Die Renaissance des Hütens

Es gibt wieder Hirten in den Alpen. Sara Wintereder ist eine von ihnen und erzählt, welche Herausforderungen es außer Wolf und Wassermangel gibt.

Schafe ziehen mit Hirten einen felsigen Hang in den Alpen entlang. Transhumanz ist selten geworden, ebenso wie die behirtete Herdenführung. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Hirten in den Alpen bzw. die Rolle der Berglandwirtschaft und der Beweidung für den Erhalt von Ökosystemen wie etwa Bergwiesen.
Transhumanz in den Ötztaler Alpen im September 2012. Transhumanz bedeutet, dass die Schafe begleitet von Hirten die Alpen überqueren, in diesem Fall über das Niederjoch. Transhumanz ist ein Immaterielles UN-Weltkulturerbe und ebenso wie die sogenannte gelenkte Herdenführung selten geworden. © Getty Images

Sara Wintereder ist in diesem Jahr Hirtin auf einer Alm in der Schweiz. Im Netzwerk Hirt*innen und Senner*innen setzt sie sich für faire Arbeitsbedingungen ein. Hirte zu sein, ist ein herausfordernder Beruf, keine Folklore, sagt sie. Hier ist ihr Bericht:

„Dieser Sommer ist mein fünfter Almsommer. Zwei Monate lang bin ich mit 200 Schafen auf einer Alm in Graubünden in der Schweiz. Die Art der Behirtung, die ich mache, nennt sich sektorale Beweidung, das heißt, die Schafe beweiden aufeinanderfolgend verschiedene Bereiche der Alm. Die Schafe stammen von sieben unterschiedlichen Höfen, die kooperieren: So kommen Schafe auf die Schafalm, Kühe auf die Kuhalm, Kälber auf die Kälberalm und so weiter.

Die Zukunft der Alpen

Eine anerkannte Hirtenausbildung gibt es in Österreich nicht. Ich selbst habe eine landwirtschaftliche Ausbildung und arbeite im Moment in einem Betrieb, mit dem ich mir ausmachen konnte, diese zwei Monate auf der Alm zu verbringen.

Diese Flexibilität ist selten und ein Grund, wieso es oft schwierig ist, den Hirtenberuf mit jenem im übrigen Jahr gut zu vereinbaren. Wir haben deshalb im April ein Netzwerk gegründet, damit sich Hirten und Senner austauschen können und damit wir mehr Sichtbarkeit für diese Arbeit erreichen. Wir möchten nicht, dass Behirtung eine Art Folklore wird.

Die Hirtin Sara Wintereder vor ihrer Hütte in den Alpen. Sie betreut zweihundert Schafe auf einer Alm und erzählt vom Alltag der Hirten und warum es immer weniger Almen in den Alpen gibt.
Eine Hirtin: Sara Wintereder. © Wintereder

Es ist ein richtiger Beruf, der große Herausforderungen mit sich bringt und sich gerade sehr verändert: Zäune, neue Technologien wie Drohnen zum Beispiel oder die Diskussion über den richtigen Schutz vor Wölfen, Wassermangel und zunehmender Steinschlag sind Themen, die in den letzten Jahren immer relevanter geworden sind.

Wolfsrisse habe ich heuer noch nicht erlebt, ich weiß aber, dass ein Wolf in der Nähe ist. Mit viel Erfahrung, Wissen und Kooperation von Almverantwortlichen und Hirten kann man die Schafe bestmöglich schützen, etwa mit Nachtpferchen, gelenkter Herdenführung oder Herdenschutzhunden, je nach Alm.

Eine Sennerin bin ich heuer nicht. Die Schafe sind dazu da, die Flächen freizuhalten, sie liefern Fleisch und Wolle. In den letzten Jahren wurden vor allem in Österreich einige Almen, die Milch verarbeitet hatten, auf Galtviehalmen umgestellt. Das finde ich schade, weil ich das Käsemachen auf der Alm für eine wirklich tolle Sache halte.

Anders als Milch oder Käse wirft Schafswolle sehr wenig Gewinn ab, derzeit bekommt man für ein Kilo 50 Cent. Für mich ist das Ausdruck eines generellen Problems: Es gibt relativ wenig (materielle) Wertschätzung, dafür aber sehr viel Verklärung, was die Berglandwirtschaft und speziell die Almen betrifft. Vielleicht ist diese Wahrnehmung sogar das größte Problem.“

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Zahlen & Fakten

Hirten, Transhumanz und die Almen

  • Ab etwa 6.500 bis 6.000 vor Chr. gelangten die ersten Bauerngesellschaften in die Alpen und begannen, sie dauerhaft zu besiedeln.
  • Hirten und Hirtinnen spielten eine wichtige Rolle; die Transhumanz (Wanderschafhaltung) war das Vorbild der Almwirtschaft.
  • Die Transhumanz entstand klimabedingt: Im Frühjahr und Herbst stand den Herden ausreichend Futter in den Ebenen südlich der Alpen zur Verfügung. In den trockenen Sommern trieb man sie in höhere Lagen über die Alpen hinweg auf die alpinen Rasen jenseits der Baumgrenze. Transhumanz gibt es ausgehend von Italien und Frankreich heute nur noch als Relikt.
  • Auch die Almen sind ein Produkt des Klimas: Die alpinen Höhenlagen und Hochplateaus jenseits der Waldgrenze eigneten sich als natürliche Weideflächen, die es im sumpfigen Tal nicht gab. Die geringe Fläche musste für den Getreideanbau genutzt werden; das Winterfutter bestand unter anderem aus Laub.
  • In der Selbstversorgerlandwirtschaft war Viehwirtschaft bis weit in das Mittelalter Schaf- und Ziegenhaltung. Die Kuh kam erst ab 1500 peu a peu auf die Alm –  aber nur bis auf mittlere Stufen, wo der Wald zuvor geschlägert worden war.
  • Bedingt durch den enormen Holzbedarf wanderte die Baumgrenze bis zum 19. Jahrhundert um 300 Meter nach unten. Die Almen für die Kühe wurden immer größer.
  • War Behirtung in früheren Jahrhunderten selbstverständlich, so sind heute zum Beispiel in Österreich nur 60 Prozent der Almen behirtet. Der überwiegende Teil der Almen sind Galtviehalmen.

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