Es wird eng, und auch wieder nicht

Die Alpen haben bereits viele Einwohner, und es kommt noch dichter: Mehr Menschen, mehr Verkehr, mehr Infrastruktur. Was hat diese Entwicklung angestoßen?

Der Pragser Wildsee im August 2023. Besucherströme schieben sich entlang des Sees, dessen klares Wasser in der Sonne glitzert. Der Pragser Wildsee in Südtirol ist ein touristischer Hotspot. Das Bild ist Teil eines Beitrags, der sich mit der Bevölkerungsentwicklung in den Alpen beschäftigt.
Pragser Wildsee in Südtirol im August 2023: Wo viele Touristen, da auch viel Bevölkerung, Infrastruktur und Verkehr. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Hintergrund. Die Bevölkerungsentwicklung in den Alpen lässt sich geschichtlich herleiten. Zu den weniger bekannten Treibern zählen die Pässe und der Transit.
  • Geographie. Die vermeintlich trennenden Täler und Gebirgszüge sind die geheime Kraft hinter dem wirtschaftlichen Erfolg der Alpen und gestalten ihre Demographie.
  • Hot or not at all. Die aktuellen demographischen Hotspots der Alpen werden noch „heißer“ werden, andere Regionen werden drastisch Einwohner verlieren.
  • König Klima. Letztlich wird das Klima mehr als bisher darüber entscheiden, welche Siedlungsräume bestehen bleiben, Stichwort Permafrost.

Am Ende des Mittelalters lebten im Alpenraum rund drei Millionen Menschen, um 1900 waren es etwa acht Millionen, heute sind es über 14 Millionen. Damit sind die Alpen trotz ihrer Geographie eine relativ dicht besiedelte Region – ganz im Unterschied zu allen anderen Gebirgszügen Europas. Denn dort leben immer weniger Menschen.

Die Zukunft der Alpen

Der Bevölkerungszuwachs vom Mittelalter bis in die Gegenwart zeigt: die Alpen boten und bieten vielen Menschen eine ausreichende Existenzgrundlage. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war mehr als die Hälfte der Alpenbewohner in der Landwirtschaft tätig. Tierzucht und Milchwirtschaft prägten über Jahrhunderte das Leben der Bergbauern.  

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Zahlen & Fakten

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Daneben gab es in den Alpen eine bis in die Bronzezeit zurückreichende Tradition des Bergbaus. Dieser verhalf in der Vergangenheit einigen Regionen zu erheblichem Wohlstand. Exemplarisch dafür stehen der Salzbergbau in Hallstadt und in anderen Teilen des Salzkammerguts, aber auch die imposante gotische Kathedrale in Heiligenblut, deren Errichtung der Abbau des Tauerngolds finanzierte.  

Der steirische Erzberg ernährte über Jahrhunderte eine ganze Region und ermöglichte zugleich das Entstehen der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie. Städte wie Hall/Tirol und Kitzbühel wurden durch den Abbau von Silber reich.

1. Die Alpen werden staatlich

Eine andere sehr einträgliche Quelle regelmäßiger Einnahmen bot der Alpentransit. Wer ihn kontrollierte, konnten Maut und Zölle auf alle aus den Alpen exportierte Güter – wie Salz, Eisen und Hartkäse – erheben; aber auch auf Luxusgüter und Gewürze, die aus Orient und Italien quer über die Alpen in den Norden und Westen Europas transportiert wurden. Mit Dienstleistungen für Händler, Pilger und andere Reisende ließ sich ebenfalls Geld verdienen.

So wurden unwirtliche Pässe im Hochgebirge zu strategischen Assets. Wer die Zugänge sowohl von Süden als auch von Norden kontrollierte, musste die Einnahmen mit niemandem teilen. Deshalb gab es über Jahrhunderte gleich mehrere europäischer Kleinstaaten, für die der Alpenhauptkamm nicht die Staatsgrenze, sondern zumindest geografisch das Zentrum ihres Herrschaftsgebiets bildete.

