Was tun? Diskussion zur Zukunft der Alpen
Vier Experten und das Publikum zeigten beim Pragmaticus Experten-Forum zur Zukunft der Alpen in Innsbruck, wie drängend die Lage ist und wie breit das Spektrum der Lösungen.
Auf den Punkt gebracht
- Andrea Fischer. Ein „Nach dem Klimawandel“ gibt es nicht: Der Gefahr ins Auge sehen und demokratisch zukunftsfähige Prioritäten finden, empfahl die Glaziologin.
- Franz Hörl. Optimierung bei Energieverbrauch und Auslastung: Der Vertreter der Seilbahnwirtschaft propagierte den Ausbau von Kapazitäten.
- Markus Welzl. Aktive Zukunftsgestaltung oder passives Reagieren? Der Mensch sollte sich jetzt fürs Handeln entscheiden, appellierte der Vizepräsident des Alpenvereins.
- Toni Innauer. Wie richtige Entscheidungen treffen? Die Tatsache, dass der Mensch Teil der Natur ist, ist der Wegweiser, mahnte der ehemalige Skispringer.
Noch mehr Skipisten? Gletscherseen zu Speicherseen? Mehr oder weniger Tourismus? Schutz der Natur oder Energieproduktion?
Der Pragmaticus hatte anlässlich des 4. Pragmaticus-Experten Forums zum Thema Die Zukunft der Alpen auf die Sprungschanze Bergisel geladen, um die drängenden Probleme, aber auch Lösungen für diesen einzigartigen Lebensraum zu diskutieren.
Moderiert von Pragmaticus-Chefredakteur Andreas Schnauder diskutierten die Glaziologin Andrea Fischer, Skisprung-Legende, Unternehmer und Sportwissenschaftler Toni Innauer; der Seilbahn-Unternehmer und Abgeordnete zum Nationalrat, Franz Hörl, sowie der Vizepräsident des Alpenvereins, Markus Welzl.
Klima
Die Diskussion begann mit einem Rückblick in die Klimageschichte der Alpen. Als Ötzi, der Mann aus dem Eis, im Frühsommer oder Sommer vor circa 5.300 Jahren vor heute das Tisenjoch in Tirol querte, war dieses zwar schneebedeckt, aber eisfrei. Die Gletscher waren sehr viel kleiner als heute. Warum stellt der heutige Gletscherrückzug dann ein Problem dar?
Wir generieren das Problem erst.
Andrea Fischer, Glaziologin
Erstens, so die Glaziologin Andrea Fischer, befinden wir uns in einer Übergangsphase: „Wir erwarten in Zukunft noch deutlich höhere Temperaturen.“ Und zweitens: Zur Zeit von Ötzi lebten sehr viel weniger Menschen in den Alpen. „Die Alpen sind dicht besiedelt, mit aller Infrastruktur. Wenn die Lawinengefahr steigt, ist das kein Problem für die Gletscher oder für die Alpen, sondern für uns. Wir generieren das Problem erst.“
Heute sind die Alpen gut 1,5 Grad über der mittleren Temperatur des Holozän, das vor etwa 12.000 Jahren begann. Somit haben wir den „Bereich der Erfahrung“ wie Andrea Fischer es formuliert, verlassen. Mit den Entwicklungen, die jetzt passieren, waren Menschen noch nicht konfrontiert.
Der Ort der Veranstaltung war mit Bedacht gewählt: Die Sprungschanze Bergisel in Innsbruck. Als internationale Sportstätte ein Symbol für die Bedeutung der Alpen als touristischem Wirtschaftsfaktor und dicht besiedelten Lebensraum. Neben den 14 Millionen Einwohnern der Alpen suchen jedes Jahr 120 Millionen Touristen Erholung in den Alpen.
Wenn der Aufwand zu groß wird, müssen wir auch Wanderwege aufgeben.
Markus Welzl, Vizepräsident des Österreichischen Alpenvereins
Die Veranstaltung wollte die Möglichkeiten abstecken, die ein anderes Klima diesem Lebens- und Wirtschaftsraum lässt: Was muss sich ändern? Kann alles so bleiben wie es ist?
Gefragt, ob sie den Klimawandel als große Bedrohung für die Alpen sehen, antworten 80 Prozent des Publikums am Bergisel mit „Ja“. Ähnlich hatten auch die Befragten im Rahmen der Pragmaticus-Umfrage geantwortet, dort waren es 70 Prozent gewesen.
Markus Welzl, Vizepräsident des Alpenvereins kann bereits aus Erfahrung abschätzen, wie groß die Veränderungen sind, die auf die Unternehmen, die Touristen und die Bevölkerung der Alpen zukommt. Er berichtet von den Schäden an Wanderwegen und Hütten, die etwa aufgrund tauenden Permafrosts auf instabilem Grund stehen.
