel schneller vermehren und statt viel Energie in einen Körperbau zu verschwenden, der auch viel ungenießbares produziert, stellen sie nur immer weitere Kopien von sich selbst her.

Einzellige Mikroorganismen kann man zudem innerhalb kurzer Zeit „schlachten“, denn sie müssen nicht erst zu komplexen, mehrzelligen Organismen heranwachsen. Bei essbaren Mikroorganismen (dazu gehören viele einzellige Pilze, aber erstaunlicherweise auch viele Bakterienarten) bedeutet dies, das mit viel weniger Futter mehr Essen produziert wird.

Die Aufwertung im Hinblick auf den Nährwert bleibt dabei vergleichbar mit Tieren: viele Mikroorganismen haben ein für uns hervorragend geeignetes Spektrum an Aminosäuren, Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen. Produziert in großen Tanks aus Edelstahl gleicht diese Art der Lebensmittelproduktion der uralten Tradition des Brauens und ist tatsächlich eine Form der Fermentation, so wie die Herstellung von Bier, Sauerteig und Sauerkraut. Nur, dass die Mikroorganismen selbst zum Essen werden.

Auch Pilzmyzel, also die wurzelartigen Verflechtungen von Pilzen im Boden, kann in Brautanks vermehrt und zu herzhaften Lebensmitteln verarbeitet werden. Beispiele für deutsche Pionierfirmen auf diesem Gebiet sind Nosh.bio in Berlin und Kyndatech bei Hamburg. Die Wiener Firma Revo Foods stellt per 3D-Drucker eine Alternative zu Lachs her, die aus Mikroorganismen besteht.

Neben der Produktion essbarer Mikroorganismen wird durch moderne Biotechnologie sogar eine Herstellung naturidentischer, tierischer Lebensmittel möglich. Dazu werden die Mikroorganismen mit neuesten Methoden genetisch dahingehend verändert, dass sie zum Beispiel Milchproteine oder Hühnereiweiß produzieren. Käse ohne Kuh und Süßspeisen mit echtem Eiklar, das nie ein Huhn gesehen hat, werden so möglich. Lebensmittel, wie wir sie kennen, aber radikal nachhaltiger, weil sie gebraut, statt mit Tieren hergestellt werden.

In meinem Buch beschreibe ich, wie diese Verfahren funktionieren, welche Produkte wir in Zukunft erwarten können und besuche Labore und Brauereien, in denen an diesen Zukunftstechnologien getüftelt wird. Beispiele für Vorreiter auf diesem Gebiet sind OnegoBio in Finnland, Perfect Day in den USA und Formo in Deutschland.

Der Schritt, im großen Stile Nutztiere durch Mikroorganismen zu ersetzen, hätte ähnlich revolutionäre Auswirkungen, wie der Schritt vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft vor vielen Tausend Jahren. Wir hätten nicht nur eine Alternative zur gesellschaftlich immer weniger akzeptierten industriellen Haltung und Schlachtung empfindungsfähiger Säugetiere und Vögel, sondern könnten gleichzeitig unseren Flächenverbrauch dramatisch senken und so auch unseren Einfluss auf die verbleibenden Ökosysteme. Renaturierung könnte sogar zu einer Erholung der Natur und zur Rückkehr vieler bedrohter Arten führen.

Treibhausgase fermentieren

Doch wir müssten damit noch nicht zufrieden sein. Auch bei der Ineffizienz des Anbaus von Pflanzen kann uns das Brauen helfen. Viele Mikroorganismen brauchen nämlich weder Pflanzen als Futter, noch betreiben sie selbst Photosynthese. Stattdessen brauchen diese Exoten gasförmige Nahrung und können so aus den molekularen Bausteinen Kohlenstoffdioxid, Wasserstoff und Stickstoff die komplexeren Verbindungen herstellen, die wir für unsere Ernährung brauchen. Ganz ohne Tiere und ganz ohne Pflanzen.

Diese Spielart der Fermentation nennt man Gasfermentation. Auch diese Form der mikrobiellen Produktion läuft in Brautanks ab und versetzt uns in die Lage, hochwertige Lebensmittel mit einem Bruchteil der bisher nötigen Fläche herzustellen. Da sie nicht einmal mehr auf pflanzlichen Input angewiesen ist, könnte sie unsere Ernährung fast vollständig von der Landnutzung unabhängig machen und damit unabhängig von Ertragsausfällen durch Wetterextreme und Klimakapriolen.