Der größte dieser Staaten war Piemont-Savoyen, das vom Genfersee über den Mont Blanc bis an die Ligurischen Alpen und bis Nizza reichte. Damit lagen der Kleine St. Bernhard, der Mont Cenis-Pass und der Col di Tenda auf savoyischem Staatsgebiet. Im benachbarten Oberwallis reichte der Einflussbereich der dreizehn verbündeten Gemeinden vom Lötschberg und vom Furka-Pass bis an die Südflanke des Simplon.

Die Innerschweizer Kantone Uri Schwyz und Unterwalden eroberten ein größeres Gebiet südlich der Alpen – das heutige Tessin – als Untertanen-Land und wurden damit Herren auf beiden Seiten des Gotthard, der als wichtigster Übergang der Westalpen gilt. Die drei Gemeindebünde, aus denen später Graubünden entstand, sicherten sich die vollständige Kontrolle gleich über ein halbes Dutzend prominenter Alpenpässe: San Bernardino, Julier, Albula, Maloja, Bernina und Fuorn/Ofenpass.

Weiter östlich konsolidierten die Grafen von Tirol und später die Habsburger ein Herrschaftsgebiet, das von Kufstein bis Salurn (und schließlich bis kurz vor Verona) reichte. Nicht zufällig stand der Brenner im Zentrum des Landes Tirol. Die Erzbischöfe von Salzburg mussten sich mit dem weniger wichtigen Tauernpass begnügen, aber auch sie kontrollierten beide Seiten dieses Alpenübergangs.

An den schmucken Handels- und Residenzstädten von Chambéry und Grenoble über Sion, Brig und Chur bis Trient, Bozen, Innsbruck und Salzburg lässt sich ablesen, wieviel Wohlstand der Export von Produkten aus den Alpen und der der Fernhandel über die Alpenpässe in die Bergregion brachte. Gegen das ökonomische Kalkül und die lokalen wirtschaftlichen Interessen setzte sich im 19. und 20. Jahrhundert eine militärische und geopolitische Logik durch.

Die Staatsgrenzen wurden auf die Passhöhen verschoben. Savoyen und Nizza gingen 1860 an Frankreich. Piemont wurde ohne die Landesteile jenseits des Alpenhauptkamms zum Motor der nationalen Einigung Italiens, das schließlich 1918/19 bis zum Brenner und an die Karnischen Alpen expandierte. Nur in der Schweiz hat sich die historisch einst so einträgliche Herrschaft über jeweils beide Seiten der Alpenpässe erhalten.

2. Die Alpen werden schön

Seit dem späten 18. Jahrhundert änderte sich das Image der Alpen. Gipfel und Schluchten erschienen nicht mehr in erster Linie als beschwerlich, bedrohlich oder verflucht und vom Teufel bewohnt, sondern wurden zu Sehnsuchtsorten von Adel und städtischem Bürgertum – nicht zuletzt der wohlhabenden Engländer. Deutlich zeigte sich dies im Wettlauf um Erstbesteigungen von Alpengipfeln.

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Zahlen & Fakten

Eine Gruppe von Männern und Frauen spaziert mit Sonnenschirmen und Stöcken ausgestattet auf einem Gletscher. Die Frauen tragen lange Kleider und die Männer Hut und Gehrock. Das Foto stammt aus dem 19. Jahrhundert und zeigt eine Form des frühen Alpentourismus.
Ein Gletscherspaziergang auf dem Mer de Glace bei Chamonix im 19. Jahrhundert. Diese Gäste mussten noch mit Lastesel auf knapp 2.000 Meter anreisen. Am 9. August 1908 jedoch wurde die erste Bahnstation beim Chamonix-Gletscher eröffnet. © Getty Images