„Die Zahlungen aus dem Katastrophenfonds, den der Alpenverein zur Erhaltung des Wegenetzes geschaffen hat, haben sich in den letzten zehn Jahren verzehnfacht“, sagt er. „Wenn der Aufwand zu groß wird, müssen wir auch Wanderwege aufgeben.“
Die Emissionen müssten dringend sinken, um die Auswirkungen des Klimawandels noch einzudämmen. Er appelliert an Gesellschaft und Bevölkerung sich zu engagieren: „Wir entscheiden jetzt, ob wir nur Passagier sind bei den Entwicklungen. Wenn wir nichts tun, wird die Physik die Entscheidungen für uns treffen.“
Energie
Von nichts tun könne keine Rede sein, replizierte Franz Hörl, Vertreter der Seilbahnwirtschaft in Österreich. Der Tourismus etwa gerade zu Unrecht in die Kritik, denn der ökologische Fußabdruck, etwa beim Energieverbrauch, sei viel kleiner als angenommen.
Es wird keine Erweiterung von Skigebieten geben.
Franz Hörl, Vertreter der Seilbahnwirtschaft
Für einige im Publikum hörbar überraschend sprach sich Hörl gegen die Erweiterung von Skigebieten aus. Allerdings: Kapazitätsausweitungen seien notwendig, ein Rückbau, um Flächen für Natur freizumachen, sei derzeit nicht notwendig, so Hörl. „Es wird keine Erweiterungen von Skigebieten geben, aber es gibt keinen Grund, Skigebiete, die funktionieren, aufzugeben. Da ist noch viel möglich.“
Einer der Vorschläge Hörls: Windkraftanlagen auf oder bei Skigebieten. Da diese Flächen ohnedies bereits erschlossen seien und für die Beschneiung Strom gebraucht wird, läge in der Windkraft auf der Piste eine Chance für einen energieautarken und klimaneutralen Wintertourismus. Einer der Hintergedanken Hörls: Sollte es einmal Windkraftanlagen auf den Skipisten geben, wäre auch die Herstellung von Wasserstoff theoretisch möglich, eine weitere Möglichkeit, Energie zu speichern.
Die Frage, ob es in Ordnung ist, was wir da tun, die stellt sich uns nicht.
Toni Innauer, Skisprung-Legende und Sportwissenschaftler
Die Alpen als unendlicher Energielieferant? Als ehemaliger Leistungssportler thematisierte Toni Innauer den Tunnelblick, der mit der Fokussierung auf ein Ziel oft einhergeht: „Wenn man mittendrin steckt, stellen sich die Implikationen des eigenen Tuns nicht. So wie man im Sport die Verletzungsstatistiken ignoriert, so blenden wir jetzt die Umweltschäden aus. Die Frage, ob es in Ordnung ist, was wir da tun, die stellt sich uns nicht.“
Innauers Beispiel: Die Wasserkraft. Obgleich bereits 97 Prozent aller Flüsse in Österreich verbaut sind und – wie die Enns – oft ihre ökologischen Grenzen schon überschritten haben, werde noch über einen Ausbau der Wasserkraft nachgedacht. Der passionierte Fliegenfischer will eine klare Grenze ziehen: „Naturraum ist unbezahlbar. Wir sind Teil der Natur, aber weit davon entfernt, dies anzuerkennen.“
Hörl plädierte für einen weiteren Ausbau von Wasserkraft als eine natürliche Ressource Tirols: „Wir haben ja die Berge, wir haben ja das Wasser.“ Ein Thema, das vom Publikum in der Abstimmung zwar auch Zustimmung fand, eine Mehrheit sprach sich dafür aus, bei der Diskussion allerdings gab es auch Kritik.
Die Zukunft der Alpen
- Gletscher (Glaziologin Andrea Fischer)
- Alpine Vegetation (Ökologe Harald Pauli)
- Steinböcke, Murmeltiere, Gämsen (Wildtier-Biologe Walter Arnold)
- Transit und Verkehr (Verkehrsplaner Stephan Tischler)
- Wasserkraft (Wasserbau-Experte Robert Boes)
- Wandern, Skifahren, Mountainbiken (Tourismusforscher Mike Peters)
- Skipisten auf Gletschern (Benjamin Stern, Alpenverein)
- Berglandwirtschaft (Soziologin Rike Stotten)
- Alpenbevölkerung (Demographie-Experte Rainer Münz)
- Die Hirten (Hirtin Sara Wintereder)
- Die Bergwiesen (Landwirt Florian Kogseder)
- Die Dörfer (Wissenschaftsjournalist Rolf Schlenker)
- Essay (Bergführerin Ana Zirner)
- Podcast: Kultur der Alpen (Geograph Werner Bätzing)
- Podcast: Wege und Hütten (Wolfgang Schnabl, Alpenverein)
- Podcast: Klimawandel (Meteorologe Andreas Jäger)
- Podcast: Wandern (Bergführerin Ana Zirner)
- Umfrage: Was bringt die Alpen in Gefahr?
