Abgelegen? Gottseidank!
Dass Alpendörfer aussterben, ist kein Naturgesetz: Der Wissenschaftsjournalist Rolf Schlenker erzählt, wie „sein“ Dorf Camuns in Graubünden lebendig bleibt.
Die Alpen liegen dem Wissenschaftsjournalisten Rolf Schlenker am Herzen. Gemeinsam mit dem Meteorologen Sven Plöger hat er ein Buch über das Wetter der Alpen geschrieben. Prominent darin: Camuns in Graubünden. Schlenker erklärt, wie Camuns dem Massentourismus entkam, und warum traditionelle Alpendörfer selten wurden.
„Aus konventioneller touristischer Sicht liegt Camuns falsch, nämlich auf der falschen Seite von Lumnezia, einem Seitental des Rheintals in Graubünden. Um zum Zubringerlift ins Skigebiet Obersaxen Mundaun zu kommen, muss man erst den ganzen Berg hinunter- und auf der anderen Talseite wieder hinauffahren.
Die Zukunft der Alpen
- Gletscher (Glaziologin Andrea Fischer)
- Alpine Vegetation (Ökologe Harald Pauli)
- Steinböcke, Murmeltiere, Gämsen (Wildtier-Biologe Walter Arnold)
- Transit und Verkehr (Verkehrsplaner Stephan Tischler)
- Wasserkraft (Wasserbau-Experte Robert Boes)
- Wandern, Skifahren, Mountainbiken (Tourismusforscher Mike Peters)
- Skipisten auf Gletschern (Benjamin Stern, Alpenverein)
- Berglandwirtschaft (Soziologin Rike Stotten)
- Alpenbevölkerung (Demographie-Experte Rainer Münz)
- Die Hirten (Hirtin Sara Wintereder)
- Die Bergwiesen (Landwirt Florian Kogseder)
- Essay (Bergführerin Ana Zirner)
- Podcast: Kultur der Alpen (Geograph Werner Bätzing)
- Podcast: Wege und Hütten (Wolfgang Schnabl, Alpenverein)
- Podcast: Klimawandel (Meteorologe Andreas Jäger)
- Podcast: Wandern (Bergführerin Ana Zirner)
- Umfrage: Was bringt die Alpen in Gefahr?
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Diese Lage ist zugleich genau richtig: Weil Camuns für den Massentourismus uninteressant ist, gibt es hier keine Apartmentkomplexe, Pensionen, Hotels oder Supermärkte. Alle Häuser sind in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten, Teile des Dorfes sind ganzjährig bewohnt, es hat seinen Charakter bewahrt. Wie konnte das gelingen?
Wie fast überall in den Alpen gab es auch in Camuns in den 1960er-Jahren eine große Abwanderungswelle. Auf der Suche nach Arbeit zogen die Einwohner weg, zuerst wurde die Dorfschule geschlossen, dann der Dorfladen, schließlich die Post. Die Abwanderung bedeutete auch das Ende vieler Bauernhöfe: In früheren Jahrhunderten wurden die rund zweihundert Camunser von etwa dreißig Bauernhöfen versorgt; heute ist ein Hof übrig geblieben.
Durchgängig über das ganze Jahr leben in Camuns und seinen Nachbarweilern rund dreißig Menschen. Das klingt wenig, aber jedes Haus ist bewohnt: Kinder und Enkel haben die Häuser der Eltern und Großeltern renoviert. Sie nutzen sie selbst als Ferienwohnungen und vermieten sie, in der Regel an Stammgäste. Das Dorf füllt und leert sich im Rhythmus der Jahres- und Ferienzeiten. Dieser neue Lebensrhythmus kann ein Modell sein: Er verhindert, dass Dörfer vernachlässigt werden und zerfallen.
Durch die Umbauten hat sich bei uns dauerhaft ein Schreinerbetrieb angesiedelt, und ein paar Dörfer weiter hält sich ein Installateur; der Bauer erhält mit seiner Viehwirtschaft die Kulturlandschaft – all das, was Touristen an den Alpen so gern mögen. Orte wie Camuns sind eine Chance für einen sanften Tourismus und eine Wirtschaft, die Wertschöpfung in den Lebensräumen generiert und auch dort hält.
Diese lokal verankerte Ökonomie hat zwei Achillesfersen: den mangelhaften öffentlichen Nahverkehr und die fehlende Unterstützung für eine nachhaltige Berglandwirtschaft. Das muss die Politik adressieren. Denn die Idylle allein, die durch Abgelegenheit erhalten blieb, kann die Alpendörfer nicht dauerhaft schützen.“
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