Meilensteine des Alpentourismus

  • Erschließung: Eisen- und Zahnradbahnen ­erschließen ab 1880 die Berge für den Tourismus. Die betuchten Gäste der Belle Époque erschaffen rund 100 Touristenorte, vor allem in der Schweiz. Der neu gegründete Alpen­verein baut Wanderwege und Hütten.
  • Zwei Saisonen: Von der Zwischenkriegszeit bis in die 1950er-Jahre erobert erstmals die Mittelschicht die Berge, und der Winter wird zur zweiten touristischen ­Saison. Seilbahnen und Skilifte ­erschließen die Höhen, ­übernachtet wird nicht nur im ­Hotel, sondern in Privat­zimmern und Pensionen.
  • Boom und … Die Jahre 1955 bis 1983 ­beschreibt der Kulturgeograf Werner Bätzing als „Gold­gräber­zeit“. Sie bringt den Wintermassentourismus, die Erfindung des monothematischen „Skiorts“ und Groß­anlagen: Skilifte, Pisten, Apartmentkomplexe und Resorts.
  • … Bust mit Fun: Globalisierung und Billigflieger bremsen ab den 1990ern das Wachstum, aber das ­Mountainbike mildert diese Phase der Stagnation im ­Alpentourismus etwas ab.

Der Mont Blanc, lange Zeit von den Einheimischen nur als „Montagne Maudite“ („Verfluchter Berg“) bezeichnet, wurde 1786 erstmals erklommen, nachdem der berühmte Genfer Naturforscher Horace-Bénédict de Saussure schon 1760 eine Belohnung dafür ausgelobt hatte. 1790 bestieg de Saussure dann selbst den höchsten Berg Europas. Erstbesteiger des Großglockners im Jahr 1800 war Graf Franz Xaver von Salm-Reifferscheidt, damals Bischof der Diözese Gurk.

Das Wettrennen ums Matterhorn entschied der Londoner Buchillustrator Edward Whymper für sich. Dass beim Abstieg sechs seiner Mitbesteiger, darunter der Priester Charles Hudson sowie Lord Francis Douglas in den Tod stürzten, war Gesprächsthema in halb Europa. Queen Victoria forderte sogar, englischen Adeligen zukünftig das Besteigen solcher Gipfel zu verbieten.

Damit war das Interesse endgültig geweckt. Eine wachsende Zahl wohlhabender Menschen wollte im Sommer in die Berge. Zu ihrer Beherbergung entstanden luxuriöse Hotels: vom Panhans am Semmering über das Grand Hôtel de l’Europe in Gastein bis zum Waldhaus in Sils und zum Palace Hotel in Gstaad. Manche, wie das bereits 1853 eröffnete Riffelhaus unterhalb des Gornergrats, waren anfangs nur zu Fuß oder mit dem Maulesel zu erreichen.

3. Die Alpen kommen auf die Schiene

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Alpen zunehmend durch Eisenbahn-Linien erschlossen. Diese folgten vielfach den historischen Handelsrouten. Ein Teil der einst gefürchteten Alpenpässe wurde dabei untertunnelt; darunter: Arlberg, Gotthard, Lötschberg, Simplon und Mont-Cenis. Nur über dem Tauerntunnel von Böckstein nach Mallnitz und dem Karawankentunnel nach Jesenice gab es davor bloß Säumerpfade.

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Zahlen & Fakten

Eine Frau steht auf einem schmalen Weg in alpiner Landschaft neben neben ihrem Auto. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Verkehr in den Alpen.
In der Nähe von Beatenberg, Interlaken, in den 1940er Jahren. Fahrerin und Auto können gelassen im Weg sein, denn wie die Plakette an der Stoßstange preisgibt, sind sie Mitglied der britischen Automobile Association (AA), die im Fall des Falles für Bußgelder aufkommt, denn dafür wurde sie schon 1905 gegründet. © Getty Images

Die Nadelöhre der Alpen (Auswahl)