Und nicht nur unsere Ernährung, auch große Teile der restlichen Wirtschaft könnten wir mithilfe von Mikroorganismen umgestalten. Denn auch Kraftstoffe, Kunststoffe und vieles andere kann über den Prozess der Gasfermentation, der Klimagase als Ressource nutzt, statt sie auszustoßen, hergestellt werden – vorausgesetzt, der nötige Strom kommt aus erneuerbaren Quellen. Es gibt bereits Firmen, die Gasfermentation erfolgreich einsetzen. Die finnische Firma Solar Foods produziert zum Beispiel einen essbaren, proteinreichen Mikroorganismus aus „Strom und Luft“. Geerntet wird er als gelbliches Pulver, das bald tierisches Protein in vielen Produkten ersetzen kann.

Eine Abkehr von der klassischen Landwirtschaft oder zumindest eine Reduktion im großen Stil ist bisher Zukunftsmusik. Und das auch nur dann, wenn sie wirklich gewollt ist und wir der sogenannten zellulären Landwirtschaft, zu der die modernen Formen der Fermentation zählen, eine Chance geben. Das sollten wir jedoch unbedingt, falls uns wirklich etwas daran liegt, kommenden Generationen einen ökologisch stabilen und vielfältigen Planeten zu hinterlassen. Doch gibt es nicht auch Verlierer in dieser Erzählung?

Ende der Landwirtschaft?

Natürlich gibt es die, es gibt sie immer. Was wird zum Beispiel aus Menschen, die heute in der Landwirtschaft arbeiten und Regionen, in denen Landwirtschaft für soziale und ökonomische Strukturen sorgt? Dies sind berechtigte und wichtige Fragen. Dass weniger Landwirtschaft auch weniger Beschäftigte in der Landwirtschaft bedeutet, ist erst einmal logisch.

Doch man sollte sich vor Augen führen, dass der große Umbruch, den dieser Berufsstand durchgemacht hat, bereits hinter uns liegt: Nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung arbeitet heute in der Landwirtschaft. Das wird sich durch eine Revolution aus dem Mikrokosmos wahrscheinlich noch verstärken, zusammen mit fortschreitender Automatisierung und dem ohnehin stattfindenden Strukturwandel. Immer mehr Höfe finden auch heute keine Nachfolge mehr.

Doch es ist auch alles eine Frage der Perspektive und der Art und Weise, wie Dinge angepackt und der Wandel gestaltet werden. Neue Arten der Produktion könnten potenziellen Hofnachfolgern die Möglichkeit eröffnen, auf anderem Wege an der Erzeugung von Lebensmitteln mitzuwirken. Vielleicht gründen sie auf dem geerbten Gelände eine Mikrobenmanufaktur, rüsten Ställe zu Brauereien um und nutzen auf dem Hof angebaute Pflanzen als Futter.

Realistischerweise werden viele jedoch auch in ganz anderen Branchen eine erfüllende, berufliche Zukunft finden. Arbeitsmärkte sind schließlich noch nie ein Nullsummenspiel, sondern immer im Wandel gewesen. Regionen, die bereits heute als strukturschwach gelten, könnte ein solcher Wandel jedoch durchaus negativ treffen, wenn er nicht entsprechend begleitet und abgefedert wird.

Prinzipiell spricht jedoch vieles dafür, dass viele der neuen Betriebe im ländlichen Raum angesiedelt sein werden, statt in Städten. Boden ist günstiger, häufig gibt es Rohstoffe und regenerative Energien vor Ort. Richtig angegangen, könnte der Wandel der Produktionsweise sich also sogar positiv auf heute noch strukturschwache Regionen auswirken.

Aus der Vogelperspektive betrachtet gibt es zwei weitere Folgen einer Revolution aus dem Mikrokosmos, die der Landwirtschaft zugutekommen könnten. Wird der Druck auf die Flächen durch die steigende Effizienz vermindert, sinkt theoretisch der Produktionsdruck auf die verbleibende Landwirtschaft.