- Zurück zur Übersicht: Unsere Alpen in Not
Andreas Schiechtl, Direktor der AlpenBank sprach sich grundsätzlich dafür aus, aber: „Auch wenn wir Pumpspeicher brauchen werden, ob zum Beispiel das Platzertal der richtige Ort ist, weiß ich nicht. Wir brauchen jedenfalls einen Dialog darüber, im Kaunertal, im Ötztal. Die letzten unverbauten Flüsse sollten wir schützen. Und wir sollten anfangen, Energie erst gar nicht zu verbrauchen. Das beginnt auch beim Verkehr, denn es sind nicht allein die Touristen, das sind schon auch wir selbst.“
Wird tatsächlich das Klima gegen die Natur ausgespielt? Andrea Fischer regte auf diese Frage Andreas Schnauders an, die Frage umzudrehen: Was fehle, sei eine demokratisch geführte Debatte über Werte. Welchen Stellenwert hat Natur? Schätzen wir ihren Wert – unabhängig von einer Bewertung ökologischer Leistungen – höher ein als andere Güter? Sind wir bereit, zu verzichten?
„Alle Standpunkte haben ihre Berechtigung und natürlich kann man auch – zu Recht – fordern, dass Energie eingespart werden soll. Doch als Bevölkerung müssen wir das mittragen, das heißt, wir müssen die Idee forcieren, dass sich alle an diesem Prozess beteiligen. Letztlich müssen wir alle gemeinsam darüber entscheiden, was uns was wert ist.“
Der Tourismus
Georg Willi, Vizebürgermeister der Stadt Innsbruck, griff das Thema auf: Die Herausforderungen, die mit dem Klimawandel kommen, seien auch eine Chance, loszulassen, was nicht mehr funktioniert. Wenn die Produktion von künstlichem Schnee zu teuer wird und zuviel Wasser braucht, kann umgedacht werden: „Vielleicht ist es ein Tourismus, der von der Sonne lebt, die die Alpen zu bieten haben, wenn in anderen Regionen noch der Nebel hängt.“
Der Sommer sei traditionell die touristische Hauptsaison in den Alpen gewesen, erinnerte Karin Seiler, Geschäftsführerin der Tirol Werbung und Präsidentin von AlpNet. Bereits jetzt sei die Sommersaison deutlich länger geworden. „Wir sollten eigentlich aufhören in Saisonen zu denken, Tirol ist eine Ganzjahresdestination geworden.“
Weil im Zusammenhang mit dem Klimawandel oft der Skitourismus zum Hauptfokus wird, gerate aus dem Blick, was die Alpen neben den Bergen und Gipfeln noch ausmacht: die Täler. „Das ist der Lebensraum von vielen Menschen und auch dort brauchen wir lebenswerte Verhältnisse. Faktoren wie hohe Mieten zum Beispiel führen zu Stadtflucht, was wiederum zu Zersiedelung führt und das Pendeln verstärkt“, so Andrea Fischer. Aspekte, die zu selten thematisiert würden.
Die eine Maßnahme
Wenn die Experten des Podiums nur eine einzige Maßnahme umsetzen könnten, um die Alpen zu retten und Ökologie und Ökonomie wieder in Einklang zu bringen, welche Maßnahme wäre das? wollte Andreas Schnauder, Moderator der Diskussion, zum Abschluss wissen.
Andrea Fischer: „Wir müssen investieren. Damit meine ich nicht nur Geld, sondern auch Aufmerksamkeit und Zeit, damit wir demokratisch Lösungen finden, die alle mittragen. Wir müssen uns entscheiden, was uns wichtig ist.“
Franz Hörl: „Die Ressourcen die wir haben, nutzen: Wasserkraft, Wind, Sonne; das heißt auch Energie speichern und Wasserstoff.“
Toni Innauer: „Wir müssen raus aus dieser Fokussierung auf das quantitative Wachstum und lernen, auf eine andere Art zu wachsen, nämlich qualitativ. Nicht mehr von allem, sondern anders wachsen.“
Markus Welzl: „Die Natur ist der Schatz, von dem wir leben. Wenn wir das verstehen, kommen wir positiv weiter.“
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