  • Rheintalstrecke: 2041, 30 Jahre später als geplant, soll der viergleisige Ausbau der vor 170 Jahren eröffneten Zugstrecke zwischen Karlsruhe und Basel fertig sein. Es ist mit 300 Zügen täglich eine der am meisten frequentierten Bahnstrecken Europas und soll mehr Güterverkehr im Korridor Rotterdam – Genua (Containerhäfen) auf die Schiene bringen.
  • Brenner: Die vierspurige Brennerautobahn wurde 1959 bis 1975 erbaut. 2019 querten laut Wikipedia 16,83 Millionen PKW und 2,77 Millionen LKW die Alpen auf diesem Wege. Der 64 Kilometer lange Brennerbasistunnel wird frühestens 2032 Entlastung bringen, seit 2008 wird daran gebaut. Aber: Ein Güterzug ersetzt 40 LKW.
  • Gotthardtunnel: 2016 eröffnet, erhält der Basistunnel unter dem Gotthard-Pass eine zweite Röhre, die 2030 fertiggestellt sein soll. Der Gotthardtunnel ist der dritte Basistunnel der Schweiz neben Lötschberg und Ceneri.
  • 2050: Sollte es nicht gelingen, mehr Güterlast auf die Schiene zu bringen, könnten die Belastungen in 26 Jahren erheblich sein. Das Forschungsinstitut Infra hält eine Zunahme des alpenquerenden Güterverkehrs um 89 Prozent für möglich.

Hinzu kamen Bergbahnen, die ausschließlich touristischen Zwecken dienten. Den Anfang machte die Rhätische Bahn, die seit 1889 mit dem ersten Streckenabschnitt nach Klosters eröffnet wurde. Seit 1891 ist Zermatt mit dem Zug erreichbar. Im Jahr darauf beförderte die Bahn bereits 38.000 Personen in das damals noch ziemlich kleine Bergdorf. 1893 eröffnete die Bahn auf den Schafberg. Seit 1898 erreicht man mit der Bahn den Gornergrat und seit 1912 auch das Jungfraujoch.

Mit der Eisenbahn-Infrastruktur war eine erste Grundlage für den alpinen Massentourismus geschaffen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts kamen Bergstraßen – zum Beispiel 1935 die Großglockner Hochalpen-Straße zwischen Bruck-Fusch und Heiligenblut – hinzu, die eine individuelle Anreise mit dem eigenen Auto ermöglichten. Der Tourismus veränderte die ökonomischen Verhältnisse in den Alpen. Bergbauern wurden haupt- oder nebenberuflich zu Bergführern, Kutschern oder Eisenbahnern. Sie vermieteten Privatzimmer, wurden Gastwirte und Hoteliers.

4. Die Alpen erfinden die Saisonen

Anfangs ging es dabei nur um die Sommersaison. Viele Bergbahnen verkehrten bloß von Mai bis Oktober. Auf etlichen Pass-Straßen gab (und gibt es zum Teil bis heute) eine Wintersperre. Eine Zeitlang stand der Sommertourismus in einer gewissen Konkurrenz zur alpinen Landwirtschaft, weil beides gleichzeitig die Arbeitskraft der Einheimischen erforderte.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert reisten Adel und Bürgertum im Winter gerne ans Meer: zum Beispiel an die Côte d’Azur, an die italienische Riviera, nach Venedig oder nach Abbazia (heute Opatija). Doch im Laufe des 20. Jahrhunderts gewann der Wintersport an Bedeutung.

Damit verlagerte sich das Reisegeschehen immer mehr in die Alpen. Skigebiete wurden zu den wichtigsten Tourismus-Destinationen. Viele alpine Regionen machten schließlich im Winter mehr Umsatz als im Sommer, sobald sie die Umstellung auf den Zwei-Saisonen-Betrieb geschafft hatten. An anderen Orten entstanden rein auf Winterbetrieb ausgerichtete Skigebiete und Hoteldörfer aus der Retorte, ohne dass es an dem Ort davor eine historisch gewachsene Siedlung gegeben hätte. La Plagne und Les Arcs in den Savoyer Alpen sind dafür klassische Beispiele. Aber auch Zürs ist eigentlich nur eine Ansammlung von Hotels, die im Sommer leer stehen.