Momentan nutzen wir bereits so viel Fläche für Landwirtschaft, dass vor allem eine Ausweitung des im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft noch flächenintensiveren Ökolandbaus nicht sinnvoll erscheint. Auch extensive Weidewirtschaft kommt zwar, wie der Ökolandbau, der Biodiversität auf der Fläche selbst zugute, braucht im Gegenzug aber einfach zu viel Fläche für die Produktion von ausreichend Nahrungsmitteln für die immer noch wachsende Weltbevölkerung. Das würde sich ändern, wenn wir einen Teil unserer Lebensmittel mit neuer Fermentation herstellten. Die freiwerdenden Flächen könnten für Renaturierung, aber auch für extensivere Formen von Landwirtschaft genutzt werden.

Ein zweiter positiver Effekt wäre auf die Akzeptanz der Landwirtschaft in der Bevölkerung zu erwarten. Gelingt es, die Tierzahlen deutlich zu reduzieren und gleichzeitig für mehr Tierwohl bei den verbleibenden Beständen zu sorgen, werden viele Menschen der Landwirtschaft wieder mehr abgewinnen können. Zusätzlich könnte auch die zu erwartende Steigerung der Nachhaltigkeit des Ernährungssystems und die Schonung öffentlicher Güter wie Wasser, Umwelt und Klima die Erzeuger und Konsumenten von Lebensmittel wieder miteinander versöhnen.

Auf betrieblicher Ebene gibt es ebenfalls Chancen. Viele Hersteller von neuen, mikrobiell erzeugten Lebensmitteln könnten beispielsweise gezielt auf Futtermittel in Bioqualität setzen, um größere Akzeptanz und bessere Preise zu erzielen. Es werden sehr wahrscheinlich andere Pflanzenkulturen gebraucht als heute, aber Landwirtschaft im Sinne von Ackerbau wird auch mit einer Revolution aus dem Mikrokosmos zumindest auf mittlere Sicht weiterhin gebraucht werden.

Alte Absatzmärkte werden schwinden, neue auf den Plan treten. Statt Tieren müssten vor allem Mikroorganismen gefüttert werden. Auch eine Wiederentdeckung und Weiterentwicklung der traditionellen Fermentation von pflanzlichen Lebensmitteln könnten der Landwirtschaft übrigens zugutekommen. Gemüse wird durch Fermentation nahrhafter, haltbar und lecker – warum diese Veredelung pflanzlicher Lebensmittel nicht direkt auf die Höfe bringen und durch Direktvermarktung ein gutes Zubrot verdienen? Schließlich halten manche es sogar für möglich, Bioreaktoren (die Brautanks, in denen moderne Fermentation abläuft) auf Bauernhöfen zu integrieren und so diesen Verarbeitungsschritt direkt auf den Hof zu holen, statt ihn samt der Wertschöpfung der nachgelagerten Industrie zu überlassen.

Statt also gegen neue, im Sinne der Nachhaltigkeit vielversprechende Entwicklungen, zu sträuben oder gar gegen sie zu lobbyieren, sollte die bestehende Landwirtschaft sie als Chance betrachten, insgesamt nachhaltiger und gesellschaftlich akzeptierter zu wirtschaften. Es gibt also durch eine Weiterentwicklung vom Schlachten zum Brauen einiges zu verlieren, aber noch viel mehr zu gewinnen. Für die Menschheit insgesamt, aber auch für die Landwirtschaft. Zumindest für jene Teile, die zu Veränderung bereit sind.

×

Conclusio

An der ökologischen und klimatischen Grenzen angekommen, steht der Landwirtschaft ein Umbruch bevor, der anders als die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion den Landwirten mehr Autonomie bringen kann – und bei steigender Produktivität innerhalb der planetaren Grenzen bleibt. Der Umstieg auf eine hauptsächlich mikrobielle Nahrungsmittelproduktion löst die Dilemmata der modernen Landwirtschaft, die bisher auf Kosten der Landwirte, des Bodens und der Tiere die Produktivität steigerte. Technologisch spricht nichts gegen eine Umstellung auf moderne Fermentationstechnologie, die notwendigen Veränderungen sind gesellschaftlicher Natur.

Mehr über's Land

Mehr vom Pragmaticus