Skigebiete: Gründe für den Ausbau-Stopp

Ein Ausbau von Gletscherskigebieten würde einzigartige Natur kurzfristigen Interessen opfern, so Naturschutz-Experte Benjamin Stern vom Österreichischen Alpenverein.

Der Gepatschferner. Es ist die einzige zusammenhängende Eisfläche in den Ostalpen, die noch in einem natürlichen Zustand ist. Die Erschließung ist bereits geplant und stößt auf Widerstand in der Bevölkerung. (c) Getty Images

Alpine Freiflächen sind selten geworden. Das Kaunertal und das Platzertal in den Ötztaler Alpen sind gleich auf zweifache Weise bedroht: Durch den Ausbau der Wasserkraft und durch die Erschließung des Gepatschferners als ein neues Gletscherskigebiet. Der Widerstand gegen beide Projekte ist in der Bevölkerung groß. Benjamin Stern ist beim Österreichischen Alpenverein für die Bereiche Raumplanung und Naturschutz zuständig und erklärt im Interview, warum der Alpenverein die Erschließung von neuen Skigebieten ablehnt (wie im Übrigen auch die Mehrheit der Befragten in unserer Umfrage zum Thema Alpen).

Die Zukunft der Alpen

Gletscher wie der Gepatschferner sollen für Skipisten neu erschlossen werden. Wie stehen Sie dazu?

Benjamin Stern: Gletscherskigebiete sind dauerhafte Großbaustellen, da die Flächen wegen der Schmelze nicht mehr für Pisten geeignet sind. Man muss sie aufwendig planieren, Felsen, Geröll und Geschiebe abtragen usw. Erschließungs- und Erweiterungsmaßnahmen, wie sie konkret etwa im Pitztal am Linken Fernerkogel und im Kaunertal am Gepatschferner geplant sind, bedeuten, dass neben den Pisten, Liften und Straßen auch solche Hochgebirgsbaustellen mit ihrer Infrastruktur dauerhaft in Bereiche vordringen, die jetzt noch naturbelassen sind.

Ein einzigartiger Naturraum würde so verloren gehen. Als Alpenverein fordern wir daher die Wiederherstellung des absoluten Gletscherschutzes, der sich auch auf die frei werdenden Vorfelder und die Moränen erstreckt. Das entspricht auch dem Willen der lokalen Bevölkerung, wie Befragungen zeigen.

Sind die rechtlichen Bedingungen geeignet, um die Erschließung neuer Gebiete zu verhindern?

Am Beispiel Tirol lässt sich gut zeigen, wie widersprüchlich die Situation ist. Laut Tiroler Naturschutzgesetz ist jegliche Beeinträchtigung der Gletscher inklusive Moränen und Vorfelder verboten. Es gilt ein absoluter Gletscherschutz. Zwei Verordnungen torpedieren dies: das Gletscherschutzprogramm und das Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm. Das sogenannte Gletscherschutzprogramm, das 2006 von der Tiroler Landesregierung geschaffen wurde, klingt nach Schutz, nimmt aber tatsächlich Gletscherbereiche vom Schutz aus.

Es braucht definierte Ausbaugrenzen, die sich am Naturraum orientieren und nicht willkürlich an den Bedürfnissen des Skitourismus.

Zahlreiche Novellen des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms wiederum brachten Verschlechterungen, indem sie ihr eigenes Verbot von Neuerschließungen durch zahlreiche Ausnahmeregelungen verwässerten. Es wäre dringlich, diese wieder aufzuheben. Zum Gletscherschutz gehört zudem der Schutz der Gletschervorfelder. Diese Urlandschaften, die die Gletscher freigeben, sind wertvoll, nicht nur der Eiskörper. Es braucht deshalb definierte Ausbaugrenzen, die sich am Naturraum orientieren und nicht willkürlich an den Bedürfnissen des Skitourismus.

Ein oft gehörtes Argument in diesem Zusammenhang ist, dass der Skitourismus wirtschaftlich notwendig und der Ausbau daher zwingend ist. Stimmt das nicht?

Allein in Tirol gibt es bereits 90 Skigebiete mit 3.000 Pistenkilometern und rund 900 Liftanlagen. Es geht nicht darum, diesen Skitourismus abzuschaffen, sondern darum, ein diversifiziertes Angebot zu schaffen, um nicht in der Abhängigkeit vom anlagenbezogenen Skitourismus zu verharren, denn diese Art des Skitourismus wird mit fortschreitender Erwärmung immer prekärer und teurer. Der Instandhaltungsaufwand ist enorm.

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Zahlen & Fakten

Eine Gruppe von Skifahrern geht mit geschulterten Ski durch das tiefverschneite Sankt Anton am Arlberg. Das Bild illustriert einen Beitrag über Skigebiete und die Gründe, keine neuen Skigebiete zu erschließen.
Sankt Anton am Arlberg 1955. © Getty Images

Gletscherskigebiete in Österreich

  • Dachsteingletscher: Das Skigebiet in Oberösterreich und der Steiermark wurde 1969 eröffnet und musste im Winter 2022/23 den Betrieb einstellen, weil die Gletscherschmelze zu stark war.
  • Stubaier Gletscher: Eröffnet 1973, umfasst das Skigebiet gleich fünf Gletscher; den Daunferner, den Eisjochferner, den Gaißkarferner, den Fernauferner und den Windachferner,
  • Kaunertaler Gletscher: Nicht, dass das Kaunertal unberührt wäre. Das Skigebiet wurde 1980 erschlossen.
  • Pitztaler Gletscher: Das Skigebiet wurde 1983 eröffnet und umfasst den Mittelbergferner sowie das Skigebiet Rifflsee. Erweiterungen sind geplant. In der Vergangenheit wurden Erweiterungen auch gegen bestehende Gesetze umgesetzt.
  • Mölltaler Gletscher: Eigentlich müsste das Skigebiet nach dem ehemaligen Gletscher Wurtenkees heißen. Das Skigebiet wurde dort 1983 eröffnet. Es wird unterirdisch mit der längsten unterirdischen Standseilbahn erreicht.

Nicht nur der Gletscherrückgang, auch der auftauende Permafrost bereitet Probleme, wenn etwa Bergstationen nicht mehr stabil sind und Ähnliches. Es ist unbestritten, dass der Tourismus positive Auswirkungen hat, zugleich muss man kritisch bewerten, was die Begleiterscheinungen sind.

Es braucht dringend Ausbaugrenzen für Skigebiete: Großflächige Skigebietserweiterungen, die nur mit enormem Aufwand betrieben werden können und die nicht nur angesichts der Klimasituation unsinnig sind, stehen im Widerspruch zu dem nachhaltigen Tourismus, den man eigentlich braucht. Dieser kann nur gelingen, wenn es intakte Natur- und Kulturräume gibt, die für Wanderer, Bergsteiger und Erholungssuchende attraktiv sind.

Über Benjamin Stern

Benjamin Stern vom Österreichischen Alpenverein mit einer Kollegin beim Klettern. Im Interview spricht Benjamin Stern darüber, warum er den Ausbau von Skigebieten auf Gletschern fr ein kurzfristiges Denken hält, das dem Tourismus nicht weiterhilft.
Benjamin Stern 2021 beim Klettern in den österreichischen Alpen. © Max Dräger

Benjamin Stern ist Mitarbeiter der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins.

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