Mit dem Ausbau von Urlaubsorten zu Wintersport-Destinationen endete auch die Idee, beim Urlaub in den Alpen der „unberührten Natur“ zu begegnen. Erfolgreiche Tourismus-Orte werben stattdessen ganz offen mit Pistenkilometern, Ski-Schaukeln zwischen mehreren Skigebieten, ganz modernen Seilbahnen und Liften, die eine große Zahl von Personen rasch in größere Höhen befördern. Aber sie werben diskret auch mit Schneesicherheit durch künstliche Beschneiung.

Und auf den großen Transit-Achsen quer über die Alpen sowie in dichter besiedelten Alpentälern kann von „Natur“ ohnedies keine Rede mehr sein. Hier dominieren in der Regel Straßen und Autobahnen, Schienenstränge und Hochspannungsleitungen. Siedlungen verschmelzen zu Bandstädten. Und der Alpentransit – längst von Luxusgütern auf Waren aller Art ausgedehnt – ist heute zwar ein zentraler Bestandteil der ökonomischen Integration Europas, aber er wird von den Einheimischen längst nicht mehr als Chance, sondern bloß als Belastung wahrgenommen.

5. Die Alpen erfinden die Landschaft

Im Lauf des 20. Jahrhunderts schrumpft die Zahl der Menschen, die sich in den Alpen selbst versorgten oder mit dem Verkauf von Getreide, Fleisch, Milch, Käse, Obst und Wein ihren Lebensunterhalt verdienen. Einst war es die große Mehrheit. Heute gibt es immer weniger Bäuerinnen und Bauern, die – gestützt auf Subventionen der EU und der jeweiligen Nationalstaaten – in den Alpen Ackerbau und Viehzucht betreiben. Wo die Tourismus-Industrie boomt, lässt sich auf andere Weise leichter und schneller Geld verdienen. Und wo viele Menschen ihre Freizeit verbringen wollen, können Einheimische mit Grundstücksverkäufen rasch reich werden.

Die wenigen verbleibenden Bäuerinnen und Bauern sind in Tourismus-Regionen weniger als Landwirte, sondern als Landschaftsgärtner gefragt. Denn die Almwirtschaft verhindert, dass Bergwiesen mit Büschen und Bäumen zuwachsen. Aus ökologischer Sicht wäre das zwar kein Problem, aber es würde das vertraute Bild jener Landschaft verändern, welches die Touristen beim nächsten Besuch gerne wiedererkennen.

Einige Regionen bleiben zurück

Wo es hingegen wenig oder keinen Tourismus gibt, schrumpft die Bevölkerung, weil Landwirtschaft und Viehzucht in alpinen Regionen kaum noch eine Rolle spielen und alternative Arbeitsplätze vor Ort nicht existieren. Schrumpfende Einwohnerzahlen gibt es in etlichen alpinen Gemeinden Savoyens und des Piemont, der Innerschweiz, Graubündens und der nordöstlichen Lombardei. Einen Bevölkerungsrückgang gibt es auch im gesamten Norden Friauls, im Westen Sloweniens, in ganz Osttirol, im Lungau sowie in weiten Teilen Kärntens und der Steiermark.

An vielen Orten ist dieser Prozess irreversibel. Denn mit der Bevölkerung verschwindet auch die Infrastruktur: Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Nahversorger. Das macht es selbst für digitale Nomaden mühsam, sich an solchen Orten gegen den Trend anzusiedeln. Wo es an zahlenden Nutzern mangelt, gibt es weder schnelles noch langsames Internet.

Andere Regionen boomen

Ganz andere Probleme haben boomende Alpenregionen. Solche Orte leben zwar von den Touristen, manche werden aber zugleich von ihnen überrannt. Hallstadt ist dafür ein klassisches Beispiel. Aber dies gilt im Sommer genauso für die Innenstadt von Salzburg, in kleinerer Dimension auch für die Seiseralm oder für den Hörnligrat aufs Matterhorn.

Meist wird Wohnraum knapp und Bauland teuer, sobald kaufkräftige Stadtbewohner an attraktiven Orten ihren Zweitwohnsitz errichten oder dort ganzjährig hinziehen wollen. Viele junge Einheimische können sich in dieser Konkurrenzsituation keine eigene Wohnung leisten oder kein Haus bauen. Auch wenn Einheimische lieber kurzfristig an Touristen statt langfristig an Menschen aus der eigenen Region vermieten, bewirkt dies eine Verknappung des Wohnraums. Das bedeutet: junge Leute müssen unter Umständen aus ihrem touristisch besonders attraktiven Heimatdorf wegziehen.

Gelegentlich formiert sich dagegen Widerstand von politischer Seite. Manche Gemeinden versuchen, die Nutzung von Wohnraum als Zweitwohnsitz zu verbieten. Andere verlangen, dass neu errichtete Wohnungen einen Teil des Jahres zur Vermietung an Touristen offenstehen müssen, wenn dort niemand seinen Hauptwohnsitz hat.

Dennoch gibt es in vielen attraktiven Tourismus-Destinationen außerhalb der Saison viele leerstehende Häuser und Wohnungen. Eine allfällige Leerstands-Abgabe schreckt die wohlhabenden Besitzerinnen und Besitzer aus der Stadt in der Regel nicht.

Wie geht es weiter?

In den kommenden Jahren werden sowohl der Klimawandel als auch die demografische Entwicklung den Alpenraum erneut verändern. Wenn es wärmer wird, liegt in tieferen Lagen kaum noch Schnee. Mehrere Skigebiete wurden bereits geschlossen. Andere werden folgen.

Wieviele Jahre das Eislaufen am Kärntner Weissensee es noch möglich sein wird, ist unklar. 2024 endete die Saison am Eis sieben Wochen vor den üblichen Terminen. Zugleich verändern zunehmende Hitze und Trockenheit die Wahl der Reiseziele im Sommer. Hotels und Privatquartiere in den Alpen verzeichnen zunehmende Nächtigungszahlen im Juli und im August.

Orte, die bisher vom Wintertourismus lebten, werden nun häufiger auch eine gute Sommersaison haben. Das bedeutet mehr ganzjährige Arbeitsplätze und damit auch eine größere dauerhaft anwesende Wohnbevölkerung. Dies bedeutet wiederum mehr Nachfrage nach Wohnraum sowie Bedarf an zusätzlichen Plätzen in Kindegärten und Schulen.

Höhere Temperaturen bedeuten allerdings auch weniger Permafrost und damit eine wachsende Gefahr von Bergstürzen. Dadurch werden manche Alpentäler einen Teil ihres Siedlungsraums verlieren. Und Bergregionen ohne Tourismus werden weiter an Bevölkerung verlieren. Doch für den Rest des Alpenraums ist Bevölkerungswachstum angesagt. Der zu erwartende Zuzug wird diesen Teil Europas in Zukunft noch diverser machen.

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Conclusio

Die Alpen werden in Zukunft stark gefordert: Ein Teil der Alpen wird von Bevölkerungsschwund betroffen sein, während die wirtschaftlichen – und vor allem touristischen – Zentren boomen. Dass Letzteres die Regionen sind, die bereits historisch von den Verkehrsrouten durch die Alpen profitierten, mag nicht verwundern. Vermieden werden sollte allerdings wohl, dass ökologisch bedeutsame und zudem identitätsstiftende Wirtschaftszweige wie die Berglandwirtschaft zu bloßen Dienstleistern an der kommenden Entwicklung der Alpen werden.

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